Geistige Lauterkeit ist vonnöten, um den Verlockungen und Einschüchterungsversuchen des materiellen Sinnes zu widerstehen. Diese haben viele Grade der Intensität und der Verschlagenheit, wie ja auch der menschliche Charakter viele Grade der Beständigkeit im Guten aufweist. Die meisten Menschen können an ihrem gewohnten Maßstab für das Rechte festhalten, wenn sie sich den ungetarnten Versuchungen oder Drohungen des materiellen Sinnes gegenübersehen. Es gibt jedoch Situationen, wo der rein menschliche Sinn für das Rechte — der in Angelegenheiten der Moral und Ethik nur allzuoft zu Kompromissen neigt — nicht ausreichen mag, um einem zu helfen, den gleißenderen oder schlauer getarnten Lügen des fleischlichen Gemüts zu widerstehen.
Wir brauchen, im idealen Sinn, immer jene wahre Lauterkeit des Denkens und des Charakters, die aus einem echten Verständnis der Christus-Wissenschaft erwächst. Diese Wissenschaft offenbart Gott als die eine universale schöpferische Ursache, als Gemüt, den unendlich gütigen Vater-Mutter Gott Seines geistigen Ausdrucks, des Menschen. Der Mensch, wie er in Wahrheit ist, ist daher gottähnlich in Wesen und Charakter und besitzt durch Widerspiegelung uneingeschränkte Widerstandskraft gegenüber den Bedrohungen durch das Böse. Das ist geistige Lauterkeit.
Da Gemüt, Gott, den Menschen so kennt, wie er wirklich ist, kennt der Mensch Gott als sein Gemüt. Daher weiß er, was Gott weiß, sieht er, was Gott sieht. Er tappt niemals im Dunkeln, in der Verwirrung des materiellen Sinnes, sondern er ist immer der freie Ausdruck vom Wesen Gottes, frei von Sünde und ihrer Versuchung, frei von Krankheit und ihren Drohungen, frei von Fehlschlägen und der Furcht davor. Und derjenige, der sich selbst als die Widerspiegelung des Gemüts versteht, ist niemals im Zweifel darüber, welchen Weg er einzuschlagen hat. Er ist sich des geistig Guten bewußt, ist imstande, es von den trügerischen Suggestionen und Einschüchterungsversuchen des materiellen Sinnes zu unterscheiden und hat keinen anderen Wunsch, als dem ersteren zu folgen und das letztere zurückzuweisen. Dieses Verständnis verleiht ihm wahre oder furchtlose geistige Lauterkeit. Es ist also einleuchtend, daß die Widerspiegelung solch einer Lauterkeit und die Unwissenheit auf geistigem Gebiet sich in der menschlichen Erfahrung gegenseitig ausschließen. Vollständige geistige Lauterkeit ist vollständiger Schutz.
Das Verständnis von der Wahrheit über unser eigenes Sein, wie Christus, Wahrheit, es verleiht, muß uns mehr bedeuten als das Vertrautsein mit irgendwelchen physikalischen Theorien. Es muß sowohl in unserem Kopf als auch in unserem Herzen fest verankert sein. Dies wird uns dazu inspirieren, es in unserer täglichen Erfahrung auch wirklich anzuwenden. Dann wird es uns über die Fallen sicher hinwegbringen, die die irrige materielle Auffassung vom Guten uns in den Weg zu stellen sucht. Über das tatsächliche Akzeptieren der Wahrheit des Seins sowohl mit dem Kopf wie mit dem Herzen schreibt Mrs. Eddy: „Wir müssen fühlen und erkennen, daß Gott allein den Menschen regiert; daß Seine Regierung harmonisch ist; daß Er zu rein ist, um Übles zu sehen, und daß Er Seine Macht mit nichts Bösem oder Materiellem teilt; daß materielle Gesetze nur menschliche Annahmen sind, von denen die Sterblichen zu Unrecht regiert werden.“ Grundzüge der Göttlichen Wissenschaft, S. 10;
Das fleischliche Gemüt, das Anspruch auf Intelligenz erhebt, scheint in der Lage zu sein, diejenigen herauszufinden, deren Charakter und Standpunkt auf etwas Geringeres gegründet sind als auf das solide Fundament des Christus, der Wahrheit, und deren Widerstand gegen die Suggestionen der Materialität folglich keineswegs eindeutig oder unwiderruflich ist. Da geistige Lauterkeit die Intelligenz der göttlichen Liebe ausdrückt, sieht sie die möglichen Bewegungen der Schlange voraus und entfernt ihren Giftzahn. Je uneingeschränkter unsere Lauterkeit ist, desto weniger werden wir von den falschen Versprechungen und leeren Drohungen einer sterblichen Auffassung vom Guten angegriffen werden.
Die Führung und die Entscheidungen durch wahre Lauterkeit werden nicht von menschlicher Zuneigung beeinflußt, sind nicht das Ergebnis menschlicher Klugheit. Sie sind nicht das Resultat des menschlichen Willens, sondern die Auswirkungen des geistigen Verständnisses von dem Christus, der Wahrheit, das zur Grundlage unseres Charakters und unserer ganzen Anschauung wird. Der menschliche Wille sucht zu erzwingen, daß wir uns dem Drängen des materiellen Sinnes blind unterwerfen, bis der einzelne schließlich dessen Sklave wird. Mrs. Eddy schreibt in ihrem Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift: „Die Ausübung des Willens führt zu einem hypnotischen Zustand, der für die Gesundheit und Lauterkeit des Gedankens schädlich ist.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 446;
Weit davon entfernt, ein sicherer Führer zu sein, ist der menschliche Wille ein Feind, der die Entfaltung der geistigen Lauterkeit zu verhindern sucht. Mrs. Eddy lehrt: „Willenskraft ist nur ein Erzeugnis der Annahme, und diese Annahme begeht Raub an der Harmonie. Der menschliche Wille ist ein tierischer Trieb, nicht ein Vermögen der Seele. Daher kann er den Menschen nicht richtig regieren. Die Christliche Wissenschaft enthüllt Wahrheit und Liebe als die Triebkräfte des Menschen. Der Wille — blind, halsstarrig und ungestüm — wirkt gemeinsam mit Begierden und Leidenschaften. Aus diesem Zusammenwirken entsteht sein Übel. Daher kommt auch seine Machtlosigkeit, denn alle Macht gehört Gott, dem Guten, an.“ S. 490;
Da der menschliche Wille sich oftmals als Charakterfestigkeit tarnt, darf er nicht mit rechtem oder geistigem Widerstand verwechselt werden, mit dem endgültigen Schließen der Tür des Gedankens vor den verlogenen Einflüsterungen von Freude in der Materie, von Gefahr in der Materie oder von Erleichterung durch die Materie. Geistiger Widerstand gründet sich auf die feste und zuversichtliche Erklärung unserer Unabhängigkeit von den Suggestionen des Bösen aufgrund ihrer verstandenen Unwirklichkeit. Im besten Fall ist der menschliche Wille unberechenbar, da er selten — wenn überhaupt jemals — frei ist von der Verunreinigung durch engstirnigen Eigennutz, der aus einer irrigen, persönlichen Auffassung vom Guten stammt.
Geistige Lauterkeit, ohne eine Spur menschlichen Willens, ist es, die uns dazu bewegt, uns um Führung an Gott zu wenden, die die Fähigkeit verleiht, diese Führung zu erkennen, und den aufrichtigen Wunsch in uns erweckt, ihr zu folgen. Als Christus Jesus zu Gott betete, daß ihm das äußerste Leiden erspart bleiben möge, erklärte er gleichzeitig: „Abba, mein Vater, es ist dir alles möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst.“ Mark. 14:36;
Des Meisters geistige Lauterkeit drückte sich darin aus, daß er Gott spontan gehorsam war, nicht aus Furcht vor Strafe, sondern aus einer tiefen Liebe zu Seinem Gesetz und aus einem wissenschaftlichen, absoluten Glauben an Seine allwissende Liebe zum Menschen, Seinem Kind.
Wer durch geistige Reife wahre Lauterkeit erlangt hat, wird von anderen nicht fordern, daß sie etwas demonstrieren, was sie nicht fühlen und nicht wissen: das absolut Gute der geistigen Intelligenz. Im Gegenteil, er wird Geduld haben mit ihrem Zaudern angesichts der Täuschungen des Bösen und wird darauf vertrauen, daß der Christus sie dazu führen wird, das wahrhaft Gute zu erkennen, und sie stärken wird, daran festzuhalten.
Ein Mensch, der solche Lauterkeit erlangt hat, bleibt unangefochten von dem Spott derjenigen, die den durchtriebenen Einflüsterungen des Versuchers glauben und geneigt sind, danach zu handeln.
In ihrem menschlichen Ausdruck gleicht geistige Lauterkeit ganz der Liebe, die der Apostel Paulus so wunderbar beschreibt: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht.. . Die Liebe höret nimmer auf.“ 1. Kor. 13:4, 8;
Die unmißverständlichen Zeichen geistiger Lauterkeit und ihre Auswirkung auf den einzelnen Menschen werden in den denkbar schlichtesten Worten im fünfzehnten Psalm zusammengefaßt, der zum Teil lautet: „Herr, wer darf weilen in deinem Zelt? Wer darf wohnen auf deinem heiligen Berge? Wer untadelig lebt und tut, was recht ist, un die Wahrheit redet von Herzen.. . Wer das tut, wird nimmermehr wanken.“ Ps. 15:1, 2, 5.
