Der Forderung nach Sittlichkeit in den menschlichen Beziehungen liegt die fundamentale geistige Tatsache zugrunde, daß der Mensch als Gottes geistige Idee rein und vollkommen ist. „Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ Matth. 5:48;, war Christi Jesu Gebot.
Sittlichkeit, durch Gehorsam gegen Jesu Forderung nach Vollkommenheit inspiriert, schließt ein, daß wir aktiv und intelligent auf das Höchste und Beste reagieren. Sie drückt lebendiges Christentum aus. Ja, sie ist wesentlich für die Erkenntnis und den Beweis, daß der Mensch geistig ist.
Die ganze Laufbahn Jesu veranschaulichte, wie unerläßlich die Eigenschaften sind, die Mrs. Eddy in ihrem Buch Wissenschaft und Gesundheit als „moralisch“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 115; bezeichnet. Es handelt sich dabei um Übergangseigenschaften. Sie beeinflussen das menschliche Leben in einer Weise, daß es den Punkt erreicht, wo die geistige Wirklichkeit als gegenwärtige Tatsache erkannt wird. Mrs. Eddy verzeichnet sie als „Menschlichkeit, Ehrlichkeit, Herzenswärme, Erbarmen, Hoffnung, Glaube, Sanftmut, Mäßigkeit“. Eine der Definitionen von „Sittlichkeit“ lautet: „Die Beschaffenheit dessen, was mit den richtigen Idealen oder Prinzipien des menschlichen Verhaltens übereinstimmt.“ Wenn die von Mrs. Eddy aufgeführten Eigenschaften betätigt werden, gewährleisten sie den höchsten Grad von Sittlichkeit.
Jesu Begriff von Sittlichkeit ging weit über die konventionelle Auffassung von Rechtschaffenheit hinaus. Für ihn waren der Gedanke und der Beweggrund im Herzen des einzelnen von höchster Bedeutung. Er wußte, daß sich die Menschen den Gesetzen der Gesellschaft fügen und all die Glaubensformen einhalten mögen und doch üble Leidenschaften und Beweggründe oder geistige Unfruchtbarkeit beherbergen können. Er verdammte die Heuchelei und Selbstgefälligkeit der Pharisäer.
In zwei Fällen wies Jesus eine rein konventionelle Einstellung zur Sittlichkeit zurecht. Bei einer Gelegenheit fragte ein reicher Jüngling den Meister, was er tun könne, um das ewige Leben zu gewinnen, und beteuerte, die Zehn Gebote zu halten. Als Jesus dem Jüngling sagte, er müsse seine Besitztümer aufgeben, wenn er ihm nachfolgen wolle, erschien diesem die Bedingung unannehmbar. Bei einer anderen Gelegenheit, im Hause der Maria und Martha, tadelte Jesus die Martha, weil sie so ausschließlich mit menschlichen Dingen beschäftigt war, daß es ihre geistige Entwicklung hinderte.
Obwohl beide, der Jüngling wie die Martha, im traditionellen sittlichen Sinne wahrscheinlich als einwandfrei angesehen worden wären, erkannte Jesus die Gewohnheitssünden — Geiz in dem einen Fall und geistige Trägheit in dem anderen — als Versuchungen, die die Menschen vom aufwärtsführenden Pfad hinwegziehen. In der Bergpredigt rief er zu positiver Geistigkeit im täglichen Leben auf.
Jesus wies oftmals darauf hin, daß es nicht zeremonielle Frömmigkeit oder völlige Hingabe an eine rein menschliche Tätigkeit ist, was die Religion des Herzens ausmacht, die so wichtig ist, sondern daß sie vielmehr darin besteht, geistig zu lauschen und gehorsam zu sein, die Weltlichkeit aufzugeben und aktiv selbstlose Liebe auszudrücken. Diese Eigenschaften dokumentieren die höhere Sittlichkeit, und diese höhere Sittlichkeit erachtet Rechtschaffenheit für nötig, weil sie das ausdrückt, was dem Menschen innewohnt.
Heutzutage wird viel darüber gesprochen, was zulässig ist, besonders darüber, was in sittlicher Beziehung zulässig ist. Es ist wahr, daß eine gewisse Starrheit oder ein Absolutismus, die sich oft auf eine falsche theologische Auffassung von einem vermenschlichten Gott und einem schwachen und strauchelnden sterblichen Menschen gründen, abgelegt werden müssen. Die Forderung nach Reinheit ist jedoch niemals veraltet oder unnötig. Vieles, was als Sich-gehen-Lassen bezeichnet wird, ist einfach eine Reaktion auf geistig leere und menschengemachte Lehren. Wenn wir diese verwerfen, sollten wir jedoch auch zugleich das wählen, was wahre Freiheit und Kraft bedeutet.
Solche Freiheit und Kraft zu erringen fordert wissenschaftliche Disziplin. Diese Disziplin bedeutet, daß man sich selbst ein Gesetz ist. Sie ruft zur Wachsamkeit und zur Selbsterkenntnis auf, und sie fordert, daß Ausschweifung und Genußsucht durch das Verständnis, daß der Mensch die Idee Gottes ist, gezügelt werden. Wer sich hieran gebunden fühlt, wird in zunehmendem Maße frei von den Versuchungen und Anfechtungen der fleischlichen Gesinnung und beweist, daß der Mensch, die Widerspiegelung Gottes, ganz und gar richtig gesinnt ist.
Das fleischliche Gemüt, das Paulus als „Feindschaft wider Gott“ Röm. 8:7; beschreibt, scheut vor jeder Disziplin oder Selbstbeherrschung zurück. Eins der Mittel, durch die das fleischliche Gemüt hauptsächlich seiner eigenen Zerstörung entgegenwirkt, ist Unwissenheit über sich selbst, und das ist der Grund, warum der wahre Nachfolger des Meisters scharfsichtig und wachsam sein muß. Mrs. Eddy warnt den Christlichen Wissenschafter mit folgenden Worten: „Bis die Tatsache in bezug auf den Irrtum — nämlich seine Nichtsheit — erscheint, wird der moralischen Forderung nicht genügt werden, und es wird die Fähigkeit fehlen, aus Irrtum nichts zu machen.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 92;
Die Erkenntnis, daß Unsittlichkeit der Natur des Menschen völlig fremd ist, zerstört ihren Anspruch auf Zähigkeit. Das, was sich als unsittlich erweist — die hinterlistigen, die betrügerischen, die unreinen und die mörderischen Tendenzen der Materialität —, ist sowohl für Gott, der unendlicher Geist ist, wie auch für den Menschen, Sein Gleichnis, unmöglich. Unmoralische Eigenheiten gehören daher nicht zu der wirklichen Selbstheit irgendeines Menschen, wie allgemein sie auch für einen Bestandteil seines Charakters gehalten werden mögen. Diese Irrtümer brauchen nur als etwas Tatsächliches anerkannt zu werden, und schon haben sie einen Stützpunkt im menschlichen Denken. Es ist nicht nötig, sie gutzuheißen, sondern man braucht nur an sie zu glauben. In Wirklichkeit sind sie weder persönliche Annahmen noch geschaffene Dinge, und darum können sie verneint und als unwirklich bewiesen werden.
Ein sittliches Leben zu führen heißt fortschrittlich zu leben. Es bedeutet zu ringen, nicht dahinzutreiben. Wenn wir unsere gottgegebene Fähigkeit benutzen, das Beste zu wählen und uns in Übereinstimmung mit Gottes Forderung nach Vortrefflichkeit und Vollkommenheit zu bewegen, unterwerfen wir uns einer Disziplin, die das menschliche Leben stärkt und bereichert. Nicht Furcht vor Strafe oder Bloßstellung, sondern vielmehr die holde Befriedigung, die darin liegt, mit der geistigen Wirklichkeit in Einklang zu stehen, ist der beste Beweggrund zur Sittlichkeit. Sich selbst als den Ausdruck Gottes zu erkennen, ist die höchste Freude, die irgend jemandem zuteil werden kann.
Und schließlich sieht die Christliche Wissenschaft die Sittlichkeit nicht als eine Last an, die uns durch menschliche Maßstäbe auferlegt wird, sondern als die Einstellung zum täglichen Leben, die alle Lasten leicht macht. Diese Wissenschaft offenbart die makellose Selbstheit des Menschen als des Kindes Gottes. Eine Demonstration dieser Tatsache fordert von den Christlichen Wissenschaftern Gehorsam gegen die Verhaltensregeln, die sich auf Prinzip gründen und daher in ewigen und unwandelbaren Wahrheiten wurzeln, nämlich in den Wahrheiten von einem allmächtigen Gott, dem Goten, und Seiner vollkommenen Regierung des Menschen. Mit Mrs. Eddys Worten: „Die große Wirklichkeit, daß der Mensch das wahre Ebenbild Gottes ist, weder gefallen noch umgekehrt, wird durch die Christliche Wissenschaft bewiesen. Und da die gütige Forderung des Christus:, Darum sollt ihr vollkommen sein' Gültigkeit hat, werden wir finden, daß sie erfüllbar ist.“ Christian Science versus Pantheism, S. 11.
Auch die Kreatur wird frei werden
von der Knechtschaft des vergänglichen Wesens
zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.
Römer 8:21