Je mehr wir über das Leben Jesu nachdenken, desto klarer erkennen wir, daß das Gute für ihn etwas ganz Natürliches war. Was die Menschen als Wunder ansahen, war in seiner Sicht überaus natürlich. Da er sich von Kindheit an als den geliebten Sohn Gottes erkannt hatte und für ihn nur das Gute Wirklichkeit besaß, vermochte er alle Arten von Krankheit und Disharmonie zu heilen und die Toten zu erwecken. Seine eigene Auferstehung und Himmelfahrt bewiesen die Natürlichkeit des Lebens und dessen Kundwerdungen und die Nichtsheit des Todes.
Mrs. Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, beginnt ihre Definition von „Wunder“ mit folgenden Worten: „Das, was göttlich natürlich ist, aber menschlich erfaßt werden muß“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 591). Jesus war zu allen Zeiten sündlos, doch wie seine fortschreitenden Demonstrationen erkennen lassen, „erfaßte er menschlich“. So wurde er der Wegweiser für die ganze Menschheit.
Ein kleines Kind hat gewöhnlich liebevolle, wohlmeinende Gedanken und Ideen und völliges Vertrauen auf das Gute. Aufgrund einer falschen Erziehung macht es sich dann später leicht irrige Annahmen zu eigen, die das kindliche Denken trüben. Der erwachsene Mensch mag von Befürchtungen und Zweifeln heimgesucht werden und anfangen, auf Argumente zu hören, die ihn in alle Richtungen treiben. Seine alten Hoffnungen, etwas Großes zu vollbringen, mögen schwinden, weil er angefangen hat, an eine dem Guten entgegengesetzte Kraft zu glauben. Trotzdem behält er ein inniges Verlangen nach dem Guten. Er braucht dringend den Mut, am Guten festzuhalten, von dem er im Grunde seines Herzens weiß, daß es wirklich besteht, und er muß seinen Glauben an jegliche materielle Macht des Bösen aufgeben.
Jesus wußte, daß das Gute — das Gutsein — jedem Menschen zu eigen ist. Wenn dies aber nicht einmal in der Kindheit zum Ausdruck kommt, bedeutet das lediglich, daß das wahre, göttliche Ebenbild in Unwahrheit verborgen ist. Das Unwahre muß daher abgelegt werden, damit das Wahre offenbar werden kann. Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß es die Annahme von Leben in der Materie ist, die ausgemerzt werden muß, der Irrtum, daß materielle Symbole wirklich sind. Solange eine irrtümliche Annahme beibehalten und ihr gemäß gehandelt wird, gibt es Kampf und Leid. Falsche Annahmen über Gott und den Menschen stellen eine Sünde mit allen ihren schlimmen Folgen dar.
Im Neuen Testament wird der Ausdruck „natürlicher Mensch“ gebraucht, um den sündigen Sterblichen zu bezeichnen. Im menschlichen Leben ist es wichtig zu erkennen, daß im wahren Sinn „natürlich sein“ nicht bedeutet, den versuchungen und Neigungen des Fleisches nachzugeben, in dem Glauben, wir seien so geschaffen. Diese Ansicht wird heute oft in der Welt vorgebracht, und junge Leute sind nicht immer davor geschützt. Der von Gott geschaffene Mensch ist geistig, rein und gänzlich frei von Sünde. Jesus bewies, daß diese heilende Wahrheit unter allen Umständen gegenwärtig und wirksam ist. Er befreite die Leidenden von der Last der Sünde, der fleischlichen Annahmen, und so wurden sie dann ganz natürlich geheilt.
Wenn jeder einzelne die Reinheit des Menschen versteht und sich dadurch Schritt für Schritt über die „Lüste des Fleisches“ erhebt, fängt er an, sich seiner Freiheit zu erfreuen, der Freiheit, seine natürliche, uneingeschränkte Selbstheit zu finden, wie sie von Gott geschaffen wurde.
Paulus legte die schlimmen Folgen dar, die sich einstellen, wenn wir den „Lüsten des Fleisches“ nachgeben. In seinem Brief an die Römer weist er darauf hin, daß Ehre sowohl den Juden als auch den Heiden gebührt, die der Wahrheit gehorchen, und daß das natürliche Gute in ihnen ist. Er schrieb (Röm. 2:14, 15): „Wenn die Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur tun des Gesetzes Werk, so sind sie, obwohl sie das Gesetz nicht haben, sich selbst ein Gesetz; denn sie beweisen, des Gesetzes Werk sei geschrieben in ihrem Herzen.“
Auch der Apostel Petrus lehrte, daß es die „Lüste“ sind, die verderben, und daß der Mensch ein „unvergängliches und unbeflecktes und unverwesliches Erbe“ hat (1. Petr. 1:4). Die Lehre dieser beiden großen Apostel ist eindeutig, und den Christen sollte es nicht schwerfallen, die Kinder heute in diesen Dingen sorgfältig und mit Autorität zu unterrichten.
Ist die ursprüngliche Reinheit des Menschen verlorengegangen? Sie kann nicht geistig verlorengegangen sein; doch sehen wir das Selbst in menschlicher Sicht, so mögen wir unsere Reinheit aus den Augen zu verlieren scheinen. Dann müssen wir sie wiederfinden. Wir können stets den goldenen Faden des unwandelbaren Guten aufnehmen. Das natürliche Gute oder Gutsein deutet gewiß auf die Präexistenz oder Koexistenz des einzelnen mit Gott hin und damit auf die Harmonie und Unsterblichkeit des Menschen.
In Mrs. Eddys Buch „Vermischte Schriften“ lesen wir (S. 200): „Die Wahrheit, die in ihrer ganzen Natürlichkeit das Gemüt Jesu erfüllte, machte ihm das Heilen leicht und augenblicklich wirksam. Für Jesus war das Gute der normale Zustand des Menschen und das Böse der abnorme; für ihn stellten Heiligkeit, Leben und Gesundheit Gott besser dar als Sünde, Krankheit und Tod.“
Wenn wir das Gute als etwas Natürliches annehmen, können wir es jetzt in unserem Leben anwenden. Wir können uns weigern, uns vom Irrtum durch Furcht dazu treiben zu lassen, in den kleinsten Dingen unseres täglichen Lebens von der Wirklichkeit des Guten abzugehen. Wenn wir unserem Selbst am treuesten sind, das heißt dem Selbst, das Gott kennt, können wir anderen den größten Dienst erweisen. Auch ist es schön festzustellen, daß menschliche Zuneigung wahrhaftiger und dauernder ist, wo immer natürliches Gutsein zum Ausdruck kommt.
Dieses natürliche Gutsein muß wertgeschätzt werden. Die höheren Formen der Bildung sind dazu angetan, unsere Beobachtungsgabe und unseren Scharfblick zu erhöhen und neue Ideen zu entwickeln.
Mrs. Eddy schreibt in „Miscellany“ (S. 253): „Am besten verstehen wir das, was in uns selbst beginnt und sich durch Weiterbildung zur Geburt entfaltet. Habe den Mut, Gott und dem Menschen treu zu sein. Laß das Geschaffene mit seinem Schöpfer eins werden, und der Mystizismus weicht, der Himmel öffnet sich, das Recht regiert, und du hast begonnen, ein Christlicher Wissenschafter zu sein.“
Laßt uns alle unser natürliches Gutsein furchtlos pflegen und darauf hinarbeiten, unsere geistige Größe als Söhne und Töchter Gottes zu erlangen. Schließlich ist Güte für jeden und alle etwas Natürliches.