In der Christlichen Wissenschaft werden sowohl Krankheit wie auch Sünde als Versuchungen behandelt. Die Versuchung, die als Wirklichkeit und Macht an uns herantritt, und unser Eingehen darauf sind bekannt als tierischer Magnetismus.
Das Folgende mag als Erläuterung dafür dienen. Auf einem Grundstück gab es hinter dem Wohnhaus einen großen Nistkasten, bewohnt von einer Schar Schwalben. Dieser Kasten war oben auf einem Pfahl angebracht und so gebaut, daß er gegen Katzen oder andere Räuber gesichert war. Die Familie hatte auch einen Hauskater, der gern nach hinten in das höhere Gras ging, um dort Schwalben zu jagen. Er pflegte sich in das hohe Gras zu legen und den Schwanz sacht hin und her zu bewegen. Die Vögel wurden beunruhigt und flogen aus Neugier oder Ärger hinunter zum wedelnden Schwanz des Katers, und dieser konnte mit stets bereiter Pfote einen unvorsichtigen Vogel direkt aus der Luft fangen.
Der törichte Vogel hatte seinen natürlichen Schutz, seine Sicherheit und Freiheit aufgegeben, um zum Katzenschwanz hinunterzufliegen. Der Vogel hätte durch die Katze nicht geängstigt zu werden brauchen, wenn er nur seiner Bestimmung als Schwalbe nachgegangen wäre und sich in die Luft erhoben hätte. In seiner natürlichen Beschäftigung wäre er sicher und zufrieden gewesen. Ohne Zweifel hätte auch der Kater aufgehört, die Vögel zu quälen, wenn sie ihn nicht beachtet hätten.
Von sich aus hatte der Katzenschwanz keine Macht; als die Vögel sich jedoch von der Tätigkeit des wiegenden Schwanzes anziehen, interessieren oder aufstören ließen, und als sie darauf reagierten, indem sie zu ihm hinflogen, gerieten sie in Not. Diese Beobachtung hat der Schreiberin als Erläuterung für den tierischen Magnetismus gedient. Durch die Erinnerung an den Katzenschwanz und die Vögel wurde sie bei vielen Gelegenheiten, wenn andere Leute gereizt oder vielleicht ungeduldig schienen, vor dem Eingehen auf die Störung bewahrt.
Krankheit kann uns manchmal als Katzenschwanz erscheinen. Vielleicht kommt sie in unsere Gedanken, wenn wir jemand anders leiden sehen, oder wenn wir Erfahrungen aus der eigenen Vergangenheit zurückrufen. Unehrlichkeit, Selbstsucht, Mangel, Unduldsamkeit, Hast, Kritiksucht oder auch nur die Haltung eines andern mögen uns verlocken, Irrtum auszudrücken. Dagegen müssen wir wissen, daß genau da, wo der Irrtum zu sein scheint, Gottes Wahrheit ist, und wir müssen nur auf diese Wahrheit eingehen.
Im 19. Kapitel des ersten Buchs der Könige lesen wir, daß Elias vor dem Ärger der Königin Isebel floh, nachdem er auf die Abgötterei der Leute mit Zorn reagiert und die Propheten Baals getötet hatte. Während Elias sich in einer Höhle verbarg, kam das Wort des Herrn zu ihm und befahl ihm (Vers 11): „Gehe heraus und tritt auf den Berg vor dem Herrn!“ Dort ging das Toben der Natur an ihm vorüber — Wind, Erdbeben und Feuer. Aber in jedem Falle war es für Elias offenbar, daß Gott, die wirkliche Macht, nicht in diesen Elementen war. Elias wurde dadurch befähigt, von der Materie und materiellen Mitteln als Macht abzusehen und die stille, sanfte Stimme zu hören, die folgte.
Wir müssen auf jede Kundwerdung des sterblichen Gemüts eine bestimmte Antwort geben und erklären, daß Gott nicht darin ist, daß auch keine Macht darin ist. Dann werden wir bereit sein, die stille, sanfte Stimme der Wahrheit zu erkennen, zu hören und anzuerkennen — Gottes Weisung, die dem menschlichen Denken zuerst eine schwache Stimme zu sein scheint.
In „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ schreibt Mary Baker Eddy (S. 484): „Der tierische Magnetismus ist die willkürliche oder unwillkürliche Tätigkeit des Irrtums in allen seinen Formen; er ist das menschliche Gegenteil der göttlichen Wissenschaft.“ Unsere Führerin hat dem Irrtum in allen seinen Phasen den Namen „tierischer Magnetismus“ gegeben. Dieser Name dient dem Anhänger der Christlichen Wissenschaft als brauchbares Werkzeug, um das Böse oder den Irrtum zu entpersönlichen, den Irrtum bei seinem eigentlichen Namen zu nennen und sich zu weigern, ihm Macht oder einen Platz in seinem Denken oder seiner Erfahrung einzuräumen.
Es ist die Absicht des tierischen Magnetismus, das menschliche Denken zur Materialität hinzuziehen und es dort festzuhalten, durch Liebe zur Materie oder durch Haß gegen sie, oder auch durch Furcht, Ärger oder bloßes Interesse und Neugier. Doch die immer vorhandene Gegentatsache ist geistige Anziehung. Christus Jesus sagte (Joh. 12:32): „Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen.“ Der Meister zeigte uns, daß dieser erhöhte Sinn die wahre Antwort auf den Irrtum aller Art ist. Er sagte auch (Joh. 14:30): „Es kommt der Fürst dieser Welt, und hat nichts an mir.“
Im ersten Buch Mose finden wir das scheinbare Gegenteil des Guten oder den tierischen Magnetismus beschrieben als eine sprechende Schlange, die die Sterblichen in Versuchung führt. Dann wieder werden die Sterblichen geschildert, wie sie den falschen Suggestionen der Schlange lauschen und ihnen folgen. Durch die ganze Bibel hindurch lesen wir von dem Ringen mit Sünde und Furcht. Aber immer zieht sich der Faden geistigen Verständnisses, der Weissagung und der Liebe zum Guten durch die Erfahrung derer, die auf Gott schauen. In der Offenbarung hat sich der Irrtum für das sterbliche Denken zu einem Drachen ausgewachsen, der gegen die göttliche Idee streitet, bis er ausgeworfen wird und seine Stätte nicht mehr zu finden ist.
Die Christliche Wissenschaft erklärt sowohl die Schlange als auch den roten Drachen als tierischen Magnetismus. Mrs. Eddy enthüllt die sagenhafte Natur des Irrtums oder des Bösen in derselben Weise wie die Bibel. Die Tatsache verbleibt immerdar, daß „Wahrheit und Liebe obsiegen gegen den Drachen, weil der Drache nicht mit ihnen kämpfen kann“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 567). Tatsächlich hat das Böse oder seine Verkörperung keine Macht.
Das Gesetz des Guten ist kein Zufall; es ist göttlich natürlich. Es ist das Gesetz Gottes, des Prinzips, und das Gesetz, das den Menschen regiert. Dieses Gesetz Gottes wird niemals berührt von dem Glauben an Glücksoder Wechselfälle. Wenn wir von dem Geist des Prinzips durchdrungen sind, hat der Irrtum nichts Anziehendes für uns und wird als unwirklich erkannt. Das Prinzip ist immer gegenwärtig und vollständig. Das Prinzip bildet und regiert die Beziehungen aller Ideen zueinander. Wenn solche Beziehungen überhaupt existieren, so stehen sie unter der Führung und der Regierung des Prinzips. Unter dieser Regierung kann eine Idee eine andere nicht hindern oder aufreizen, noch kann eine Idee eine andere bekämpfen oder sie betrügen. Es gibt weder Betrug noch Betrüger in Gottes Reich. In ihm regiert Harmonie.
Die willkürliche oder unwillkürliche Tätigkeit des Irrtums ist nur die Nachahmung der Tätigkeit des göttlichen Gemüts. In Wirklichkeit hat alle Tätigkeit ihren Ursprung in Gott, daher kann es keine unzulängliche Tätigkeit oder Übertätigkeit geben. Wenn Tätigkeit nicht die Tätigkeit des Gemüts ist, so ist sie nur eine Fälschung, ein Nichts, das beansprucht, als ein Etwas unsere Aufmerksamkeit zu erlangen. Solche Tätigkeit ist in Wirklichkeit überhaupt keine Tätigkeit; denn sie hat keine wirkliche Ursache und keine Wirkung.
Die einzig wirkliche Macht ist die, die von Gott ausgeht. Gott ist die Wahrheit, und die Wahrheit kennt keinen Irrtum. Ob nun der Irrtum seine Einwände als sprechende Schlange vorbringt, oder ob er sich zu einem Drachen auszuwachsen scheint, so ist er doch immer noch lügenhaft und eine Fälschung, unwirklich und tatsächlich unwahr. Wenn wir einer solchen sprechenden Schlange lauschen, schenken wir einem Fabelwesen Aufmerksamkeit, das nur die Macht hat, die wir ihm geben. Es ist nicht wahr, noch hat es irgendeine Existenz in oder eine Beziehung zu Gott, der Wahrheit. Jeder Mensch ist mit der Fähigkeit ausgestattet, die Wahrheit zu erkennen und frei zu sein.
Falls wir uns Sünde oder Krankheit gegenübersehen, erleben wir Heilung, wenn wir die Allheit, die Allmacht und Gegenwart der Liebe erkennen und an diesen Tatsachen festhalten. Es braucht kein Bedürfnis vorzuliegen, darüber zu diskutieren. Wenn wir aber mit Sünde oder Krankheit diskutieren, müssen wir es richtig tun, mit dem grundlegenden Verständnis von Gottes Allmacht und der Machtlosigkeit des Bösen. Liebe zu jedermann und zu allem, was wahr ist, erhebt das Denken zu dem Bewußtsein, daß Gott mit uns ist.
Unsere verehrte Führerin sagt im zweiten Vers ihres Liedes „Der Mutter Abendgebet“ (Liederbuch der Christlichen Wissenschaft, Nr. 207):
„Liebe beut Zuflucht; nur mein Auge wähnt,
Daß Schlingen lauern und die Grube gähnt;
Sein Wohnort hehr ist hier, ist überall;
Sein Arm umgibt die Meinen, mich, uns all'.“
