[Nachstehend bringen wir die dritte der fünf Ansprachen, welche bei der Versammlung gehalten wurden, die am 10. Juni 1959 im Erweiterungsbau Der Mutterkirche stattfand. Die vierte Ansprache wird in unserer nächsten Ausgabe im Mai erscheinen.]
Mary Baker Eddy schreibt in einem Brief an eine Zweigkirche (Vermischte Schriften, S. 155): „Vergeßt Euch selbst in der Arbeit für die Menschheit, dann werdet Ihr den müden Wanderer zu Eurer Tür ziehen, den Pilger und Fremdling für Eure Kirche gewinnen und Zugang zum Herzen der Menschheit finden.“ Wenn wir möchten, daß sich der empfängliche Gedanke zu unseren Kirchen hingezogen fühlt, so laßt uns diese Ermahnung unserer Führerin beherzigen: „Vergeßt Euch selbst in der Arbeit für die Menschheit.“
Die Welt braucht die Christliche Wissenschaft, obgleich die meisten Menschen noch nicht wissen, daß der verheißene Tröster erschienen ist. Geblendet von Unwissenheit halten sie überall Ausschau nach der Wissenschaft des Seins — nur nicht am richtigen Ort. Allein die Christliche Wissenschaft kann dieses Verlangen befriedigen. Wir machen zweifellos Fortschritte. Es ist aber notwendig, daß wir mehr tun. Wir haben die Fähigkeit, mehr zu tun. Unsre Aufgabe ist es, dies zu erkennen und unsre Kirche dadurch zu unterstützen, daß wir selbstlos daran arbeiten, mit andern zu teilen, was wir haben.
Wenn eine Zweigkirche oder eine Vereinigung zuweilen keine Fortschritte verzeichnen kann, ist eine Neubelebung dieser Kirche nicht notwendigerweise vom Hinzukommen neuer Besucher abhängig. In erster Linie ist es nötig, daß jedes Mitglied eine neue Auffassung — eine vergeistigte Auffassung — von dem gewinnt, was bereits vorhanden ist, damit den Fremden, wenn sie zu uns kommen, ein guter Dienst geleistet wird. Dies wird veranschaulicht durch den Besuch des Propheten Elia bei der Witwe zu Zarpath (siehe 1. Kön. 17:8–16).
Zur Zeit einer Hungersnot hatte diese Frau alle Hoffnung, am Leben zu bleiben, aufgegeben. Als Elia zu ihr kam und um Speise bat, klagte sie ihm, daß sie nichts besitze, was sie mit ihm teilen könne. Das einzige, was sie noch besaß, waren eine Handvoll Mehl und ein wenig Öl. Dies sei, so sagte sie, gerade noch genug für eine einzige, letzte Mahlzeit.
Elia ließ sich von der Vorstellung, die die Frau von ihrer Notlage hatte, nicht beeindrucken. Er beschwichtigte ihre Furcht, indem er die augenscheinliche Hoffnungslosigkeit ihrer Lage abwies. Er versicherte ihr, daß ihr ein reichlicher Vorrat an Öl und Mehl zu Gebote stehe, der ausreichen werde, sowohl seine Bedürfnisse als auch die ihren zu stillen. Er sagte ihr, daß Gott verheißen hatte (Vers 14): „Das Mehl im Kad soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln.“ Und so kam es auch. Es ist interessant, festzustellen, daß Elia gerade da, wo die Frau Mangel und Unzulänglichkeit erblickte, die Gegenwart von Gottes unerschöpflicher Fülle sah. Nicht das Öl und das Mehl machten den Unterschied aus, sondern die Verschiedenheit der Standpunkte.
Bei der Betrachtung dieses Erlebnisses und bei seiner Anwendung auf den Fortschritt der Kirche ist es uns nützlich, über einige geistige Begriffsbestimmungen, die uns unsre Führerin in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ gegeben hat, nachzudenken. Auf Seite 592 definiert sie „Öl" als: „Heiligung; Nächstenliebe; Milde; Gebet; himmlische Inspiration.“ Und „Elias“ wird von ihr folgendermaßen definiert (S. 585): „Prophezeiung; geistige Augenscheinlichkeit, die dem materiellen Sinn entgegengesetzt ist; die Christliche Wissenschaft, durch welche die geistige Tatsache von allem, was die materiellen Sinne erblicken, erkannt werden kann; der Grund der Unsterblichkeit.“
Die Witwe zu Zarpath war zunächst nicht bereit, die Fülle des Guten anzuerkennen, da sie eine materialistische und begrenzte Anschauung von ihrem Vorrat an Öl und Mehl hatte. Aber die Geistigkeit in der Auffassung des Elias hob ihr Denken empor. Und dann war sie bereit, mit ihm zu teilen.
Gleichen wir vielleicht manchmal bei dem Gedanken an die Kirche der Witwe zu Zarpath? Lassen wir uns, auf Grund einer materialistischen Auffassung, in bezug auf die Kirche in Gleichgültigkeit und Entmutigung einlullen? Wenn ja, so müssen wir unsern Standpunkt ändern. Laßt uns uns die Auffassung des Elias zu eigen machen und an dem festhalten, was geistig wahr ist in bezug auf all das, was die materiellen Sinne erblicken.
Jede Zweigkirche und jede christlich-wissenschaftliche Vereinigung verfügt in reichem Maße über die geistigen Eigenschaften, die auf den empfänglichen Gedanken anziehend wirken. Wir stehen nicht vor der Notwendigkeit, solche Eigenschaften erst zu schaffen. Sie stehen uns bereits zu Gebote. Es ist aber nötig, daß wir sie widerspiegeln. Wenn das Bewußtsein der Mitglieder durch tägliches Gebet die geistigen Tatsachen bezüglich Kirche erfaßt, verschwindet der materielle Augenschein von Begrenzung oder Mangel an Fortschritt.
Christus Jesus wies auf die Wichtigkeit der Vergeistigung des individuellen Denkens hin, als er sagte (Joh. 12:32): „Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen.“
Die Zweigkirchenmitglieder, deren Bemühen, den Fremden zu ihrer Kirche hinzuziehen, Erfolg hat, sind jene, die im eigenen Denken den Christus erhöht haben. Für diese Aufgabe sind nicht ausschließlich die Leser oder die Vorstandsmitglieder verantwortlich. Sie ist die heilige Pflicht eines jeden Mitglieds.
Um den Christus in unserm eigenen Denken erhöhen zu können und die geistigen Eigenschaften, die den empfänglichen Gedanken anziehen, in der Kirche zu erblicken, brauchen wir nur den göttlichen Begriff von Öl praktisch anwenden, der auch der Auffassung Elias zugrunde lag: „Heiligung; Nächstenliebe; Milde; Gebet; himmlische Inspiration“. Der Mensch spiegelt diese Eigenschaften in reichem Maße wider, und er hat die ihm von Gott verliehene Fähigkeit, sie zu nutzen. Unser Öl ist unerschöpflich. Je besser wir Gebrauch davon machen in unserer geistigen Arbeit für unsre Kirche, desto einleuchtender wird seine Verwendbarkeit und desto größer sind die Segnungen, die sich aus seiner Anwendung ergeben.
Jeder von uns möge sich fragen: „Speichere ich bei meiner Arbeit für die Kirche mein Öl auf, um es erst in Notfällen zu benutzen, d.h. wende ich die Eigenschaften der himmlischen Inspiration und des Gebets, der Nächstenliebe und der Heiligung nur spärlich an, oder mache ich regelmäßig und in konsequenter Weise von ihnen Gebrauch in dem ehrlichen Bemühen, zu erkennen, was geistig wahr ist in bezug auf all das, was die materiellen Sinne über meine Kirche sagen mögen?“
Ich hatte früher beruflich zu tun mit der Suche nach Erdölvorkommen. Es war unsre Aufgabe, nach unter der Erdoberfläche befindlichen Schichten zu forschen, die auf das Vorhandensein von Erdöl schließen ließen. Wir suchten nach Gesteinsgliederungen, die nicht nur Erdöl enthalten, sondern genügend porös sein sollten, um das Öl in einen Schacht abfließen zu lassen. Wenn das Öl auf Grund der Undurchlässigkeit des Gesteins blockiert ist, ist es wertlos, es sei denn, daß man eine Möglichkeit findet, es zum Abfließen zu bringen.
Und so ist es auch mit dem geistigen Begriff von Öl in unserem Bewußtsein. Wenn das Öl eingeschlossen ist durch die Härte des Herzens, werden Heiligung, Milde, Nächstenliebe und himmlische Inspiration nicht ausströmen. Es ist daher klar, daß eine Kirche, in der die Mitglieder ihr Denken verhärtet haben durch Uneinigkeit, Streit oder Haß, die Christuseigenschaften, die den empfänglichen Gedanken anziehen, nicht gut zum Ausdruck bringt. Auch hier liegt es in der Verantwortlichkeit eines jeden, solche Härte zum Schmelzen zu bringen.
Das Mitglied, dessen Bewußtsein von brüderlicher Liebe erfüllt ist, dient seiner Kirche als unaufhaltsamer Einfluß zum Guten, der jede hindernde Vorstellung von Uneinigkeit auflöst. Keine Selbstsucht, kein Stolz, kein Gekränktsein, keine Selbstrechtfertigung kann der erneuernden Kraft der göttlichen Liebe widerstehen. Eine Kirche, deren Mitglieder einander in brüderlicher Liebe verbunden sind, hält ihre Tore weit offen, und der Fremde fühlt sich unwiderstehlich zu ihr hingezogen.
Sobald der empfängliche neue Besucher zu unsern Toren geführt wird, kommt er, die Wahrheit des geistigen Seins zu suchen — das Brot der Christlichen Wissenschaft. Wir können alle mit dazu beitragen, daß er die erhaltende Wahrheit findet, die sein Verlangen befriedigt. Das selbstlose Verlangen, unser Brot mit andern zu teilen, bringt uns die Möglichkeit und die Gelegenheit, dies zu tun. Kein Christlicher Wissenschafter sollte sich — wie die Witwe zu Zarpath — in eine mentale Untätigkeit einlullen lassen durch die irrige Annahme, daß sein Vorrat an Brot zu gering — sein Verständnis der Wahrheit zu dürftig — sei, um es mit dem Fremdling zu teilen. Und er braucht sich nicht zurückhalten lassen aus Furcht davor, daß der Fremde es vielleicht nicht haben möchte.
Jeder von uns würde gut daran tun, folgende Worte unserer Führerin aus „Wissenschaft und Gesundheit" zu beherzigen (S. 570): „Millionen vorurteilsfreier Gemüter — schlichte Sucher nach der Wahrheit, müde Wanderer in der Wüste verschmachtend — harren und warten der Ruhe und der Erquickung. Gib ihnen einen Becher kalten Wassers in Christi Namen, und fürchte niemals die Folgen.“
Wenn wir den Fremden gut bewirten wollen, so genügt es nicht, daß wir ihn auffordern, von unserem Brot zu nehmen, sondern wir müssen uns mit ihm niedersetzen und essen. In dem Maße, wie jedes Mitglied sein Verständnis von der Wahrheit erweitert, erhöht es den Christus. Es versieht sich mit dem Rüstzeug für bessere Heilarbeit. Er bringt die Christliche Wissenschaft im täglichen Leben besser zum Ausdruck. Wer die Christliche Wissenschaft in seiner Kirche, in seinem Heim, in seinem Berufsleben betätigt, sichert sich nicht nur seinen eigenen geistigen Fortschritt; er erleuchtet auch den Pfad für andre, damit sie erkennen können, was die Christliche Wissenschaft ist und was sie tut.
Laßt uns also wie Elias eine geistige Auffassung von Kirche, von der Christlichen Wissenschaft, von Der Mutterkirche und von unserer Zweigkirche in uns tragen. Die Kirche ist eine geistige Idee, die festgegründet und geeignet ist, die ihr von Gott bestimmte Mission zu erfüllen. Sie muß als geistige Idee aufgefaßt werden. Sie muß in ihrer Vollkommenheit erschaut werden, denn als Idee Gottes kann sie nicht weniger als vollkommen sein. Wenn jeder einzelne von uns den richtigen Begriff von Kirche erfaßt und den irrigen Begriff zurückweist, trägt er dazu bei, die menschliche Kundwerdung von Kirche in Einklang zu bringen mit der göttlichen Idee.
Der wachsame Christliche Wissenschafter betet täglich, daß die Zweigkirche, deren Mitglied er ist, die wahre Mission von Kirche erfüllen möge innerhalb des Gemeinwesens, in dem er lebt. Er schenkt den Irrtümern des sterblichen Sinns, die den Anspruch erheben, ein Teil seiner Kirche zu sein, keinen Glauben. Stattdessen leugnet er diese Ansprüche und bejaht das, was wahr ist hinsichtlich der geistigen Idee der Kirche. Wir wollen nicht vergessen, daß Elia gerade da die unerschöpfliche Fülle erblickte, wo die Witwe zu Zarpath nur Hoffnungslosigkeit und Mangel sah. Laßt uns von Elias geistiger Schau Gebrauch machen, auf daß wir mit Hilfe der Christlichen Wissenschaft in der Kirche die geistigen Tatsachen erkennen können im Gegensatz zu allem, was die materiellen Sinne sehen. Jeder von uns kann dies tun. Auf diese Weise wird er dazu beitragen, daß sich das empfängliche Denken in dem Gemeinwesen, in welchem er lebt, zu seiner Zweigkirche hingezogen fühlt.
