Es wird heute viel über Moral gesprochen. Einige bestehen darauf, daß die Zivilisation zugrunde gehen werde, wenn die Menschheit nicht in Gehorsam gegen das moralische Gesetz lebe, wie es in den Zehn Geboten dargelegt ist. Andere erklären, daß solch ein Sittenkodex unnatürlich sei und daß die Zivilisation sich nur weiterentwickeln könne, wenn sie einen Sittenkodex ausarbeite, der mit den Naturgesetzen übereinstimme.
Die materialistische Psychologie liefert Beweise, die uns, wenn sie nur von einem materiellen Standpunkt aus betrachtet werden, glauben lassen möchten, daß wir ein befriedigenderes Leben führen könnten, wenn wir unsere Bindung an das moralische Gesetz aufgäben. Einige Theologen, die diese Beweise akzeptieren, schließen sich den Bestrebungen nach einer neuen Moral an. Andere sehen in dieser Tendenz den Verlust der Identität des Menschen als des Kindes Gottes und den daraus folgenden Verfall der Zivilisation.
Die geteilte Meinung bezieht sich im Grunde nicht auf den praktischen Wert des moralischen Gesetzes. Sie bezieht sich auf das Wesen des Menschen. Die grundlegende Frage ist, ob der Mensch materiell oder geistig ist. Wenn wir zugeben müßten, daß der Mensch materiell ist, würden wir uns dem niederdrückenden Beweismaterial auf seiten des Materialismus zu fügen haben. Aber wir haben den Beweis, daß der Mensch geistig ist. Christus Jesus erbrachte uns diesen Beweis durch sein Wiedererscheinen nach der Kreuzigung. Heutzutage haben wir weitere Beweise durch die heilende Wirkung eines geistigen Verständnisses vom Leben. Und Paulus sagte (1. Kor. 3:19): „Dieser Welt Weisheit ist Torheit bei Gott.“
Das Heilen in der Christlichen Wissenschaft beweist, daß mehr zum Leben gehört, als die physischen Sinne sehen. Unsterblichkeit, Heiligkeit, Harmonie, Gerechtigkeit, Reinheit, Gesundheit sind einige der Eigenschaften des göttlichen Lebens, für die die geistigen Sinne zeugen. Der Materialismus sagt, daß nichts außerhalb der physischen Sinne bestehe. Er behauptet daher, daß es sich nicht lohne, sinnliche Begierden zu unterdrücken; nichts werde durch ein solches Bemühen gewonnen. Aber durch eine Heilung in der Christlichen Wissenschaft wird die materialistische Ansicht als unwissenschaftlich bloßgestellt, weil diese Heilung ein solches Sinnenzeugnis wie Disharmonie und Krankheit zerstört.
Den Christlichen Wissenschaftern wird manchmal vorgeworfen, daß sie ihre Augen vor dem verschlössen, was die physischen Sinne wahrnehmen. Tatsächlich aber macht der Materialismus den Menschen blind gegen den größten Teil dessen, was zu sehen ist, und ein Christlicher Wissenschafter ignoriert den materiellen Augenschein nicht, sondern er wägt ihn gegen die geistige Augenscheinlichkeit ab. Auf der Grundlage seiner Feststellungen ignoriert er das Böse nicht, sondern ist imstande, es zu überwinden.
Ein Christliche Wissenschafter sagt nicht bloß, daß es keine Krankheit gäbe; er tritt der Krankheit als das entgegen, was sie im Lichte einer vollen Wahrnehmung des Augenscheins ist, den die göttliche Wissenschaft liefert. In diesem Licht wird die geistige Wirklichkeit in allen Einzelheiten wahrgenommen und die Nichtsheit der Krankheit wird erkannt. Krankheit ist eine Illusion, und Wahrheit zerstört sie.
Geistige Augenscheinlichkeit ist unsterbliche Augenscheinlichkeit. Sie ist das, was wir sehen und fühlen, wenn wir uns der göttlichen Liebe als des einen Gemüts, des Alles-in-allem, bewußt sind. Sie ist unsterbliche Vollkommenheit und Schönheit, die wir schauen, wenn wir uns unserer Selbstheit als einer Idee des Gemüts bewußt werden, die gänzlich im göttlichen Bewußtsein besteht.
Der Materialismus andererseits behauptet, der Augenschein sei materiell, weil das Bewußtsein in der Materie sei. Er behauptet ferner, daß die Identität des einzelnen das Ergebnis belebter Materie sei. Er erklärt, daß man sich so lange als eine Einzelperson erkenne, wie dieser Organismus in Ordnung bleibe; aber wenn der Tod einträte und der organische Bau des bewußten Einzelwesens zusammengebrochen sei, habe der einzelne keine Identität mehr. Der Materialismus besteht darauf, daß das Bewußtsein, da es als Bestandteil der Materie selbst existiere, niemals aus der Materie herausgehe.
Dieser Theorie gemäß sind Identität und Individualität materiell entwickelt, und ihr Tod ist ein materieller Vorgang. Auch sollte nach dieser Theorie der Hauptzweck jeder Verhaltungsmaßregel der sein, die materielle Identität aufrechtzuerhalten, indem man eine gesunde materielle Strucktur begünstigt.
Auf Seite 300 in „Wissenschaft und Gesundheit“ sagt Mrs. Eddy: „Die Theorie, daß Seele, Geist und Intelligenz der Materie innewohnen, wird von den Schulen gelehrt. Diese Theorie ist unwissenschaftlich.“ Und auf Seite 307 schreibt sie: „Wahrheit hat keinen Anfang. Das göttliche Gemüt ist die Seele des Menschen und gibt dem Menschen Herrschaft über alle Dinge. Der Mensch wurde nicht von einer materiellen Grundlage aus erschaffen, noch wurde ihm geboten, materiellen Gesetzen zu gehorchen, die Geist niemals gemacht hat; die geistigen Satzungen und das höhere Gesetz des Gemüts sind sein Gebiet.“
Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß der Mensch Idee ist und daß jeder einzelne seine unsterbliche Identität im Gemüt hat. Verhaltungsmaßregeln — eine gesunde Moral — sind erforderlich, um wahre geistige Identität aufzurichten und aufrechtzuerhalten.
Gemüt, nicht die Materie, ist grundlegend. In der Tat, Gemüt ist Alles, und die Materie ist eine falsche Darlegung, eine Illusion der sterblichen Annahme. Diese Tatsache ist demonstrierbar. Jede christlich-wissenschaftliche Heilung demonstriert sie in gewissem Grade und beweist, daß wir auf dem Wege sind, sie voll und ganz zu demonstrieren — durch das Überwinden von Sünde und Tod und schließlich durch die Erhebung über jede materielle Annahme.
Die Frage bezüglich des moralischen Gesetzes ist daher eine praktische Frage. Es gibt nur eine praktische Antwort, nämlich die, daß das moralische Gesetz befolgt werden muß. Es ist das Gesetz des unsterblichen Lebens, und es kommt von diesem Leben zu uns. Durch Gehorsam gegen dieses Gesetz und durch das Verständnis von der Wissenschaft des Lebens können der Druck und die Enttäuschungen des menschlichen Daseins überwunden werden. Und jedes Überwinden ist ein Schritt, der uns der Demonstration unserer unsterblichen Identität näherbringt.
