Vor einigen Jahren war ich auf der Insel Patmos, wo Johannes seine große Offenbarung hatte. Ich stand in der Felsenhöhle, die ihm der Überlieferung nach als Unterkunft diente, und blickte von dort hinaus über die frühlinghafte, hügelige Inselwelt. Unter dem Eindruck des strahlenden Himmels, der grünen Hänge und des herrlichen tiefblauen Meeres konnte ich mir gut vorstellen, daß sich das Herz für eine Offenbarung bereit machte.
Der Blick des Johannes sah jedoch mehr als nur die Schönheit, die sich dort vor mir ausbreitete. Als er schrieb: „Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde“, da setzte er auch hinzu: „Denn der erste Himmel und die erste Erde vergingen, und das Meer ist nicht mehr.“ Offenb. 21:1; Was uns vom göttlichen Gemüt kommt, von Gott, der Wahrheit ist, erleuchtet unser Bewußtsein mit der Herrlichkeit des geistigen Seins.
Wenn wir zuerst mit der Christlichen Wissenschaft bekannt werden, mag uns zumute sein, als träten wir aus dem Winter in den Frühling. Alles erscheint verschönt und von neuer Kraft erfüllt. Aber dieser Frühling unseres Erlebens könnte vor der Hitze eines Sommers der Probleme und der kalten Berührung eines Winters der Entmutigung vergehen, und wir könnten müde nach einem neuen Frühling ausschauen, wenn wir nicht die tiefere Metaphysik der Christlichen Wissenschaft in uns aufnähmen und unsere ganze Auffassung vom Sein umgestalten ließen. Wir müssen das wahrhaft neue Leben, das uns diese Wissenschaft bringt, erkennen und dürfen es nicht mehr loslassen.
Es war größtentelis immer noch „der erste Himmel und die erste Erde“, die wir in unserer Begeisterung so verschönt, so voller Verheißung gesehen hatten. Und doch, unsere Begeisterung mußte der unvergleichlichen Erkenntnis dessen, was das Neue wirklich ist, weichen und muß immer weiter weichen. Sonst werden wir weiter nach dem Christus ausschauen — wie jene, die Jesus zuhörten, aber nicht seine ständigen Nachfolger wurden —, weil wir das Neue, das Umwandelnde seines Kommens nicht wirklich erfaßt haben.
Bestand für uns das Neue in körperlichen Heilungen oder im Lösen anderer Probleme? Oder war es eine gänzlich neue Sicht, deren Begleiterscheinung diese Heilungen und Lösungen waren? Das ewig Neue, das uns die Christliche Wissenschaft eröffnet, ist nicht eine bloße Besserung materieller Zustände, sondern die revolutionäre Auffassung von der Nichtsheit der Materie und der Allheit des Geistes. Als Jesus begann, die Gedanken seiner Nachfolger auf Wesentlicheres hinzuweisen, als ihm nur um der Brote und Fische willen nachzufolgen, da „wandten... viele sich ab und wandelten hinfort nicht mehr mit ihm“ Joh. 6:66;.
Unsere Antwort auf die Frage „Was ist wirklich, Materie oder Geist?“ ist von entscheidender Bedeutung. Einen neuen Himmel und eine neue Erde zu sehen, dazu gehört nun einmal, daß unsere Auffassung von dem alten Himmel und der alten Erde umgewandelt, vergeistigt wird. Ich begann einen Schimmer davon zu erhaschen, als ich eine neue Wohnung in einer wunderschönen Gegend bezog, wo alles Freude und Wonne zu sein schien. Ich spürte, daß ich dringend etwas Weiteres brauchte. Immer wenn ich mich von etwas Schönem um mich her besonders angesprochen fühlte, sagte ich daher zu mir: „Das ist so verheißungsvoll und erfreulich, und doch, es ist nur ein Hinweis auf den wahren Himmel und die wahre Erde, die geistig sind, wo Gott, Geist, Alles ist und ewig ist und das Gute niemals vergeht.“ Meine Freude an dem Schönen in meiner Umgebung wurde dadurch nicht vermindert, sondern die Freude wurde auf eine höhere, sichrere Grundlage gestellt. Ich konnte einen höheren Glanz wahrnehmen, von dem ich wußte, daß er immer da sein würde, und den ich immer sehen könnte, wenn ich mein Denken zu dem geistig Wahren erhöbe, ganz gleich, wie das materielle Bild sein mochte.
Die Wirklichkeit alles Materiellen zu leugnen — selbst die schönen Sinneseindrücke als nur eine Verheißung des Wirklichen zu sehen — ist keine Verstiegenheit. Mrs. Eddy sagt in den Vermischten Schriften: „Die Christliche Wissenschaft beginnt mit dem ersten der Zehn Gebote aus dem hebräischen Dekalog: ‚Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.‘ Sie geht in vollkommener Übereinstimmung mit Christi Bergpredigt weiter und erreicht in diesem Zeitalter ihren Höhepunkt in der Offenbarung des Johannes, der, während er noch auf Erden war und im Fleisch wie wir, ‚einen neuen Himmel und eine neue Erde‘ erblickte — das geistige Weltall, von dem die Christliche Wissenschaft jetzt Zeugnis ablegt.“ Verm., S. 21;
Und sie gibt uns „die wissenschaftliche Erklärung des Seins“. Ohne jede Einschränkung sagt sie uns in Wissenschaft und Gesundheit: „Es ist kein Leben, keine Wahrheit, keine Intelligenz und keine Substanz in der Materie. Alles ist unendliches Gemüt und seine unendliche Offenbarwerdung, denn Gott ist Alles-in-allem.“ Der Christliche Wissenschafter hat also das Recht — und die Pflicht —, der Materie jede Wirklichkeit abzusprechen, ohne dabei zu fürchten, den Mund zu voll zu nehmen. Aber ebenso ist es seine Pflicht, zu wissen und zu bestätigen: „Alles ist unendliches Gemüt.“ Die Erklärung schließt mit den Worten: „Geist ist Gott, und der Mensch ist Sein Bild und Gleichnis. Folglich ist der Mensch nicht materiell; er ist geistig.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 468;
Halten wir an dieser Wahrheit fest, auch wenn sich unser Leben im materiellen Bereich abzuspielen scheint. Fühlen wir uns nicht herausgehoben aus dem Mesmerismus einer sterblichen, materiellen Lebensauffassung, wenn wir uns dem neuen Verständnis öffnen, das uns die Christliche Wissenschaft gebracht hat? Es geht uns dann jedesmal so wie den Jüngern. Mrs. Eddy sagt: „Indem sie Christus, Wahrheit, am Gestade der Zeit von neuem gewahrten, wurden sie befähigt, sich ein wenig aus der sterblichen Sinnengebundenheit oder aus dem Begrabensein des Gemüts in der Materie in die Neuheit des Lebens, das Geist ist, zu erheben.“ ebd., S. 35. Wir werden immer stärker und bewußter im Erleben der Wirklichkeit. Über uns wölbt sich immer klarer der neue Himmel, und wir setzen immer sicherer unseren Fuß auf die neue Erde, als Wesen, die „das geistige Weltall“ bevölkern, „von dem die Christliche Wissenschaft jetzt Zeugnis ablegt“.