Viele Menschen geraten in eine gewisse Furcht, wenn das Wort Autorität nur erwähnt wird, Furcht vor deren macht, Gehorsam gegen ihre Anordnungen zu erzwingen. Diese Einstellung ist das Ergebnis der sterblichen Annahme, daß Autorität gleichbedeutend ist mit Willkürherrschaft und dem Besitz physischer Macht und, was noch wichtiger ist, daß Gehorsam gegenüber einer Autorität, der manchmal in blinde Unterwerfung ausartet, der individuellen Freiheit und dem Recht auf freie Entscheidung entgegensteht.
Die Christliche Wissenschaft [Christian Science] hat die Tatsache enthüllt, daß diese ganze materialistische Auffassung von Autorität trotz allen gegenteiligen Sinnenzeugnisses falsch ist. Sie zeigt auch, daß ein Verständnis von dem Wesen wahrer Autorität uns helfen wird, uns von der Furcht und der Last, an ihre Fälschung zu glauben, zu befreien, ohne uns den Wechselfällen auszusetzen, die den rein willensmäßigen Widerstand gegen sterbliche Willkürherrschaft begleiten.
Die Christliche Wissenschaft [Christian Science] lehrt, daß Autorität in ihrer tatsächlichen oder geistigen Bedeutung die absolute Oberhoheit Gottes, des Geistes, der Liebe, über ihr auf einer Annahme beruhendes Gegenteil, Materie oder Böses genannt, bezeichnet — die vollständige Herrschaft der Wahrheit über den Irrtum, des Guten über das Böse, der Intelligenz über die Nichtintelligenz.
Da der Mensch in Wirklichkeit nicht ein physischer Körper mit einem eigenen Gemüt von zweifelhafter Beschaffenheit ist, sondern ein individuelles geistiges Bewußtsein, spiegelt er die Fähigkeit wider, Gottes unbestrittene Gewalt über Seinen unendlichen Ausdruck, den Menschen und das Universum, zu erkennen. Diese lebenspendende Autorität ist nicht diktatorisch, sondern regiert dem Gesetz Gottes gemäß. Sie ist daher liebevoll und liebenswert, und der Mensch, Gottes Idee, führt die Gebote seines Vater-Mutter Gottes aus, die ihn leiten, ihn beglücken und seine Freiheit sicherstellen.
Menschlich können wir diese Autorität nur in dem Maße ausdrücken, wie wir uns selbst der himmlischen Autorität der Wahrheit und Liebe unterworfen haben und göttliche Intelligenz, Frieden und Wohlwollen in unserem Leben kundtun. Und in ebendemselben Maße wird die uns übertragene vorübergehende Autorität als der menschliche Ausdruck des göttlichen Prinzips erkannt werden, dem man gern gehorchen wird, denn die Ausübung dieser Autorität wird zu echter menschlicher Hilfsbereitschaft führen. Die Macht einer solchen Autorität wird von ihrer Widerspiegelung der göttlichen Liebe hergeleitet; sie wird daher nicht persönlich, sondern geistig sein, und Gehorsam ihr gegenüber wird dazu beitragen, die individuelle Freiheit zu entfalten und sicherzustellen.
Christus Jesus war der freieste aller Menschen, weil er der Autorität Gottes gegenüber der gehorsamste Mensch war. Und eine andere Autorität erkannte er nicht an. Eine bloße Scheinautorität, die sich nicht auf Wahrheit und Liebe, sondern nur auf physische Kraft stützen kann, vermochte ihn nicht einzuschüchtern oder seine klare Überzeugung von der endgültigen Rechtsgewalt Gottes zu ändern.
Als der Meister von Pilatus, der als römischer Landpfleger die höchste Autorität in Judäa besaß, zur Rede gestellt wurde, weigerte er sich, ihm zu antworten. Darauf sprach Pilatus zu ihm (Joh. 19:10): „Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, daß ich Macht habe, dich loszugeben, und Macht habe, dich zu kreuzigen?“ In seiner Antwort tat Jesus das Wesen und den Ursprung aller wahren menschlichen Autorität kund: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht wäre von oben her gegeben.“ Selbst in seiner äußersten menschlichen Bedrängnis blieb die klare Erkenntnis des Meisters unberührt, daß allein Gott Gewalt über ihn besaß, und er weigerte sich, sein Vertrauen auf die erlösende und errettende Macht dieser Autorität aufzugeben.
Im Verlauf der menschlichen Erfahrung mögen sich Situationen ergeben, wo wir gezwungen zu sein scheinen, uns dem Willen einer menschlichen Autorität zu fügen, der unserer höchsten Auffassung vom Guten widerspricht. Wenn wir uns auf diese Weise vorübergehend und äußerlich einer Notwendigkeit beugen, so braucht das doch nicht unsere innere Treue gegen das göttliche Prinzip, Liebe, zu berühren oder unsere Erkenntnis von der Gewalt, die Gott über uns hat, zu trüben.
Wenn wir uns weigern, uns von einem Gefühl der Demütigung, des Verletztseins, des Grolles, des Hasses oder von dem Drang nach bloßem halsstarrigen Widerstand beherrschen zu lassen, wird uns hingebungsvolles Festhalten an dem Gedanken, daß Gott allerhaben und der Irrtum illusorischer Natur ist, eine unfehlbare Stütze sein. Dann mag sich uns durch die Verbindung von äußerer Beschränkung und innerem Wissen enthüllen, welche menschlichen Schritte wir zu unternehmen haben, damit die wahre Beziehung des Menschen zum Menschen zutage tritt, die auf die weltumfassende Vaterschaft Gottes gegründet ist.
Mrs. Eddy versichert uns (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 470): „Mit einem Vater, nämlich Gott, würde die ganze Familie der Menschen Brüder werden; und mit einem Gemüt, und zwar Gott oder dem Guten, würde die Brüderschaft der Menschen aus Liebe und Wahrheit bestehen und Einheit des Prinzips und geistige Macht besitzen, die die göttliche Wissenschaft ausmachen.“
Selbst dem ernsthaftesten Krankheitsfall trat Jesus niemals zaghaft oder zögernd entgegen, sondern mit einer Entschiedenheit, die darauf zurückzuführen ist, daß er sich in vollem Maße der geistigen Gewalt über das Böse bewußt war, die ihm der Christus, die Wahrheit, verlieh. Als er vor dem epileptischen Knaben stand, den die Jünger nicht hatten heilen können, wandte er sich mit der Macht seiner Autorität an den Irrtum und sprach (Mark. 9:25): „Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir, daß du von ihm ausfahrest und fahrest hinfort nicht in ihn!“ Und der Knabe war geheilt.
Die geistige Autorität, die der Christus verlieh, hat sich nicht gewandelt; sie besteht heute ebenso endgültig wie damals. Es ist daher nur natürlich, daß uns Mrs. Eddy ermahnt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 395): „Gleich dem großen Beispielgeber sollte der Heiler zu der Krankheit sprechen wie einer, der Gewalt über sie hat, und sollte es Seele überlassen, den falschen Augenschein der körperlichen Sinne zu meistern und die Ansprüche der Seele der Sterblichkeit und Krankheit gegenüber geltend zu machen.“
Ob jedoch der Irrtum, dem wir uns gegenübersehen, ungerechte sterbliche Willkürherrschaft ist, die beansprucht, Gewalt über uns zu haben, ob furchteinflößende Krankheit oder abscheuerregende Sünde, wir tun gut daran, uns von dem ganzen menschlichen Bild entschlossen abzuwenden. Dann halten wir uns an den grundlegenden Rat, der uns von der Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft [Christian Science] erteilt wurde, einen Rat, der aus der wunderbaren Liebe, die sie ausströmte, und ihrer tiefen geistigen Einsicht geboren war (ebd., S. 403): „Du bist Herr der Situation, wenn du verstehst, daß das sterbliche Dasein ein Zustand der Selbsttäuschung ist und nicht die Wahrheit des Seins. Das sterbliche Gemüt bringt beständig die Resultate falscher Ansichten am sterblichen Körper hervor; und es wird dies so lange tun, bis der sterbliche Irrtum seiner eingebildeten Kräfte durch Wahrheit beraubt wird, die die Spinngewebe der sterblichen Illusion hinwegfegt.“
Daß dieser Rat auf jeden Anspruch fleischlicher Willkürherrschaft anwendbar ist, geht aus der Randüberschrift zu diesem Abschnitt hervor: „Die Macht des Irrtums eingebildet“.