Interview mit einer Pflegerin
Judy Tones, eine intelligente, lebensfrohe Schülerin, konnte sich nicht über ihren Beruf schlüssig werden, obwohl sie wußte, sie würde sich nur in einer Tätigkeit glücklich fühlen, in der sie anderen Menschen helfen konnte.
Sie hatte an eine Arbeit auf sozialem Gebiet gedacht. Auch Jura interessierte sie, wenn sie von den langen Jahren akademischer Ausbildung absah. Sie wollte eine Arbeit, in die sie sich gleich hineinknien konnte — etwas Praktisches, Humanitäres. Bei einem Besuch in ihrer Kirche, einer Zweigkirche Christi, Wissenschafter, fiel ihr Blick auf eine kleine Notiz mit den Worten: „Christlich-wissenschaftliche Pfleger“. Obwohl sie Zeit ihres Lebens Christliche Wissenschafterin war, hatte sie von diesem Beruf noch nie etwas gehört. Sie erkundigte sich danach und stellte fest, daß es gerade das war, was sie sich immer gewünscht hatte. Sie bewarb sich bei der Christlich-Wissenschaftlichen Pflegerausbil- dungsschule in Chestnut Hill, Massachusetts, wurde zu einer Unterredung gebeten, und sie wurde angenommen.
Als sie das erste Mal die Auffahrt in Chestnut Hill hinaufkam, wurde sie von Lampenfieber erfaßt. „Das ist solch ein großes Anwesen. Ich bin so allein!“ Ein Student, der an den Wochenenden dort arbeitete, fand sie an der Eingangstür mit Tränen in den Augen. Er wurde ihr erster guter Freund, und bald hatte sie noch andere. „Es dauerte nicht lange, und ich fühlte mich in die Liebe eingehüllt, die jeder hier ausdrückt“, sagte Judy, und sie bezeichnete die Atmosphäre als „heimisch“. Zunächst blickte sie zu den erfahreneren Pflegerinnen mit einem Gefühl auf, das sich zwischen Respekt und Ehrfurcht bewegte; aber als die Hälfte ihrer Ausbildungszeit um war, stellte sich heraus, daß sie ihnen nachgekommen war.
Judy (in ihrer Dienstkleidung nur Miss Jones, auch für ihre besten Freunde) wohnt in dem Gebäude für Angestellte, das durch einen Tunnel mit dem Sanatorium verbunden ist. Wenn sie am Tag Dienst hat, steht sie früh auf, um Zeit für ihr christlich-wissenschaftliches Studium zu gewinnen und dadurch ihren Tag metaphysisch unter Kontrolle zu bekommen. „Manchmal lese ich die Lektionspredigt im Stehen, weil ich sonst vielleicht einschlafen würde“, erzählt sie lachend. „Aber es ist schön, mit einem Gefühl aufzuwachen, daß man mit dem neuen Tag etwas Lohnendes anfangen wird.“ Pünktlich um sieben meldet sie sich zur Entgegennahme der ihr zugeteilten Zimmer. Sie beginnt ihre Gäste für den Tag vorzubereiten, wechselt Verbände, gibt Bäder, macht Betten. Sie nimmt mit Mitarbeitern zusammen ein kleines Mittagessen ein und serviert dann den Gästen eine warme Mahlzeit. Am Nachmittag ist gewöhnlich Zeit für metaphysisches Studium und dafür, Gästen notwendige Unterstützung zu gewähren. Sie besucht den Unterricht in den verschiedenen Fächern, die der Stundenplan aufweist und für die ein beträchtliches Maß an Hausaufgaben zu erledigen ist. Bei Arbeitsschluß um 3 Uhr nachmittags macht Judy mit ihrer Zimmergenossin oft einen langen Spaziergang.
Judy bemüht sich, ihren Patienten gegenüber in ihrem Denken Demut zum Ausdruck zu bringen. „Die berufsmäßige Pflege, die ich ihnen angedeihen lasse, ist Teil ihrer Heilung, und ich finde, daß wir hier einen großen Dienst leisten. Es wird erwartet, daß wir die Christliche Wissenschaft bei allem anwenden, selbst beim Anlegen von Verbänden. Ich wollte niemals nur eine gute Pflegerin sein — ich wollte immer die beste sein! Es sind harte drei Jahre“, fuhr sie fort, „aber sie bringen auch mehr Freude, als man sich vorstellen kann. Man kann an keinem schöneren Platz wohnen. Es ist praktisch alles frei — das Zimmer, die Mahlzeiten, der Unterricht, die Arbeitskleidung. Meine Bezahlung ist nicht gewaltig, aber ich vermisse nie etwas. Boston ist eine äußerst interessante Stadt, die man in seiner Freizeit durchstreifen kann, denn es gibt dort immer faszinierende und lohnende Dinge zu sehen oder zu unternehmen. Wir tanzen, haben Parties. Ich gehe schwimmen, spiele Tennis, nähe, beteilige mich an der Studenten-Selbstverwaltung im Heim, und ich habe sogar einen Garten, in dem ich arbeiten kann. Auch in meiner Freizeit bin ich mir immer bewußt, daß ich eine Pflegerin bin, aber meine dienstlichen Pflichten lasse ich dann hinter mir.“
Viele von Judys Freundinnen haben nach Beendigung ihrer Ausbildung geheiratet und stellen fest, daß ihr Beruf sich mit Ehe und Familienleben gut vereinbaren läßt. Judy meint, daß die Ausbildung sie zu einem besseren Ehepartner machen wird, „weil sie einen zu einem besseren Menschen macht“. Als Beispiel hierfür nennt sie ihr „ausgeglicheneres Wesen“.
Judy und allen anderen, die gleichzeitig mit ihr das Abschlußexamen ablegten, steht die Zukunft weit offen. Sie wird in den Vereinigten Staaten und auch in einigen Gebieten in Übersee viele Möglichkeiten in den verschiedenen Bereichen des Pflegeberufes finden. Sie kann in einem der vielen Sanatorien und Pflegeheime im Felde arbeiten, sie kann als Besuchspflegerin arbeiten, sie kann Privatpflege übernehmen oder in einer christlich-wissenschaftlichen Schule oder einem Sommerlager als Pflegerin arbeiten. Aber wo sie auch hingeht, immer wird die erhebende Überzeugung sie begleiten, daß sie die heilende Mission der christlich-wissenschaftlichen Bewegung fördert.
Wem eine tüchtige Frau beschert ist,
die ist viel edler als die köstlichsten Perlen...
Sie breitet ihre Hände aus zu dem Armen
und reicht ihre Hand dem Bedürftigen...
Kraft und Würde sind ihr Gewand,
und sie lacht des kommenden Tages.
Sie tut ihren Mund auf mit Weisheit,
und auf ihrer Zunge ist gütige Weisung.
Sprüche 31:10–26