Zeiten internationaler Spannung lassen in dem menschlichen Gemüt unwillkürlich Gedanken aufkommen, die sich mit der Sicherheit und dem zukünftigen Wohlergehen des Vaterlandes befassen, des Nationalstaates, der unseren Dienst und unsere Liebe verlangt. Ein Christlicher Wissenschafter weiß, daß es keine menschliche Beziehung gibt, hinsichtlich deren diese Wissenschaft ihm nicht eine hilfreiche Lehre zu erteilen vermag; und dies trifft ganz gewiß zu für die Vaterlandsliebe. Das heißt aber nicht, daß die Christliche Wissenschaft blinde Gefühlserregungen oder eine unbesonnene Handlungsweise befürwortet.
Es ist nur natürlich, wenn wir zunächst zu erfahren suchen, welche Haltung Christus Jesus zu diesen Fragen einnahm. Wir wissen aus den Evangelien, daß er standhaft der Versuchung widerstand, eine nationale Erhebung gegen die fremden Herren Palästinas anzuführen, und sich weigerte, die Entrichtung von Steuern an den römischen Kaiser für ungesetzmäßig zu erklären; er wußte, daß die wilden Leidenschaften, von denen die Menschen zuweilen ergriffen werden, nur zu Unheil führen können. Aber kein Patriot hat je liebevollere oder ergreifendere Worte gebraucht als Jesus (Matth. 23:37, 38): „Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind! wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt! Siehe, euer Haus soll euch wüst gelassen werden.“ Jesus machte es klar, daß sein Reich nicht von dieser Welt war.
Wenn wir die Frage stellen, was wir von der Christlichen Wissenschaft über das Thema der Vaterlandsliebe lernen können, müssen wir in erster Linie daran denken, daß alles, was materiell ist, dem Verfall und der Auflösung unterworfen ist. „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen,“ sagte Jesus (Matth. 24:35); und insbesondere prophezeite er seinen Jüngern die bevorstehende Zerstörung des herrlichen Tempels, der für sie die Traditionen und Hoffnungen des jüdischen Volkes zu verkörpern schien.
Ebenso ist das physikalische Aussehen irgendeines Landes ständig im Wandel begriffen: Gebäude aus alter Zeit verfallen, der Erdboden erleidet Erosionen durch die Einwirkung von Meer, Regen und Wind, und die Bevölkerung verändert sich in ihrer Zahl sowie auch in ihrer rassischen Zusammensetzung. Doch wir wissen, daß von dem einzigen wissenschaftlichen Standpunkt aus, dem Standpunkt Gottes, des göttlichen Gemüts, schon jetzt überhaupt nichts Materielles wirkliches Dasein besitzt.
„Die göttliche Wissenschaft, die sich die über die physischen Theorien erhebt, schließt die Materie aus, löst Dinge in Gedanken auf und ersetzt die Gegenstände des materiellen Sinnes durch geistige Ideen.“ So sagt die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft Mary Baker Eddy in dem Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, Seite 123. Um die wirkliche Natur irgend eines Gegenstandes verstehen zu können, müssen wir unser Denken vergeistigen und ihn nicht mehr „nach dem Fleisch“ kennen. Nur wenn wir uns diesen geistigen Standpunkt zu eigen machen, können wir etwas Wahres oder Hilfreiches erfahren.
Selbst vom allgemein menschlichen Standpunkt aus sind die Völker mehr als bloß physikalische Gebilde; sie stellen Vereinigungen von menschlichen Wesen dar, die durch das Bewußtsein der Gleichartigkeit in gewissen Beziehungen, durch das Bewußtsein gemeinsamer Traditionen und gewisser gemeinsamer Merkmale miteinander verbunden sind. Wie alle Erscheinungsformen des menschlichen Daseins, so sind auch diese Merkmale teilweise gut und teilweise schlecht. Da sie jedoch unvollkommen sind, bestehen sie nicht im göttlichen Gemüt und existieren nicht für dieses Gemüt, und selbst im menschlichen Bewußtsein können sie keine Fortdauer haben. Gute Eigenschaften andererseits sind unzerstörbar, insofern sie vom göttlichen Gemüt, vom Prinzip hergeleitet werden.
In dem Maße also, wie jeder einzelne oder jedes einzelne Volk gute Eigenschaften zum Ausdruck bringt, bekundet dieser Mensch oder dieses Volk das, was unvergänglich und fortdauernd ist. Im Fall von Völkern wie auch im Fall von einzelnen Menschen können wir nur Freude empfinden über die Ausmerzung alles dessen, was Gott, dem Geist, unähnlich ist. „Die heilsamen Züchtigungen der Liebe fördern die Völker auf dem Wege zur Gerechtigkeit, zur Rechtschaffenheit und zum Frieden, welche die Marksteine des Wohlergehens sind“, schreibt Mrs. Eddy in ihrem Werk „The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany“ (Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, und Verschiedenes, S. 282).
Das bedeutet, daß unsere Liebe und unsere Hoffnungen für unser Vaterland nur in dem Maße befriedigt werden und in Erfüllung gehen können, wie wir als einzelne und als Völker verstehen lernen, unser Denken zu vergeistigen und es von dem Machwerk des menschlichen Stolzes, der menschlichen Furcht und der Selbstsucht zu entblößen. Geistige Ideen sind nicht das Monopol irgendeiner Gruppe oder eines Volkes. Sie sind allen Menschen erreichbar und kommen in Wirklichkeit schon jetzt vollkommen zum Ausdruck.
In seinem Brief an die Römer erklärte Paulus (10:12): „Es ist hier kein Unterschied unter Juden und Griechen; es ist aller zumal ein Herr, reich über alle, die ihn anrufen.“ Er sagte den heidnischen Christen zu Ephesus, daß sie fortan „Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen“ seien (Eph. 2:19).
Wie die Christliche Wissenschaft lehrt, muß das Verständnis von der wissenschaftlichen Tatsache, daß der Mensch von Gott, dem einen unendlichen Gemüt, regiert wird und nur göttliche Eigenschaften zum Ausdruck bringt, auch äußerlich in die Erscheinung treten. Wir wissen nicht, welche Veränderungen in den menschlichen Regierungssystemen, in den menschlichen Gesetzen und in den Verträgen eintreten mögen; aber wir können mit Bestimmtheit erwarten, daß in dem Verhältnis, wie Furcht, Habgier, Haß und Überheblichkeit dem wissenschaftlichen Verständnis von ihrer Unwirklichkeit weichen, sich auch eine Besserung der äußeren Bedingungen in zunehmendem Maße zeigen wird.
Die Christliche Wissenschaft lehrt jedoch, daß ein jeder Schritt vorwärts das Ergebnis individueller Demonstration sein muß; und die Christlichen Wissenschafter gedenken daher der Worte ihrer Führerin, Mrs. Eddy (Vermischte Schriften, S. 288): „Bei menschlichen Handlungen beginnt die Weisheit mit dem nächst Rechten unter den obwaltenden Umständen, und von da aus vollbringt sie das unbedingt Rechte.“
Um harmonisch und wirksam zu sein, erfordert die Regierung einer jeden Gruppe von Menschen die treue Unterstützung ihrer Mitglieder. Im gegenwärtigen Zeitpunkt können wir nicht auf eine Regierung verzichten, und daher ist es wichtig, ein Verständnis von wahrer Vaterlandsliebe zu erlangen. Wir können solch eine Vaterlandsliebe am wirksamsten zum Ausdruck bringen, indem wir in unserem Denken an der wissenschaftlichen Tatsache festhalten, daß es in Wirklichkeit keine Regierung gibt außer der, des göttlichen Gemüts, und keine Vereinigung außer der, die aus diesem Gemüt und seinen Ideen besteht. Das göttliche Gemüt regiert das gesamte geistige Universum und beschützt und erhält immerdar jede rechte Idee, jedes Element des Guten.
