In früheren Artikeln dieser Serie wurde auf die Unterteilungen des Buches hingewiesen, das jetzt als eine Einheit erscheint und als das Buch des Propheten Jesaja bekannt ist. Es ist der dritte Teil, das 56. bis 66. Kapitel, allgemein der Dritte Jesaja oder Trito-Jesaja genannt, dem wir uns jetzt zuwenden wollen.
In Versen geschrieben, wie viele der prophetischen Bücher, nimmt das Buch des Dritten Jesaja nicht Bezug auf Babel, scheint aber anzudeuten, daß einige der Verbannten, auf die als „die Versprengten Israels“ (Jes. 56:8) hingewiesen wird, bereits nach Palästina zurückgekehrt waren. Nicht allein das, sondern der Dritte Jesaja erwähnt auch den Tempel in einer Weise, daß man annehmen könnte, er wäre bereits wieder aufgebaut zu der Zeit, als die Botschaft niedergeschrieben wurde. So lesen wir im 6. Vers des 66. Kapitels von „einer Stimme vom Tempel her“ (n. der engl. Bibel), und die Hinweise auf „meinen Altar“ und „das Haus meiner Herrlichkeit“ (60:7) beziehen sich ganz gewiß auf einen Tempel und einen Altar, der in den Tagen des Propheten bereits da stand.
Bezüglich des herannahenden messianischen Zeitalters sind uns eine Reihe von hervorragenden und denkwürdigen Erklärungen und Voraussagen von diesem anonymen Verfasser überliefert worden oder von Verfassern, die gegen Ende des 6. oder Anfang des 5. Jahrhunderts schrieben und die das Volk dazu ermahnten, ein ethisches Niveau zu begründen, wenn sie Verheißungen wie diese in Anspruch nehmen wollten. Die am Anfang stehende Herausforderung kam in den Worten des Herrn: „Wahret das Recht und übt Gerechtigkeit; denn mein Heil ist nahe, daß es komme, und meine Gerechtigkeit, daß sie offenbart werde“ (56:1).
Die umfassendere Haltung des Dritten Jesaja zeigt sich in dem folgenden Kapitel, in dem der Prophet auf eine liebevolle Botschaft über Frieden und Heilung Nachdruck legt, die der Herr seinem Volk — wohin es auch verstreut sein mag — zukommen läßt: „Friede, Friede denen in der Ferne und denen in der Nähe, spricht der Herr; ich will sie heilen“ (57:19). Einem Aufruf, die Ansicht über das Fasten (siehe 58:3–7) zu ändern, folgen erneut Worte der Aufmunterung und Zuversicht (Vers 8): „Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“
Sowohl im 58. wie im 59. Kapitel sind Verheißungen über Erneuerung enthalten, während der Prophet fortfährt, an die höheren Ideale des Volkes zu appellieren; er dringt in die Menschen, die niederträchtigen Einflüsse, die sich unter ihnen breit gemacht haben, zu bereuen und sie zu überwinden und sich des Bundes zu erinnern, den Gott mit Seinem Volk geschlossen hat und den Er von Generation zu Generation treu hält.
Im 60. Kapitel beginnt der Aufruf an Zion, ein neues und verherrlichtes Jerusalem, das Symbol für Erlösung und Verheißung, dem sich Heiden und Könige zuwenden würden (siehe Vers 3). Selbst die Söhne früherer Unterdrücker würden ihm Ehre zuteil werden lassen und es „Stadt des Herrn“ nennen, „Zion des Heiligen Israels“ (Vers 14). Der Verfasser spricht hier die Stadt an und sagt von ihr voraus: „Man soll nicht mehr von Frevel hören in deinem Lande noch von Schaden oder Verderben in deinen Grenzen, sondern deine Mauern sollen, Heil‘ und deine Tore, Lob‘ heißen“ (Vers 18).
Es gibt genügend Beweise dafür, daß die Verfasser des Neuen Testaments mit diesem Teil des Buches Jesaja vertraut waren und erkannten, welcher Teil Christus Jesus in der Erfüllung seiner Prophezeiungen zufiel (z. B. Jes. 61:1, 2 und Luk. 4:17–21); was die geistige Inspiration und die Schönheit des Ausdrucks betrifft, so gehören diese Kapitel zu den wirkungsvollsten in der ganzen Bibel.
Das letzte Buch, das in dem offiziellen Kanon der prophetischen Bücher aufgeführt ist und das Werk und die Vision der „Propheten der Schrift“ des Alten Testaments zu einem Abschluß bringt, heißt in der Lutherbibel „Maleachi“, buchstäblich „Mein Bote“. Man ist allgemein der Meinung, daß dies kein persönlicher Titel ist, sondern vielmehr eine geeignete Bezeichnung für einen anonymen Verfasser, die offenbar aus Maleachi 3:1 entnommen ist, wo es heißt: „Siehe, ich will meinen Boten senden.“
Unter diesen Umständen können wir nicht erwarten, daß uns irgendwelche Einzelheiten über die Familie des Propheten oder seine Jahreszahlen gegeben werden, obwohl Maleachi nach der Überlieferung um die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. in Jerusalem gelebt haben soll.
Es war ein Zeitalter der Unzufriedenheit, Weltlichkeit und des Skeptizismus, mit dem es Maleachi zu tun hatte. Es ist üblich, die Lehren dieses Buches unter der allgemeinen Überschrift „Prophezeiung innerhalb des Gesetzes“ zusammenzufassen, weil es im wesentlichen ein prophetisches Buch bleibt, wenn es auch das grundlegende Gesetz des fünften Buches Mose bestätigt. Oder, um es mit anderen Worten zu sagen, es hält die Prinzipien des Gesetzes aufrecht und unterstützt damit mehr das Gesetz als äußerliche Gesetzesvorschriften.
Das Buch Maleachi beginnt mit einer kurzen Einführung (siehe 1:2–5), die die Grundlage für das Ganze bildet und das fundamentale Prinzip der Liebe Gottes für Sein Volk niederlegt; und diese Liebe sucht der Prophet zu einem Sammelpunkt für die Treulosen und Gleichgültigen seiner Generation zu machen.
Wenn wir das Buch Maleachi prüfen, wird es bald klar, daß er seinen eigenen Stil hat, nicht unähnlich dem des frühen Propheten Haggai, der zuerst die Ausreden oder Einwände darlegte, die seine Hörer — wie er meinte — vorbringen würden, und sie dann beantwortete (siehe Hag. 1:6, 9; 2:3, 19). Die von Maleachi gewählte Methode besteht darin, eine Tatsache oder Anschuldigung darzulegen, diesem den mutmaßlichen Einwand oder die Ausrede des Volkes folgen zu lassen und dann damit fortzufahren, den Irrtum in dieser Beweisführung aufzuzeigen.
Diese schriftstellerische Methode tritt selbst in diesem kurzen Buch etwa achtmal auf, und ein prägnantes Beispiel ist in Maleachi 3:8 zu finden: „Ist's recht, daß ein Mensch Gott betrügt, wie ihr mich betrügt! Ihr aber sprecht:, Womit betrügen wir dich?‘ Mit dem Zehnten und der Opfergabe.“
Es ist klar zu erkennen, daß die Priester wie das Volk nach und nach die Bedeutung des Gottesdienstes geschmälert hatten und der Gottheit nicht mehr die höchste Ehre gaben. Minderwertige Opfer wurden dargebracht, die selbst dann für völlig unwürdig angesehen worden wären, wenn sie für einen menschlichen Statthalter bestimmt gewesen wären (siehe 1:6–8). Die Untreue und Gleichgültigkeit in der Religion stand der Untreue und der Niedertracht in der Ehe nicht nach (siehe 2. Kapitel).
Obwohl das Volk Israel seit langem durch den Herrn Zebaoth gesegnet worden war, zeigt sich nun, daß die heidnische Welt Gott größere Lobpreisung zukommen läßt als Sein eigenes erwähltes Volk (siehe 1:11–14). Dennoch wird erkannt, daß das Gericht des Herrn nicht nur schrecklich für die Gottlosen ist, sondern auch freundlich und großzügig für die Gerechten, und Reue und Umwandlung werden durch überreichen Segen belohnt (siehe 3:10).
Das Buch des Propheten Maleachi wird oft für das verbindende Glied zwischen den beiden religiösen Ordnungen gehalten, zwischen dem Alten und dem Neuen Testament. Es wird traditionsgemäß als das abschließende Buch der hebräischen Bibel angesehen, in dem Maleachi auf die denkwürdigen Werke und immerwährenden Gesetzesvorschriften Moses, des Gesetzgebers, zurücksieht und im Namen des Herrn ausruft (3:22): „Gedenket an das Gesetz meines Knechtes Mose, das ich ihm befohlen habe auf dem Berge Horeb für ganz Israel, an alle Gebote und Rechte!“ Gleichzeitig weist er auf das Neue Testament hin, auf das Wirken Johannes des Täufers, den die Verfasser der Evangelien für denjenigen hielten, der den großen Seher Elia aus einer lange vergangenen Zeit verkörperte: „Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia, ehe der große und schreckliche Tag des Herrn kommt“ (Vers 23).
Wie angemessen ist es doch, das Buch „Mein Bote“ an das Ende des Alten Testaments unserer Bibeln zu setzen, wo es dem Beginn des Neuen Testaments unmittelbar vorangeht und den großen Boten oder Vorläufer des Messias ankündigt! Dieser Größere, der den lange vorausgesagten neuen Bund oder die neue göttliche Ordnung für die Menschheit begründete, ließ wahrlich Maleachis Vision in Erfüllung gehen (3:20): „Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter ihren Flügeln.“