Eine allgemein anerkannte Theorie der Erziehungspsychologie besagt, daß der Mensch ein Mechanismus sei, einem Rechenautomaten gleich, jedoch viel komplizierter. Die Theorie vertritt ferner die Ansicht, daß die Mentalität lediglich die Tätigkeit eines Mechanismus sei und daß es sich bei der Erziehung um einen Vorgang handele, bei dem der Mechanismus geschult wird, einem gewissen Schema zu folgen, d.h. auf bestimmte Reize in gewünschter Weise zu reagieren. Nach dieser Theorie ist sittliches Verhalten nur nützlich, um den Mechanismus voll funktionsfähig zu erhalten.
Ein klarer Trennungsstrich scheidet diese Theorie von der Wirklichkeit, wie sie in der Christlichen Wissenschaft gelehrt wird. Der wirkliche Mensch ist eine geistige Idee des göttlichen Gemüts, Gottes. Die Annahme von Gemüt in der Materie, sterbliches Gemüt genannt, andererseits schafft vermeintlich einen automatenähnlichen Sterblichen, der nur zu denken scheint, indem er Eindrücke wiedergibt, die auf seinen Gehirn-Nerven- Mechanismus gemacht wurden. Gottes Mensch spiegelt das allwissende Gemüt wider und weiß daher bereits alles. Er spiegelt Weisheit wider, Geschicklichkeit, Wahrnehmungsvermögen, Gerechtigkeit, Inspiration. Erziehung ist daher nicht ein Vorgang, bei dem ein Mechanismus geschult wird, sondern ein Prozeß, bei dem der Sterbliche von den Anahmen des sterblichen Gemüts befreit und der wirkliche Mensch enthüllt wird.
„Die Sterblichen sind den zu Gottes Ebenbild geschaffenen Unsterblichen nicht gleich; doch da der unendliche Geist alles ist, wird das sterbliche Bewußtsein schließlich der wissenschaftlichen Tatsache weichen und verschwinden, und der wirkliche Begriff vom Sein, das vollkommen und immerdar unversehrt ist, wird erscheinen“ (Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy, S. 295). Die Christliche Wissenschaft macht den falschen Glauben, daß der Traum des sterblichen Gemüts von einem Mechanismus ein Bewußtsein habe, der Wahrheit von dem einen Gemüt, Gott, untertan. Sittliches Verhalten ist nicht lediglich eine Angelegenheit mechanischer Zweckdienlichkeit; vielmehr handelt es sich dabei um ein Ausrichten nach dem einen Gemüt, ein Übereinstimmen mit der geistigen Natur des Menschen als des Ebenbildes des Gemüts.
Jeder Irrtum, dem wir in unserer menschlichen Erfahrung begegnen, ist in der Annahme des sterblichen Gemüts eingeschlossen, daß der Mensch ein Mechanismus sei. Sünde, Krankheit, Mangel, Unsicherheit, Tod — alle drücken die Annahme aus, daß ein Bewußtsein, sterbliches Gemüt genannt, in der Materie Ausdruck finde. Dieser Ausdruck scheint wie ein Mechanismus in Unordnung zu geraten, fehlerhaft zu arbeiten und sich abzunutzen, weil das sterbliche Gemüt glaubt, es sei ein Mechanismus. Doch das Heilen in der Christlichen Wissenschaft läßt folgendes erkennen: Wenn ein Mensch dazu erzogen wird, seine Annahme von Gemüt in der Materie aufzugeben und sich der Wirklichkeit des einen Gemüts zu ergeben, dann treten diese Irrtümer nicht länger auf, und ihre Wirkungen sind zerstört.
Die Christlichen Wissenschafter verstehen, daß der Mensch das Ebenbild des einen Gemüts ist. In dem Maße, wie sie diese Wahrheit praktisch anwenden, demonstrieren sie ihr Verständnis und liefern so einen Beweis nach dem anderen, daß der Mensch geistiger Natur und die materielle Annahme falsch ist. Die Zeugnisse in diesem Herold berichten über einige dieser Beweise.
Christus Jesus erbrachte ähnliche Beweise; er heilte Krankheiten aller Art, selbst in Fällen, wo die Krankheit den Tod des Körpers zur Folge zu haben schien. Jesus nahm in diesen Fällen nicht eine physische Berichtigung eines Mechanismus vor; er heilte allein durch geistige Mittel, durch die Macht des einen Gemüts, Gottes.
Die vom Meister vollbrachten Heilungen legten dieselbe Tatsache dar, die auch in seiner demütigen Veranschaulichung von Wissen und Weisheit zum Ausdruck kam. Im Johannesevangelium lesen wir (7:4, 15): „Aber mitten im Fest ging Jesus hinauf in den Tempel und lehrte. Und die Juden verwunderten sich und sprachen: Wie kann dieser die Schrift, so er sie doch nicht gelernt hat?“ Vor Jesus hatten erfolgreiche Führernaturen unter den Menschen göttliche Intelligenz demonstriert. Abraham, Jakob, Joseph, Moses, Elia, Elisa, Daniel und andere zeigten, daß sich die wahren Tatsachen der Erziehung auf das göttliche, allwissende Gemüt gründen.
Nach Jesus lernte Saulus, daß sein sterbliches Selbst, das nach der materialistischen Vorstellung von den Dingen eine gute Erziehung genossen hatte, umlernen — aufgeben mußte, was er gelernt hatte; er mußte den Irrtum des Materialismus ablegen, ehe er seine wahre Selbstheit als Kind Gottes erkennen konnte. Die selbstsüchtigen, lieblosen, bösen Elemente seiner Erziehung wurden aufgelöst, und er erhielt den neuen Namen Paulus.
Eine richtige Auffassung von Erziehung weist den Weg zu einer richtigen Auffassung von Gesundheit. Gesundheit wird demonstriert, wenn wir den Menschen als eine geistige Idee ansehen und den Glauben überwinden, er sei ein vom sterblichen Gemüt gesteuerter Mechanismus.
Es gibt nur ein Gemüt. Das sterbliche Gemüt ist eine falsche Annahme. Wenn der Mensch in einem Falle geistig ist, dann ist er es in allen Fällen. Und wenn das Verständnis von dieser Tatsache — auf die menschliche Erfahrung angewandt — die falsche Annahme zerstört und in einem Fall eine Besserung des Zustandes bewirkt, muß es auch in allen anderen Fällen eine Besserung bewirken. Versäumen wir, diese Wahrheit anzuwenden, dann bleibt der Fortschritt aus, und das ist immer so.
Wenn wir beabsichtigen, ein Kind in Mathematik zu unterrichten, oder im Lesen oder in der Kunst, welchen Begriff vom Menschen wenden wir dann auf den Fall an? Haben wir einen materiellen Mechanismus vor uns, etwas, was durch Wiederholungsvorgänge geschult werden muß, oder handelt es sich hier um eine geistige Idee, die der sterbliche Sinn fälschlicherweise so darstellt, als fehle es ihr in etwas an Intelligenz und Weisheit?
Es mag leichter erscheinen, von einem Kinde als einem Mechanismus zu denken. Dann können wir seine Erziehung in Kategorien einteilen, es dazu erziehen, „7“ zu denken, wenn es 4 + 3 sieht, fünf Worte mit einem Blick zu lesen oder „Nein“ zu sagen, wenn es versucht ist, moralische Gesetze zu übertreten, die es pflichtgetreu auswendig gelernt hat. Wenn das Kind jedoch von sich selbst als einem Mechanismus denkt und wir es darin bestärken oder es selbst so sehen, dann stimmt dies mit dem Traum des sterblichen Gemüts überein, der im Widerspruch zur Wirklichkeit steht.
Die Lösung liegt nicht in der Ausschaltung der Schulung, die zur Geschicklichkeit führt, sondern in der Ausschaltung des materialistischen Begriffes von ihr. Der materialistische Begriff, der Traum des sterblichen Gemüts, ist von dem Mechanismus und seiner Ausbildung für erzieherische Vorgänge abhängig. Der geistige Begriff ist vom göttlichen Gemüt und von der Betätigung der widergespiegelten Gemüts-Eigenschaften abhängig.
In dem Verhältnis, wie wir den geistigen Begriff auf das menschliche Problem anwenden, werden wir entdecken, daß wir die wahre Natur des Kindes richtig einschätzen und erzieherische Vorgänge als befreiende Vorgänge benützen; statt einen Mechanismus zu schulen, werden wir die Wahrheit von dem einen Gemüt anwenden und das Kind aus der Begrenzung der sterblichen Annahme befreien.
Es ist etwas Natürliches für ein Kind zu verstehen, daß 4 + 3 = 7 ist. Der Lehrer, der dies weiß und diese Tatsache dem Kinde liebevoll vermittelt, wird feststellen, daß weniger Zeit für den Unterrichtsprozeß nötig ist. In dem Maße, wie die Nichtsheit des sterblichen Gemüts und die Wahrheit über des Menschen unsterbliche Widerspiegelung des göttlichen Gemüts klarer wird, wird dieser Prozeß verschwinden. Die Erziehung wird zu einem geistig wissenschaftlichen Enthüllen des Wirklichen werden.