Liebe zur Freiheit ist der menschlichen Natur angeboren. Die Geschichte der Völker, ja der Zivilisation selbst, besteht aus einem fortlaufenden Bericht über die immer von neuem geführten Kämpfe und Konflikte, die die Bestrebungen von Völkern und Individuen, ihr Recht auf Freiheit zu behaupten, gekennzeichnet haben. Worum handelt es sich bei dieser Freiheit, die den Menschen stets so sehr am Herzen gelegen hat und in ihrem Bestand doch so leicht wieder bedroht werden konnte? Besteht sie nur in dem Wahlrecht, dem Recht der freien Bewegung und dem Recht des einzelnen, seiner Beschäftigung in Übereinstimmung mit den eigenen Bestrebungen und Neigungen nachgehen zu können?
Die Menschen glauben im allgemeinen, daß unter Freiheit lediglich der Zustand zu verstehen sei, in dem man sich seine Wünsche erfüllen und seinen Neigungen nachgehen kann, ohne Einschränkungen beachten zu müssen, mit Ausnahme derjenigen, die die menschliche Gesellschaft von Zeit zu Zeit zu ihrem eigenen Schutz festgelegt hat. Im Laufe der Jahrhunderte hat der menschliche Begriff von Freiheit einen fortschreitenden Wandel erfahren, wird jedoch immer noch überwiegend mit der materiellen Vorstellung vom Menschen und seinen weltlichen Unternehmungen in Verbindung gebracht. Man erfaßt ihn allgemein noch nicht in seiner umfassenderen Bedeutung — als ein Freisein von Krankheit und Sünde, von Knechtschaft unter den materiellen Sinnen, dem sterblichen Gemüt und der diesem innewohnenden Tyrannei.
Das ist aber die Freiheit, von der Christus Jesus verhieß, sie würde von einem jeden von uns durch das Verständnis von der Wahrheit des Seins erlangt werden. Denn sagte er nicht: „[Ihr] werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh. 8: 32)? Diese Wahrheit ist der Christus, der in der Christlichen Wissenschaft als die göttliche Botschaft von der Gotteskindschaft des Menschen erklärt wird, eine Botschaft, die Jesus der Menschheit brachte und die die allumfassende Freiheit des Menschen als einer Idee im Gemüt in sich faßt.
Jenes dringende menschliche Verlangen nach dieser unumschränkten Freiheit ist es, das in dem Zeitabschnitt der letzten vier Generationen viele Menschen durch die offene Tür der Christlichen Wissenschaft geführt hat, die die Lehren des Meisters von neuem in der Sprache des 20. Jahrhunderts wiederholt. Dem Anhänger der Christlichen Wissenschaft wird es bald klar, daß, wenn diese christusgleiche Freiheit auch die Gabe Gottes an alle Seine Kinder ist, die Demonstration derselben in der menschlichen Erfahrung eine innere Errungenschaft des einzelnen sein muß — das Ergebnis seines geistigen Wachstums. Und er verliert bald seine Furcht, daß er dieses Verständnisses, wenn er es einmal erlangt hat, jemals wieder beraubt werden kann. Er lernt allmählich verstehen, daß dieser neu-gefundene, freudige und furchtlose Bewußtseinszustand nicht durch sterbliche Methoden beschützt wird, sondern vielmehr durch sein zunehmendes und im göttlichen Verständnis fest verwurzeltes geistiges Wachstum. Die Christliche Wissenschaft hat diese Errungenschaft für jeden von uns erreichbar werden lassen.
Ungleich der begrenzten menschlichen Auffassung von Freiheit, ist die wahre Freiheit nicht eine veränderliche Größe; sie gründet sich vielmehr sicher auf die geistige Grundlage der Wahrheit des Seins. Sie ist ebenso fortdauernd und ebenso vollständig wie die Wahrheit selbst, und ebenso sicher vor der Androhung von Schaden oder Verlust. Sie stellt den natürlichen Zustand des Menschen dar, der die Idee oder Widerspiegelung Gottes, des göttlichen Prinzips allen Seins, ist. Der Mensch spiegelt Gottes Freiheit wider, denn die Widerspiegelung Gottes muß notwendigerweise gottähnlich sein. Also ist es das Gesetz der Widerspiegelung, was das absolute Freisein des Menschen von allem, was nicht von Gott stammt, begründet und aufrechterhält.
Vollständige Freiheit ist das göttliche Erbe des Menschen; in ihr liegt die Gewißheit für seine Immunität vom Bösen aller Art begründet. Der Machtbereich, in dem das Gesetz Gottes wirksam wird, ist das Universum Gottes, des Geistes, das unendliche Reich des Guten. Es gibt keinen Umstand und keine Macht, die diese Vollmacht außer Kraft setzen und den Menschen seines ewigen, von Gott verliehenen Seins berauben können.
Wenn diese wahre Freiheit von dem Anhänger wirklich verstanden wird, dann steht er vor der Aufgabe, im Einklang mit ihren Forderungen zu leben; denn Vorrecht und Verpflichtung gehen immer Hand in Hand. Diese Forderungen werden von Jesus in seiner Bergpredigt zusammengefaßt. Die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, Mrs. Eddy, hat diese Forderungen als eine Vorbedingung für die Erlangung des praktisch anwendbaren Verständnisses von der Wissenschaft des Christus in ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ niedergelegt.
Als Antwort auf die Frage: „Welche Forderungen stellt die Wissenschaft der Seele?“ schreibt sie unter der Randüberschrift „Zwei Hauptgebote“ (S. 467): „Die erste Forderung dieser Wissenschaft ist:, Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.‘ Dieses mir ist Geist. Daher bedeutet dieses Gebot: Du sollst keine Intelligenz, kein Leben, keine Substanz, keine Wahrheit, keine Liebe haben, außer der, die geistig ist. Und die andre Forderung ist ihr gleich:, Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.‘ Man sollte es von Grund aus verstehen, daß alle Menschen ein Gemüt, einen Gott und Vater, ein Leben, eine Wahrheit und eine Liebe haben.“
Gehorsam gegen diese Gebote ist der Preis für die geistige Freiheit. Wenn der Anhänger der Christlichen Wissenschaft diese Forderungen der göttlichen Liebe mit Verständnis und innerer Zustimmung annimmt, wird er imstande sein, entsprechend dem Grad seines Verständnisses und seines Gehorsams ein gewisses Maß von Herrschaft über die sogenannten physischen Gesetze zu demonstrieren, eine Herrschaft, die sich in einem Freisein von körperlichen Krankheiten, körperlichen Gelüsten und physischer, mentaler und moralischer Knechtschaft jeder Art zeigen wird.
Die Demonstration von Gesundheit ist gleichbedeutend mit Demonstration von Freiheit von den Ansprüchen der Materie; dasselbe trifft zu für die Demonstration von Herrschaft über die Versuchung zu sündigen. Der Alkoholiker, der unter der Knechtschaft eines falschen Begehrens und der Annahme leidet, seine eigene Individualität verloren zu haben; der Mensch, der ein Sklave des Tabaks ist, durch die Gewohnheit gefesselt und doch ihre Auswirkungen fürchtend; der Mensch, der ein Sklave irgendeiner sündigen Begierde geworden ist, von der er sich anscheinend nicht frei machen kann — sie alle können ihre Erlösung finden durch die unablässige Vergegenwärtigung ihrer Freiheit im Guten, indem sie an der Unantastbarkeit ihrer eigenen Identität als der individuellen Widerspiegelung der Seele festhalten, indem sie sich klarmachen, daß aller wahre Antrieb Gott, dem Guten, entstammt und daß sie sich daher keinem anderen Antrieb ergeben können.
Sie müssen die wahre Befriedigung verstehen lernen, die der Einfluß des Christus uns bringt, und an der Wahrheit der folgenden Worte unserer Führerin Mrs. Eddy in „Pulpit and Press“ (S. 3) festhalten: „Erkennt daher, daß ihr unumschränkte Macht besitzt, recht zu denken und zu handeln, und daß nichts euch dieses Erbes berauben und sich gegen die Liebe versündigen kann.“
Die wahre Freiheit des Menschen kann sich stets in der Erfahrung des Anhängers zeigen in Form von furchtlosem, inspiriertem Denken, moralischer Stärke, einer Fähigkeit, der geistigen Liebe Ausdruck zu verleihen, die von Selbstsucht unbehindert ist, ja in Form eines starken Verlangens, anderen Menschen zu helfen, eines zuverlässigen Begriffs von Gesundheit, einem wunderbaren Freisein von allem Glauben an intelligentes Böses. Politische und wirtschaftliche Freiheit, sowie auch andere Erscheinungsformen der menschlichen Freiheit, sind nur die natürlichen Begleiterscheinungen dieser allumfassenden Idee von der wahren Beziehung des Menschen zu Gott.
Da der wahre Mensch im göttlichen Gemüt weilt, spiegelt er geistige Intelligenz wider; daher ist er niemals in den Banden einer Illusion des Bösen, wird niemals durch die materiellen Sinne gefesselt, sondern ist immerdar der unbehinderte Ausdruck vom Wesen Gottes, gefeit gegen Krankheit und deren Drohungen, gefeit gegen die Sünde und deren Versuchungen, frei von Fehltritten, die zu Selbstverdammung führen, gefeit gegen den Tod und die Furcht vor dem Tode. Diese unumschränkte Freiheit wird niemals bedroht; daher fürchtet der wahre Mensch niemals, sie zu verlieren. Er kennt nur die Freiheit des Guten, und er lebt in der Sicherheit und Freude ihrer fortdauernden Gegenwart.
Dies ist der wahre Daseinszustand der Widerspiegelung Gottes; er kann und sollte hier und jetzt zu unserer eigenen Erfahrung werden. Die Christliche Wissenschaft, die Wissenschaft des Christus, bringt diese Freiheit jedem einzelnen von uns, denn sie stellt die befreiende Wirksamkeit der Christus-Wahrheit dar. So können wir frohen Herzens die Versicherung des Apostels Johannes annehmen (8:36): „So euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei.“
