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„Keine Finsternis“

[Für Jugendliche]

Aus der August 1967-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Es war ein grauer, kümmerlicher Kombiwagen — ein klappriger, alter Großvater von einem Auto, verglichen mit den schnittigen, chromblitzenden Sportwagen, die einige der Oberschüler fuhren. Aber als mir an einem sonnigen Nachmittag Vater die Schlüssel dazu gab und mir sagte, daß ich das Auto nun selbst fahren könnte, wenn ich es brauchte, kam mir dieser alte Klepper von einem Auto plötzlich wie ein Vollblut vor!

Das war, als ich in meinem ersten Jahr an der Föhrental-Oberschule war, und mein Fahrlehrer lobte meine reibungslose Fahrtechnik, als er uns die Beurteilungen aushändigte. Meine Eltern waren jetzt mit dem Auto sehr großzügig. Die einzige Bedingung, die Vater stellte, war, daß ich die Verkehrsregeln beachtete und nur zum vereinbarten Bestimmungsort führe und von dort direkt nach Hause.

Als an einem Sonnabendabend meine Freundin und ich aus dem Kino kamen, hatte ich, wie ich meinte, eine glänzende Idee. „Laß uns zum Aussichtsberg fahren — es ist zu früh, jetzt schon nach Hause zu gehen!" Judith stimmte zu; so machten wir kehrt und fuhren über den brausenden Wasserfall des Indianerflusses einen kurvenreichen Weg hinauf zu einem hohen bewaldeten Plateau, von dem man einen weiten Blick über die Stadt hatte. Tief im Innern wußte ich, daß Vater und Mutter diesen Abstecher nicht gutheißen würden. Als Christliche Wissenschafterin fühlte ich mich auch fest an die Zehn Gebote gebunden. Aber das fünfte, „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, gibt" 2. Mose 20:12;, machte mir Sorge. Ich war mir nicht klar, ob auch dieses Gebot immer bindend für mich sein sollte. Mutter und Vater waren meistens einfach fabelhaft, aber sie konnten manchmal so „verstaubt" sein, wenn ich abends spät nach Hause kam; sie wollten immer genau wissen, wo ich war.

Natürlich hatte ich die Absicht, meinen Vater-Mutter Gott allezeit zu ehren und Ihm gehorsam zu sein; aber kommt nicht einmal die Zeit, wo man erwachsen wird und seinen menschlichen Eltern nicht mehr zu gehorchen braucht? Wann ist diese Zeit gekommen? War ich nicht schon ziemlich erwachsen? Immerhin war ich eine gute Schülerin; ich war auch stundenweise gegen Bezahlung beschäftigt und hatte verantwortungsvolle Ämter in Klubs oder Arbeitsgemeinschaften in der Schule inne. Tatsächlich traf ich bereits die meisten meiner Entscheidungen in meinem Leben selbst, ohne mich viel mit meinen Eltern zu beraten. In kurzer Zeit würde ich auf der Universität sein, wo ich dann wirklich mein eigener Herr wäre. Ja, ich war fast alt genug, zu heiraten und meine eigene Familie zu haben!

Die großartige Schönheit des Tales unter uns mit seinen zahllosen Lichtern nahm meine Gedanken völlig gefangen. War das wirklich meine Stadt? Wie hatte sie sich verändert! Unter einem mondlosen Himmel leuchteten und glitzerten die Lichter der Stadt wie ein Sternenmeer. Und ich fragte mich im stillen: „Würden Mutter und Vater nicht froh sein, daß ich hier war und all diese Schönheit sehen konnte?"

Als wir uns auf den Nach-Hause-Weg machten, fiel mir in meiner Abenteuerstimmung ein einsamer Waldweg auf, der von unserer Straße abbog. „He, laß uns herausfinden, wo der hinführt", sagte ich und lenkte das Auto jäh von der Hauptstraße hinunter.

Außerhalb unserer Lichtkegel war es so dunkel wie in einer Besenkammer. Ich hatte nicht die geringste Idee, wo wir uns befanden. Plötzlich tauchte vor uns aus der Dunkelheit eine große Limousine auf. Ich drückte mich so dicht an den Rand des schmalen Weges, wie ich es wagen konnte, aber dieser Fahrer hatte nicht die Absicht vorbeizufahren. Statt dessen schlingerte er direkt in unsere Bahn, wodurch er uns Stoßstange an Stoßstange zum Halten zwang. Die Wagentür ging auf, und in dem Deckenlicht sahen wir sechs rüpelhafte junge Soldaten, die laut riefen und gröhlten und Bierflaschen aus dem Fenster warfen.

Als sie dabei waren, auszusteigen und auf uns zuzukommen, bekam ich einen panischen Schreck. Was für einen törichten Fehler hatte ich gemacht! Hätte ich den Buchstaben und den Geist des fünften Gebots einfach befolgt, hätte das Judith und mich vor Gefahr geschützt.

Dennoch hatten die vier Jahre, die ich die Christliche Wissenschaft kannte, die eine Tatsache bei mir tief eingegraben. Gott ist wirklich die göttliche Liebe. Er ist immer gegenwärtig, um zu retten, zu segnen und zu heilen. Diese Liebe ist so verläßlich, daß wir jederzeit mit ihr rechnen können. Ganz gleich, was wir getan haben, die göttliche Liebe ist immer bereit, uns zu verbessern, uns zu vergeben, uns zu umfangen, uns zu führen und uns zu beschützen. Sehen wir das nicht in Jesu Gleichnis vom verlorenen Sohn? In seinem Eigensinn zeigte der verlorene Sohn sogar noch weniger Weisheit als ich; und doch: als er verzweifelt demütig bereute und bei seinem Vater Hilfe suchte, lief sein Vater ihm entgegen und hieß ihn zu Hause willkommen und gebot seinen knechten: „Bringt schnell das beste Kleid hervor und tut es ihm an und gebet ihm einen Fingerreif an seine Hand." Luk. 15:22; Nicht eine Strafe — Geschenke! Nicht einmal ein hartes Wort, das dem jungen Mann wohl Jahre der Selbstanklage und Reue bereitet hätte. Die Liebe liebt das Ihre jederzeit.

Für unsere mißliche Lage schien es nur einen Ausweg zu geben. Ich fing an rückwärts zu fahren, obwohl unser Auto kein Rücklicht hatte und der Fahrer des anderen Autos seine Scheinwerfer ausgeschaltet hatte. Ich konnte nicht weiter als bis zu unserer rückwärtigen Stoßstange sehen.

Im stillen schrie ich zu Gott. Schlagartig schoß mir eine Bibelstelle in den Sinn, die ich sehr liebte: „Gott [ist] Licht und in ihm ist keine Finsternis." 1. Joh. 1:5; Dann überfluteten das Licht und die Wärme der Liebe mein Bewußtsein, wie wenn die Sonne auf einen zugefrorenen Teich fällt, und ich fühlte, wie die eisigen Finger der Furcht mich losließen. Ohne materielles Licht und mit Gott als meinem einzigen Führer fuhr ich eilig und sicher etwa 100 Meter oder mehr rückwärts, ohne weder in dem einen oder in dem anderen Graben zu landen, das andere Auto dicht hinter uns. Obwohl ich nicht sagen konnte, wann wir wieder auf die Hauptstraße gekommen waren, hatte ich auf einmal das starke Gefühl, den Wagen wenden zu müssen, was ganz bestimmt göttliche Führung war. Ich schlug das Steuerrad herum und stellte fest, daß der Wagen mitten auf dieser Aussichtsstraße stand. Wenn ich auch nur ein wenig weitergefahren wäre, wären wir vom Weg am Rande des steilen Abhangs heruntergekommen. Inzwischen hatte das andere Auto die Verfolgung aufgegeben.

Einen Augenblick lang saßen wir nur da.

Dann sagte Judith: „Gott sei Dank", und ich glaube, daß sie es auch wirklich meinte. Als wir eilig nach Hause fuhren, tat ich gerade das — ich betete dankerfüllten Herzens zu Gott, „dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis." Jak. 1:17;

Es lag etwas Besonderes in meinem Nach-Hause-Kommen an jenem Abend. Ich fühlte mich Gott sehr nahe und empfand eine neue Bindung an die Christliche Wissenschaft. Meine Frage: „War ich nicht schon erwachsen?" beantwortete sich selbst. Ja, ich war es, in vieler Hinsicht. Aber trotz alledem mußte ich zugeben, daß ich Gottes gutes Urteilsvermögen in noch weit größerem Maße ausdrücken müßte.

Mrs. Eddys Worte beschreiben, wie mir an jenem Abend zumute war: „Die harten Erfahrungen der Annahme von dem angeblichen Leben der Materie, wie auch unsere Enttäuschungen und unser unaufhörliches Weh, treiben uns wie müde kinder in die Arme der göttlichen Liebe. Dann fangen wir an, das Leben in der göttlichen Wissenschaft zu begreifen." Wissenschaft und Gesundheit, S. 322.

Irgendwie konnte ich das direkt auf mich anwenden. Dieser Abend, der erst so dunkel, so voller Furcht war und dann so hell, so voller Inspiration, war für mich eine Art Anfang — ein Anfang, „das Leben in der göttlichen Wissenschaft zu begreifen".

Ich fuhr den alten Kombiwagen bedächtig über die Auffahrt in die Garage und schloß leise die Tür, um meine Eltern nicht aufzuwecken. Rücksichtsvoll hatten sie das Licht auf der hinteren Veranda für mich brennen lassen.

Es tat gut, zu Hause zu sein.

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