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DIE BIBEL ALS ZUSAMMENHÄNGENDES GANZES: PAULUS, DER MISSIONIERENDE APOSTEL

[Diese Artikelserie zeigt die stetige Entfaltung des Christus, der Wahrheit, die ganze Heilige Schrift hindurch.]

Das Pharisäertum im Neuen Testament

Aus der November 1975-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Was kennzeichnete zu Jesu und Paulus’ Zeiten einen gewissenhaften Pharisäer? Die Antworten auf diese Frage werden uns einen Einblick in das gewähren, was Paulus nach dem Abschluß seines Studiums an der Hochschule für Rabbiner in Jerusalem erlebte, bis er zum erstenmal in der Apostelgeschichte erwähnt wird.

Die in Babylon im Exil lebenden Juden, weit von Jerusalem entfernt, wo ihr geliebter Tempel in Trümmern lag, waren bestrebt, im Buchstaben und im Geist die alte Tradition des mosaischen Gesetzes zu bewahren, das für sie die wichtigste Verbindung mit ihrer Heimat darstellte. Nach ihrer Rückkehr nach Palästina begann der Same des Pharisäertums, der während der Verbannung gesät worden war, aufzugehen.

Was die Pharisäer von den ultrakonservativen, priesterlichen Sadduzäern, die nur das geschriebene Gesetz befolgten, trennte, war, daß sie auf die „mündliche Überlieferung“, oder auf die in der Thora für bestimmte Situationen gesetzlich geregelten Präzedenzfälle, so viel Wert legten. Allgemein waren die Pharisäer aufrichtiger, liberaler, fortschrittlicher und weniger geneigt, politische Vorteile durch oder für ihre Religion zu suchen. In ihrem Bestreben, die Lehren des Gesetzes und der Prophezeiung zu bewahren, wurden jedoch ihre Auslegungen immer verwickelter und starrer. Ihre Wertschätzung der vorväterlichen Tradition verfiel leicht in peinlich genaue, streng an den Buchstaben des Gesetzes gebundene Einzelheiten.

Daher bietet sich uns, wenn wir uns den Evangelien zuwenden, ein Bild von den Pharisäern, das in seinen hauptsächlichen Umrissen keineswegs inspiriert (s. Matth. 23:1–33; Luk. 11:37–44; 18:10–14).

Wer kann das Bild vergessen, das Jesus von dem Pharisäer malt, der behutsam sein Trinkwasser wegen einer schmutzigen Mücke seiht und dabei nicht gewahr ist, daß er ein ganzes plumpes Kamel hinunterschluckt — mit Haut und Haar, samt Beinen, Höcker und Hals; der sich viel Mühe macht, seine Becher und Schüsseln auswendig zu polieren, und dabei vergißt, daß sie in Wirklichkeit inwendig gereinigt werden müssen. In dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner, das uns unser Meister gab, erklärt der Pharisäer stolz seine Überlegenheit über „die andern Leute“ (Luk. 18:11). Die Pharisäer, die Jesus kritisierte, waren jene, die sich gern in der Öffentlichkeit sehen ließen; die gern von den Menschen, denen sie in den Straßen begegneten, Rabbi genannt und an die wichtigsten Plätze geführt werden wollten, sei es nun bei Festen oder in den Synagogen. Sie waren es, die sich rühmten, den Zehnten von allem, was sie besaßen, zu geben, während sie sich nichts dabei dachten, wenn sie das Eigentum einer armen Witwe an sich rissen. Sie waren so damit beschäftigt, unbedeutende Kräuter — Minze, Raute, Dill und Kümmel — genau zu verzehnten, daß sie die wirklich wichtigen Forderungen des jüdischen Gesetzes übersahen. Diese Männer, sagte Christus Jesus, waren wie Gräber — frisch geweißt und respektabel außen, aber wie anders sah es innen aus!

Der Meister scheint sich nicht gescheut zu haben, solche Menschen als blind und arrogant, egoistisch und heuchlerisch bloßzustellen (s. Matth. 15:1—14). Dies war die dunkle Seite des Pharisäertums, die zu unserem Gebrauch des Wortes „Pharisäer“ im Sinne eines selbstgerechten oder scheinheiligen Menschen führte.

Glücklicherweise waren nicht alle so. Ein Nikodemus konnte zu Jesus kommen und interessiert seiner Erklärung über die Wiedergeburt lauschen; ein Gamaliel konnte sich für das Leben der Apostel einsetzen; ein Joseph von Arimathia konnte dem Nazarener die letzte Ehre erweisen, indem er ein Grab für dessen Bestattung zur Verfügung stellte. Tatsächlich wies Jesus darauf hin, daß sie und die Schriftgelehrten Moses Stellvertreter waren und daß das Volk ihre Lehren befolgen sollte: „Alles nun, was sie euch sagen, das tut und haltet; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht tun; sie sagen's wohl, und tun's nicht“ (Matth. 23:3).

Doch alle Pharisäer, ob sie nun gut oder schlecht waren, gingen anscheinend von dem Glauben aus, daß Gerechtigkeit durch strikten Gehorsam gegen das Gesetz des Alten Testaments und seine komplizierte, althergebrachte Auslegung gewonnen werden mußte. Viele, vielleicht die meisten, erblickten im Gehorsam gegen den Buchstaben das Ziel ihres Strebens. Es gab aber auch diejenigen, die es ernster nahmen, die sich aufrichtigen Herzens nach einer Erlösung sehnten, sie jedoch dadurch zu erreichen suchten, daß sie sich an den einzigen ihnen bekannten Weg hielten — die Befolgung der Gebote.

Es war offenbar ein junger Pharisäer dieses Kalibers, der zu Jesus kam und fragte: „Meister, was soll ich Gutes tun, daß ich das ewige Leben möge haben?“ Er hatte, so sagte er, die im Gesetz enthaltenen Gebote von seiner Jugend an streng befolgt. „Was fehlt mir noch?“ (Matth. 19:16, 20; vgl. Mark. 10:17; Luk. 18:18.)

Dies muß auch die Einstellung des jungen Saul von Tarsus gewesen sein. In seinem Brief an die Philipper erklärt er frei heraus, er sei „nach der Gerechtigkeit im Gesetz“ (3:6) unsträflich gewesen. Dies würde eine strenge Befolgung der im Gesetz Mose enthaltenen 248 Gebote und 365 Verbote und einer Anzahl sich darauf gründender Bestimmungen bedeuten. Saulus hatte das getan, was verlangt wurde, aber wie andere Pharisäer suchte er mehr und immer mehr Gebote zu befolgen, krampfhaft bemüht, Frieden und wahre Gerechtigkeit zu erlangen — die dahinschwanden, wenn sie beinahe in Reichweite waren.

Die Kämpfe und Enttäuschungen, die Saulus als junger Mann in jenen Jahren hatte, warfen ihren Schatten auf seine späteren Aufzeichnungen und lassen uns in etwa den inneren Konflikt erkennen, der in seiner Verfolgung der Christen so gewaltsam zum Ausbruch kam. Er hatte das mosaische Gesetz als den idealen Weg zur Erlösung betrachtet. Lange nachdem er sich zum Christentum bekehrt hatte, konnte er es immer noch als „heilig, recht und gut“ bezeichnen (Röm. 7:12); doch er lernte durch bittere Erfahrung, daß die endlosen Verbote des Alten Testaments Keineswegs Trost und Freude brachten, sondern die Sünde klarer hervortreten ließen und Ungehorsam herbeizuführen schienen. „Die Sünde erkannte ich nicht außer durchs Gesetz. Denn ich wußte nicht von der Lust, hätte das Gesetz nicht gesagt:, Laß dich nicht gelüsten!‘“ (V. 7.) Wie ungeheuer tief diese Erfahrung ihn berührte, kommt in einem bemerkenswerten Vers zum Ausdruck, in dem er den Schock, den er erlitt — als er die Bedeutung der Sünde und die Unzulänglichkeit des Gesetzes, ihn vor der Sünde zu retten, entdeckte —, mit dem Tode selbst vergleicht. „Ich aber lebte vormals ohne Gesetz; als aber das Gebot kam, ward die Sünde lebendig, ich aber starb ...“ und weiter: „Die Sünde nahm Anlaß am Gebot und betrog mich und tötete mich durch dasselbe Gebot“ (V. 9–11).

Allein diese Verse reichen beinahe aus, um die Lücke zwischen Saulus’ Studienzeit in Jerusalem und seinem Wirken als Christenverfolger zu schließen. Hier war ein Mann, dessen empfindsamer Geist durch ein Gefühl von Sünde geplagt wurde, der, obgleich er sich der Unzulänglichkeit des Gesetzes schmerzlich bewußt war, sich bemühte, es mit dem größten Eifer zu befolgen; denn er war gelehrt worden, daß Gerechtigkeit nur auf diese Weise erlangt werden konnte.

Wir können uns vorstellen, wie er einen Punkt nach dem andern dieser endlosen Bestimmungen meisterte, in der Hoffnung, daß nach dem Tode, den, wie er sagte, das Gebot in sein Leben brachte, doch noch Leben zu finden sei, wenn er sich lange genug mit ihnen befaßte. Er mag sehr wohl wie jener andere junge Mann ausgerufen haben: „Was soll ich Gutes tun, daß ich das ewige Leben möge haben?“ Noch als Christ beschäftigte sich Paulus mit einer ähnlichen Frage: „Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ (Röm. 7:24.) Kurz, wenn wir auch praktisch nichts über die einzelnen Ereignisse jener Zeit wissen, wo er als Mitglied der strengsten Sekte der jüdischen Religion als ein Pharisäer lebte, haben wir doch Beweise für jenen seelischen Konflikt, der in seinem Leben und Lehren nach seiner Bekehrung solch eine wichtige Rolle spielen sollte.

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