Christus Jesus wußte sehr wohl um den endgültigen Zustand des Seins, denn als er sein segensreiches Wirken als Heiland begann, lautete seine erste Verkündigung (Matth. 4:17): „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ Das war eine grundlegende Botschaft, denn der Himmel, die göttliche Harmonie, ist die absolute Wahrheit des Seins — jenseits aller Materie und allen Irrtums. Doch Jesus milderte den absoluten Charakter dieser Botschaft, indem er sie mit folgender Ermahnung zu rechtem Handeln einleitete: „Tut Buße.“ Er sagte: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“
Die Methode, die der Meister beim Lehren und Predigen anwandte, war ganz und gar durch maßvolles Handeln gekennzeichnet. Wenn er auch einen vollkommenen Himmel und dessen Herrlichkeiten enthüllte und seine völlige Erlösung von der Sterblichkeit ausarbeitete, so weisen doch seine Gleichnisse und Vorschriften stets nachdrücklich darauf hin, daß menschliche Schritte wie Fleiß, Ausdauer und Erneuerung des Denkens unerläßlich sind, wenn wir das Himmelreich inwendig in uns erreichen wollen.
Die Christliche WissenschaftChristian Science; sprich: kr´istjən s´aiəns. folgt dem Weg des Meisters, und wenn wir sie ausüben, stellen wir fest, daß wir nicht mit einem Sprung von der Sterblichkeit zur Unsterblichkeit gelangen können. Doch unsere Erkenntnis von der absoluten Wahrheit bewirkt, daß wir unser menschliches Selbst und unsere unmittelbaren Angelegenheiten unter die Herrschaft des göttlichen Gesetzes bringen. Wir mögen nach einer Krankheit plötzlich gesund werden, aber wir verlassen nicht plötzlich die Erde, um in den Himmel zu gelangen. Wir erwarten, daß die absolute Wahrheit, die wir bejahen, eine bestimmte Wirkung auf unseren Charakter und auf unsere gegenwärtige Lebensauffassung ausübt, und wir arbeiten daran, uns der Macht zu ergeben, die umwandelt.
Unsere Führerin, Mary Baker Eddy, sagt in ihrem Buch „Vermischte Schriften“ (S. 215): „Das sterbliche Gemüt neigt dazu, von einem Extrem in das andere zu fallen: Wahrheit tritt dazwischen und sagt: ‚Ich verwunde, um zu heilen; ich strafe um zu bessern; ich tue dies alles aus Liebe; meinen Frieden lasse ich euch, nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Macht euch auf und laßt uns von hinnen gehen. Wir wollen uns von der materialistischen Auffassung göttlicher Mittel und Weisen scheiden und sie geistig verstehen.‘ “ Und sie warnt uns davor, das Ende für den Anfang zu halten.
Wer einen extremen Standpunkt in der Wissenschaft einnimmt, aber die dazwischenliegenden Stufen des Fortschritts und die notwendige persönliche Umwandlung ignoriert, läßt einen wesentlichen Punkt in der Anwendung der Christlichen Wissenschaft außer acht. Wer einen solchen Standpunkt einnimmt, ohne demütig anzuerkennen, daß er von einer entsprechenden geistigen Entwicklung begleitet sein muß, mag glauben, er sei sehr wissenschaftlich, doch wird er wahrscheinlich nicht das Empfinden haben, er sei ein besserer Christ als zuvor. Fortschritt wird nur dadurch erlangt, daß wir die Wahrheit leben; und eine jede andere Einstellung gleicht der eines Heuchlers.
In der „Wissenschaftlichen Übertragung vom sterblichen Gemüt“, wie wir sie auf den Seiten 115 und 116 des Buches „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ finden, bezeichnet Mrs. Eddy Mäßigkeit als eine Übergangseigenschaft zwischen dem Physischen und dem Geistigen. Diese Stufe führt zu dem moralischen Bewußtsein, in dem die bösen Annahmen des sterblichen Gemüts zu verschwinden beginnen. Die Menschheit kann nicht auf einmal von der Verderbtheit zum Verständnis gelangen, sondern muß auf dem aufwärts führenden Weg getreulich die moralischen Gebote befolgen.
Die Notwendigkeit für moralisches Empfinden bedeutet nicht, daß der Christliche Wissenschafter, wenn er gedanklich argumentiert, mit dem Moralischen beginnt oder daß die Moral sein endgültiges Ziel ist. Diese Wissenschaft beginnt mit den absoluten Tatsachen des Seins und läßt diese Tatsachen auf das sittliche menschliche Verhalten einwirken und es beeinflussen. Die Grundlage der wissenschaftlichen Behandlung oder des wissenschaftlichen Gebets ist stets die absolute Wahrheit von der Allheit Gottes und der Vollkommenheit des Menschen. Die Wirkung einer solchen Behandlung zeigt sich in einem besseren sittlichen Empfinden, in größerem Glauben, maßvollerem Handeln, tiefer empfundener Barmherzigkeit, größerer Unabhängigkeit von der Materie, einem Ausdruck von Zuneigung und Liebe, der menschliche Belange mehr berücksichtigt.
Mrs. Eddy sagt (Vermischte Schriften, S. 205): „Die Sterblichen, die am Gestade der Zeit die Christliche Wissenschaft erfassen und leben, was sie gelernt haben, überschreiten schnell die Schwelle zum Himmlischen — dem Angelpunkt, um den sich alle Umwälzungen in der Natur, im bürgerlichen oder religiösen Leben gedreht haben, die ersten immer im Dienst der Nachfolgenden — vom Unbeständigen zum Beständigen, vom Unreinen zum Reinen, von Stumpfheit zu Heiterkeit, vom Zügellosen zum Ausgeglichenen.“
Der menschliche Wille verleitet die Menschen zu ungezügelten Handlungen, und dies hindert den echten Fortschritt. Wenn Umwälzungen in der Natur oder im bürgerlichen Leben Diener des wahren religiösen Denkens sind, dann werden die Handlungen weniger extrem, und die Weisheit übernimmt die Leitung. Wenn wir die absolute Wahrheit in religiöser Weise anwenden, dann ist es richtig, geduldig darauf zu warten, daß diese Wahrheit ihre Arbeit tun wird, und nicht zu entscheiden, daß in menschlicher Weise etwas Drastisches unternommen werden müßte, um die Wirkung der Wahrheit zu beschleunigen. Gott regelt alles auf Seine Weise, und Seine Weise bedarf nicht der Vorschrift menschlicher Meinung.
Wenn es auch wissenschaftlich richtig ist, daß unsere Wahrheitserklärungen absolute Gewißheit ausdrücken sollten, so ist es doch andererseits ebensorichtig, sich in bezug auf menschliche Meinung und menschliches Handeln Demut zu bewahren. Das Verständnis, daß Gottes Weisheit die einzige Weisheit ist, läßt uns bereitwilliger extreme menschliche Schlußfolgerungen vermeiden. Unsere Führerin berührt das Thema des Extremismus in den folgenden Worten (ebd., S. 374): „Fanatiker leugnen entweder hartnäckig oder bestätigen überschwenglich die Meinungen eines jeden Zeitalters: der eine gibt nicht ‚dem Kaiser, was des Kaisers ist‘, der andere sieht ‚die Schönheit Helenas im Angesicht Ägyptens‘.“
Alle, die sich durch maßvolles Handeln auszeichnen, sind bereit, dem Rat Jesu zu folgen (Mark. 12:17): „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“
