Ist es in unserem aufgeklärten Zeitalter wirklich nötig, diese Warnung auszusprechen? Obwohl die menschlichen Annahmen über Gott immer noch sehr unterschiedlich sind, würden zivilisierte Menschen sicherlich nicht versuchen, Gott in einer menschlichen Gestalt darzustellen und diese in der Art der Religionen der Vielgötterei vergangener geschichtlicher Epochen anzubeten. Und dennoch scheint Abgötterei, wenn auch in veränderter Form, unter uns fortzubestehen.
Was hat den Platz eingenommen, den die alten Götter im menschlichen Denken innehatten? Es sind die nicht weniger falschen Begriffe von lebendiger, denkender Materie, die das sterbliche menschliche Gemüt als den Menschen präsentiert.
Was waren nun die alten Götter wirklich? Wir wissen heute, daß sie nichts weiter waren als abergläubische Annahmen, die von großen Teilen der Menschheit gehegt wurden, Illusionen, die das menschliche Gemüt damals in materiell greifbaren Formen darstellte. Auf diese Weise betete die Menschheit die Vergegenständlichung ihrer eigenen Träume an.
Die Person des Zeus war doch nichts anderes als ein kunstvoll ausgedachter und behauener Marmorblock. Die Götter waren ebensowenig wirkliche, lebendige Wesen, wie es die toten Steine waren, die nur in kunstvollen Formen die unwirklichen, menschlichen Vorstellungen von ihnen darstellten. Zeus wohnte nicht auf dem Olymp, sondern als falscher Begriff im menschlichen Aberglauben. Als die Menschheit durch die geistige Entwicklung aus ihrem Traum von vielen Göttern erweckt wurde, hörten diese ganz natürlich auf zu existieren. Obwohl sie endlose Jahrhunderte hindurch bestanden hatten, waren sie die ganze Zeit hindurch unwirklich. Die Macht der Götter über diejenigen, die sie anbeteten und fürchteten, war nichts weiter als ihre selbstauferlegten unwirklichen Annahmen.
Wenn auch mythologische Illusionen größtenteils aus dem menschlichen Denken verschwunden sind, scheint es doch noch viele Formen von Abgötterei unter uns zu geben. Obgleich materielle Körper, anders als der Zeus aus Marmor, umherzugehen scheinen, besitzen sie nicht mehr Leben als der marmorne Zeus. Sie sind nur die äußeren Erscheinungsformen der sterblichen menschlichen Vorstellung vom Menschen der, wie die Christliche Wissenschaft als absolute Tatsache enthüllt hat, ein lebendiges oder sich seiner selbst bewußtes, daher geistiges Wesen ist, unsichtbar für die materiellen Sinne.
Was jenen Sinnen als feste, flüssige oder gasförmige Materie erscheint, ist im Grunde nur die Vergegenständlichung der traumhaften Vorstellung von Substanz. Daher existieren die Funktionen, Eigenschaften, Formen, Schwächen und Stärken der Materie nur als vergegenständlichte Annahmen des irrenden sterblichen Gemüts. Unsere Führerin, Mrs. Eddy, schreibt: „Das sterbliche Gemüt und der sterbliche Körper sind eins. Keins besteht ohne das andere, und beide müssen durch das unsterbliche Gemüt zerstört werden. Die Materie oder der Körper ist nur ein falscher Begriff des sterblichen Gemüts. Dieses sogenannte Gemüt errichtet seinen eigenen Aufbau, dessen gröberer Teil der materielle Körper ist; aber von Anfang bis zu Ende ist der Körper ein sinnlicher, menschlicher Begriff.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 177;
Es bedeutet daher, sich der Abgötterei hinzugeben, wenn man glaubt, daß die Materie Wirklichkeit in sich selbst besitze, das heißt, unabhängig vom menschlichen Denken; daß sie Gesetze habe, denen wir gehorchen müssen, und Bedürfnisse, die wir befriedigen, stillen und fürchten müssen. Folgende treffende Darlegungen unserer Führerin erinnern uns an die Anbetung des Zeus: „Hier kannst du sehen, wie der sogenannte materielle Sinn seine eigenen Gedankenformen schafft, wie er ihnen materielle Namen gibt und sie dann anbetet und fürchtet. Mit heidnischer Blindheit schreibt der materielle Sinn irgendeinem materiellen Gott oder einer Medizin eine Fähigkeit zu, die über ihn selbst hinausgeht. Die Annahmen des sterblichen Gemüts berauben und unterjochen es und schreiben dieses Resultat dann einer anderen illusorischen Personifikation zu, die Satan genannt wird.“ S. 187;
Als Christus Jesus den blinden Mann heilte, spie er zuerst in den Staub und zeigte dadurch seine Geringschätzung für die sterbliche Annahme, daß die Augen, als Materie, die Intelligenz und die Kraft haben zu sehen. Damit zeigte er, daß er von der abgöttischen Furcht vor den Einschüchterungsversuchen der Materie frei war.
Der Götzendienst vor dem marmornen Zeus drückt sich auch in der Anbetung des Körpers aus. Mrs. Eddy schreibt darüber: „Die Heilgymnastik — die den armen Körper drückt und knetet, damit er bewußt gesund werde, während er dies unbewußt sein sollte — ist ein weiterer medizinischer Mißgriff, der aus der allgemeinen Vorstellung hervorgeht, Gesundheit hänge von der trägen Materie statt vom Gemüt ab. Kann die Materie oder das, was Materie genannt wird, ohne Gemüt empfinden oder handeln?“ S. 383; Wenn man den materiellen Körper zu seinem Idol macht, ist dies der sichere Weg, ihn in Schwierigkeiten zu bringen; ihn dagegen dem Einfluß des göttlichen Gemüts anzuvertrauen heißt, ihn gesund zu erhalten.
Eine gebräuchliche Form der Abgötterei ist der blinde Glaube, daß das Gute materiell sei und daß wir also um so glücklicher seien, je mehr Materie wir besitzen. Dieser falsche Sinn ist der Ansicht, daß der Lohn für unsere Arbeit die Form von Geld oder materiellen Gütern annehmen muß. Er behauptet, den Erfolg im Leben an materiellen Besitztümern bemessen zu können, und tut die geistige Auffassung von Erfolg, Fortschritt und Belohnung als unpraktischen Idealismus ab.
Sich dieser Art von Abgötterei zu unterwerfen bedeutet, sein Leben und seine Energie in dem vergeblichen Trachten nach dem Guten, wo das Gute nicht ist, zu verbringen und dessen echte Ausdrucksformen zu ignorieren: den Frieden, das Glück und ein angemessenes Teil an geistigem Fortschritt. Die Jagd im Dienste dieses Idols wird von Tag zu Tag intensiver und ermüdender, ganz gleich, ob man darin erfolgreich oder ein Versager ist. Es besteht die Gefahr, daß diese Jagd zu einem rastlosen Suchen wird, das auch durch einen noch so großen materiellen Gegenwert nicht zu befriedigen ist. Das Vergnügen an dem Besitz materiellen Lohnes ohne die innere Anerkennung des geistigen Wachstums kann leicht die Freude über die Leistung selbst verdrängen. Dieser Abgötterei müssen wir widerstehen, wenn wir unser Leben nicht in der Anbetung dieses falschen Gottes und der vergeblichen Jagd nach ihm vergeuden wollen.
Richten wir nicht auch dann manchmal einen falschen Götzen auf, wenn wir eine Person fast bis zu dem Punkt verehren, daß wir ihre Weisheit, Güte und Hilfsbereitschaft an die Stelle der Weisheit, Güte und Hilfsbereitschaft Gottes, des göttlichen Gemüts, setzen? Wenn es auch richtig ist, ein ehrliches Gefühl der Werschätzung für die Intelligenz, Güte und Stärke eines anderen zu empfinden, so sollten wir doch nie vergessen, daß diese Eigenschaften niemals ausschließlich persönlicher Besitz sind, sondern von jedem durch geistige Widerspiegelung ausgedrückt werden können, denn sie gehen von Gott aus, der einzigen Quelle alles Guten.
Wenn wir diese Wahrheit nicht kennen oder sie nicht beachten, öffnen wir die Tür für einen persönlichen Götzendienst, der nur in tiefer Enttäuschung enden kann, aus der wir erwachen müssen und auch erwachen können, wenn wir nämlich unsere eigene wissenschaftliche Beziehung zum göttlichen Gemüt, dem universellen, unparteiischen Vater unser aller, erkennen.
Wenn wir uns nicht davor hüten, die Rolle eines Abgottes zu spielen, wird dies störend auf die inspirierte, selbstlose Durchführung unserer Arbeit einwirken und unser geistiges Wachstum hemmen.
Der Apostel Johannes, der die Lehren Jesu wiedergab, sagte, daß Gott zu verstehen und Ihm zu gehorchen bedeute, das ewige Leben zu haben. Er bat inständig: „Kindlein, hütet euch vor den Abgöttern.“ 1. Joh. 5:21; Aber wie? Die Antwort findet sich im Ersten Gebot: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ 2. Mose 20:3; Zu dem Schriftgelehrten, der dieses Gebot zitierte, um den Meister zu versuchen, sagte dieser: „Tue das, so wirst du leben.“ Luk. 10:28. Es ist die uneingeschränkte Anbetung des einen Gottes, die Abgötterei jeder Art ausschließt.
 
    
