Die geistige Wiedergeburt muß dem Propheten Joel sehr am Herzen gelegen haben, denn nachdem er die Kinder Israel für ihren Ungehorsam gescholten hatte, sprach er zu ihnen mit herzlichem Mitgefühl von der Gelegenheit, das Erbe wiederzuerlangen, das sie verloren zu haben schienen. Nachdem er sie ermahnt hatte, ihr Bemühen durch Reue und Fasten zu erneuern, sagte er (2:21): „Fürchte dich nicht, liebes Land, sondern sei fröhlich und getrost; denn der Herr kann auch große Dinge tun.“ Und indem er ihnen weiter versicherte, daß Gott bereit ist, sie in ihre alten Rechte wiedereinzusetzen und zum Zeichen dafür Frieden und Überfluß wiederherzustellen, erklärte er Gottes Verheißung (Vers 25): „Ich will euch die Jahre erstatten, welche die Heuschrecken... gefressen haben.“
Es ist bemerkenswert, daß Joel das Volk ermutigte, große Dinge vom Herrn zu erwarten. In seiner geistigen Schau nahm er einen liebevollen himmlischen Vater wahr, der als Folge ihrer Reue und Umwandlung die Erinnerung an jene Jahre, die die Heuschrecken gefressen hatten, auslöschen konnte und auslöschen würde, um sie durch eine neugewonnene Hoffnung und ein inneres Vertrauen zu ersetzen. Gottes unwandelbare Liebe sollte dem Volk auf eine Weise offenbart werden, die ihre menschlichen Nöte stillen und ihnen einen neuen Ausgangspunkt geben würde. Wir finden keine Andeutung dafür, daß an der Verdammung für ihre früheren Fehler festgehalten werden sollte.
Hat nicht wohl jeder Erwachsene zu der einen oder anderen Zeit mit Bedauern auf irgendeinen Zeitpunkt in seiner Vergangenheit zurückgeblickt und den Wunsch gehabt, daß dieser hätte anders sein mögen, mehr in Übereinstimmung mit dem besseren Verständnis von Gott, das er seither erlangt hat, oder vielleicht weniger störend für seine Selbstzufriedenheit? Und ist nicht mit einem solch wehmütigen Denken der Wunsch aufgetaucht, das mentale Bild zu ändern, den unbefriedigenden Zeitabschnitt, dessen Erinnerung ihm Gewissensbisse bringt, noch einmal zu durchleben und zu berichtigen? Ein solches Denken ist offensichtlich vergeblich, da das Wesen der Zeit an sich so flüchtig ist, daß man nicht einmal den vergehenden Augenblick festhalten und noch viel weniger das wiedergewinnen kann, was sich unsere Vergangenheit nennt.
Wenn uns aber die Gedanken über eine sogenannte Vergangenheit beunruhigen und die Gelegenheit zur Umkehr, um diese unglücklichen Ereignisse auszulöschen, unmöglich ist, dann empfangen wir unermeßlichen Trost in den Lehren der Christlichen Wissenschaft hinsichtlich der vergänglichen Natur des Irrtums. Wie sein Gegenstück, die Zeit, so führt der Irrtum immer zu seiner eigenen Zerstörung, nicht zu der Zerstörung des Menschen. Die Tatsache, daß wir in unserem geistigen Wachstum einen Punkt erreicht haben, wo das Böse, ganz gleich welchen Ausmaßes, so widerwärtig geworden ist, daß wir uns von ihm abwenden, ist ein Grund zur größten Ermutigung.
Die Reue ist oft das erste Anzeichen dafür, daß das menschliche Bewußtsein bereit ist, nach einer Umwandlung zu verlangen. Der Mensch, der die Irrtümer seiner sterblichen Selbstheit erkennt und dem sie zuwider sind, sollte gerade da, an der Schwelle der Christlichen Wissenschaft, danksagen und sein Haupt erheben. Er erlebt die Wiedergeburt, die von Mrs. Eddy in ihrem Werk „Vermischte Schriften“ beschrieben wird. Hier sagt sie auf Seite 15 über diese Wiedergeburt: „Sie beginnt mit Augenblicken und geht in Jahren weiter; mit Augenblicken der Hingabe an Gott, des kindlichen Vertrauens und der freudigen Annahme des Guten; mit Augenblicken der Verleugnung und der Weihe des eigenen Selbst, mit himmlischer Hoffnung und geistiger Liebe.“
Im Licht der Christlichen Wissenschaft lernen wir, daß die „Heuschrecken“ die Leiden darstellen, die dem Ungehorsam gegen das göttliche Gesetz unweigerlich folgen. Sie stammen nicht von Gott und haben keine ihnen eigene Fähigkeit, einen leidenden Sinn zu unterstützen. Es wurde Mrs. Eddy offenbart, daß das Böse stets unpersönlich ist, und in diesen Worten aus „Wissenschaft und Gesundheit“ gibt sie den Grund dafür an (S. 171): „Die sogenannten Gesetze der Materie sind weiter nichts als die falschen Annahmen, daß Intelligenz und Leben da sind, wo Gemüt nicht ist. Diese falschen Annahmen sind die Ursache, die alle Sünde und Krankheit veranlaßt.“
Es war die falsche Annahme, die den ersten Israeliten den Ertrag vieler Jahre hinwegnahm, und es ist derselbe Irrtum, der die Menschheit heute durch eine Vorstellung von Verlust und Enttäuschung berauben und täuschen möchte. Der Anhänger der Christlichen Wissenschaft erkennt, daß es sich nicht lohnt, sich in die Vorgänge der sterblichen Sinne verwickeln zu lassen, und daß diese Sinne tatsächlich in keinem Fall gültig oder zuverlässig sind.
Eine solche Verwicklung endet nur in Enttäuschung und oft sucht und findet der Enttäuschte gerade zu diesem Zeitpunkt Hilfe durch das Studium und die Anwendung der Wahrheiten, wie sie in der Christlichen Wissenschaft gelehrt werden. Der Irrtum beginnt dann tatsächlich, vergänglich zu erscheinen, und die Fortdauer des Guten in all seiner Nützlichkeit und Lieblichkeit wird wirklicher und greifbarer.
Die Gestalt des Apostels Paulus, der sich über seine anfänglichen Fehler erhob und der Zukunft mutig entgegenging, vermittelt jedem Mut und Inspiration, der ernsthaft den Wunsch hat, ein neues und besseres Kapitel in seiner menschlichen Erfahrung zu schreiben. In seinem Brief an die Philipper schrieb Paulus (3:13, 14): „Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, was da vorne ist, und jage — nach dem vorgesteckten Ziel — nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu.“
Der starke Glaube des Paulus übertraf die Selbstgerechtigkeit auf der einen und eine falsche Demut auf der anderen Seite. Nachdem Paulus die Augen geöffnet worden waren und seine Laufbahn sich gewandelt hatte von dem negativen Ziel der Christenverfolgung zu einer geheiligten und tapferen Verteidigung des Christentums, jagte er im wahrsten Sinne des Wortes dem Kleinod nach.
Wie töricht wäre es gewesen, wenn Paulus in jenem glorreichen Augenblick seiner Erfahrung auf Verleumder gehört hätte, die ihn an seine fehlgeleitete Vergangenheit erinnerten! Und ebenso unweise wäre es für den Christen von heute, unablässig über seine verpaßten Gelegenheiten zu trauern, wenn er sie schon bereut und seine Hand in die des Vaters gelegt hat und ehrlich ist, in seinem Bemühen voranzuschreiten.
Auf die göttliche Führung zu lauschen, uns die Augen öffnen zu lassen für die wirklich wertvollen Dinge und dann mit Sanftmut und geistiger Stärke vorwärts zu streben — dies sind die menschlichen Schritte, die den aufrichtigen Sucher befähigen, zu erkennen, daß eine neue und freudige Erfahrung seiner harrt.
In Wirklichkeit vermögen die unglücklichen Erinnerungen an die Vergangenheit ihrer Vernichtung nicht zu widerstehen, wenn der Anhänger der Christlichen Wissenschaft im Verständnis der großen Wahrheiten des Seins wächst und diese Wahrheiten anwendet. Ein solcher Mensch lernt täglich mehr über seine wirkliche, unsterbliche Größe als Kind Gottes. Er lernt, daß das göttliche Gemüt, Gott, der einzige Schöpfer und daß der Mensch Sein Bild und Gleichnis ist. Wenn man seine wahre Selbstheit als die Idee Gottes identifiziert, so öffnet das die Tür zur Harmonie ebenso gewiß, wie es die Tür gegen die trüben Erinnerungen verschließt.
An dieser Stelle mag jemand sagen: „Das mag alles für den Menschen zutreffen, der irgendein schweres Vergehen gegen die Gesellschaft begangen hat; meine menschliche Vergangenheit jedoch ist so schön gewesen, daß ich die Erinnerung daran unberührt erhalten möchte. Sie bereitet mir so viel Freude.“
Wenn wir aber einmal ehrlich darüber nachdenken, ist dann ein solcher Wunsch wirklich zuverlässig? Viele Menschen können glücklicherweise auf eine gleichbleibend schöne Kindheit und auf ein späteres Leben in einer angenehmen Umgebung zurückblikken. Daß solche Menschen für ihr gutes Geschick dankbar sind, ist natürlich. Wenn jedoch der Scheinwerfer der Wahrheit nach innen gerichtet wird, mag vieles enthüllt werden, das selbstloser, geduldiger und liebevoller hätte sein können.
Übereiltes Verurteilen, impulsive Handlungen und gedankenloses Verdammen anderer hätten vielleicht vermieden werden können, wenn liebevolle Anteilnahme der Beweggrund für unsere Handlungen gewesen wäre. Unsere Dankbarkeit für eine schöne Umgebung sollte niemals zu einer bloßen Selbstgefälligkeit ausarten. Da wir selbst getröstet wurden, sollten wir anderen helfen, die offensichtlich des Trostes bedürfen.
Denen, die davor zurückschrecken, den Schleier zu lüften, der über irgendeinem Fehltritt in der Vergangenheit liegt, oder die in ihrem Herzen eine Traurigkeit zurückbehalten haben, die noch nicht geheilt worden ist, gibt die Christliche Wissenschaft eine positive und ermutigende Zusicherung der zärtlichen Liebe Gottes und Seiner unendlichen Fähigkeit, unschöne Gedankenbilder auszulöschen.
Das göttliche Gemüt hat unbegrenzte Mittel, durch die es uns mit frischen, beglückenden Gedanken und geistigen Begriffen versorgt; und das aufmerksame Ohr wird gerade die richtige Idee hören, die es im Augenblick am dringendsten benötigt. Tatsächlich hat manch ein verlorener Sohn, der zurückkehrte, erkannt, daß die Jahre, die die Heuschrecken scheinbar gefressen hatten, nur vorübergehend in Dunkel gehüllt waren. Ein solcher Mensch steht an der offenen Tür der Christlichen Wissenschaft und wird durch die Wiedergeburt gesegnet.
Die wahre Geschichte des Menschen, der Widerspiegelung Gottes, ist ein Bericht von ununterbrochener Harmonie. Heute vermögen zahllose Menschen zu bezeugen, daß ihre Gedanken über die Vergangenheit befreit wurden, nachdem sie Gott als ihren Vater-Mutter anerkannt und ihre Gotteskindschaft angenommen hatten, und daß das Gute jener Jahre in ein schöneres, glücklicheres Blickfeld gerückt wurde. Der Dichter, der von der Fortdauer des Guten in der menschlichen Erfahrung schrieb, erklärte:
„Das Gute der Vergangenheit verbleibt,
Verschönt auch unsre Zeit.“
Diese Zeilen sind im Lied Nr. 238 im Liederbuch der Christlichen Wissenschaft zu finden.
Die Christlichen Wissenschafter lernen, daß das Gute auf Grund der lebendigen, unwiderstehlichen Natur Gottes, des Guten, fortbesteht. Es ist nicht den Launen des Zufalls oder den Schwankungen sterblicher Maßstäbe unterworfen. Der Apostel Jakobus, der das unwandelbare Wesen von allem, was Gott gibt, erkannte, schrieb (1:17): „Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von obenherab, von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.“
Unsere Führerin zeigt ihre liebevolle Fürsorge für ihre Nachfolger, indem sie in den folgenden Worten aus „Wissenschaft und Gesundheit“ eine Anleitung gibt, die klar den Weg aus der Verwirrung der falschen Annahmen weist (S. 316): „Da der wirkliche Mensch durch die Wissenschaft mit seinem Schöpfer verknüpft ist, brauchen sich die Sterblichen nur von der Sünde abzuwenden und die sterbliche Selbstheit aus den Augen zu verlieren, um Christus, den wirklichen Menschen und seine Beziehung zu Gott, zu finden und die göttliche Sohnschaft zu erkennen.“
