Ist dir schon einmal mitten auf einer vertrauten Strecke plötzlich bewußt geworden, daß du dich nur vage erinnerst, an bestimmten Stellen gehalten zu haben oder abgebogen zu sein?
Hast du dich in der Kirche schon einmal zum Schlußlied erhoben und dabei bemerkt, daß du während des Gottesdienstes nicht gerade sehr aufmerksam gewesen warst?
Wir haben es hier mit einer Verschwommenheit des Denkens zu tun — die weder die Sicherheit noch den geistigen Fortschritt fördert. Noch ist sie unvermeidlich.
Die allgemeine menschliche Einstellung dazu mag sein, das sei „nun mal menschlich“ — ein gewisses Sichtreibenlassen und Träumen, das sei normal. Oder es werden körperliche oder mentale Gründe dafür angeführt: man habe nicht genug Schlaf bekommen, oder es liege einem nun mal nicht, sich ständig zu konzentrieren.
Richtig ist aber, daß es sich hier um Suggestionen handelt — ähnlich denen eines Hypnotiseurs. Es mag einem wohl so vorkommen, als ob sie im eigenen Denken entstünden. Wenn man ihnen lauscht, so haben sie jedoch eine einschläfernde Wirkung. Was wir hier erleben, ist die Scheinwirkung der Suggestion.
In seinem Brief an die Christen in Rom deutet Paulus an, daß ihm die volle Bedeutung dieses Kampfes um das Wachbleiben sehr wohl bewußt war. Ganz offen spricht er über seine eigene Erfahrung: „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich... So finde ich nun das Gesetz, daß mir, der ich das Gute tun will, das Böse anhängt.“ Röm 7:19, 21.
Aber in seinem Brief an die Galater fügt er noch einen sehr wichtigen Punkt hinzu: „Regiert euch aber der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz.“ Gal 5:18.
Mit anderen Worten, wir brauchen uns diesen verschiedenen Suggestionen wie Apathie, Passivität und Mangel an klarer, konzentrierter Aufmerksamkeit nicht ergeben. Wir haben eine Alternative. Die Christliche Wissenschaft
Christian Science (kr'istjən s'aiəns) hilft uns verstehen, daß wir uns darum bemühen können, die belebende Kraft des göttlichen Geistes, Gottes, besser zu kennen und zu empfinden — ja tatsächlich zu verstehen, daß dieser Geist, der einzig Eine, Alles ist. Wenn wir uns an diese große Wirklichkeit — den einen Geist oder das göttliche Gemüt — wenden, werden wir gestärkt und belebt. Man könnte sagen: Vom Geist regiert zu werden ist wie ein Aufwachen. Schneller als auf irgendeine andere Weise wird dadurch die Tatsache aufgedeckt, daß ein verschwommener, träger Gedankenzustand nicht unvermeidlich ist, daß wir eben nicht „so sind“.
Wenn wir uns an Gemüt, an Gott, wenden, so könnten wir in bestimmten Situationen anfänglich meinen, daß wir einen hoffnungslosen Kampf gegen Müdigkeit oder Leere kämpfen oder gegen das Gefühl, daß geistige Dinge wohl niemals sinnvoll erscheinen werden. Es mag uns zuerst wie ein Gesetz vorkommen, daß wir gerade dann, wenn wir hellwach sein müßten, dazu neigen, gelangweilt oder müde zu sein. Aber wenn wir nicht lockerlassen und uns ernsthaft bemühen, die ständige Allgegenwart des Geistes zu erkennen, kommen wir schließlich los von den alten Neigungen. Wir bemerken mit einem Mal, daß un eine völlig neue Wahrnehmung der geistigen Wirklichkeiten gefangenhält, eine Wahrnehmung, die immer interessant und lebendig ist.
Bereit zu sein, so zu kämpfen, heißt, daß man nicht nur gelegentliche Unaufmerksamkeit erfolgreich überwindet, sondern auch, daß man in gewissem Grade aufwacht aus dem allgemeinen Traum des Materialismus, der sich in Verschwommenheit, Sinnlichkeit, mangelnder Individualität und unbewußter Konformität mit dem, was andere denken und tun, äußert. Und wenn wir aufwachen, so wachen wir zu etwas Bestimmtem auf: zu ergiebigen neuen Wahrnehmungen, zu einer bewußter ausgedrückten Nächstenliebe, zu heilenden Fähigkeiten und zu der Fähigkeit, entsprechend dem Guten, das wir erkennen, zu handeln.
Schon ein oder zwei wirklich wache Menschen können eine spürbare Wirkung auf die mentale Atmosphäre einer Familie, einer Kirche oder einer Firma ausüben. Wie groß wird erst die Wirkung sein, wenn mehr und mehr Menschen hellwach sind!
Wir können wachsamer sein, weil ein klares Bewußtsein tatsächlich unserem eigentlichen Wesen entspricht, dem wahren Sein des Menschen. Wachsamkeit ist etwas Natürliches für uns; Schläfrigkeit und Apathie sind nicht natürlich. Es ist unsinnig zu glauben, Gottes Mensch sei so gebaut, daß er eine bestimmte Anzahl von Stunden zum Schlafen brauche oder daß er sich nur kurze Zeit konzentrieren könne oder daß er einen Großteil seiner Zeit in den Tag hineinträumen und sich treiben lassen müsse. Das ist nicht typisch für den Menschen Gottes, der zu Seinem Bild und Gleichnis geschaffen wurde. Unsere zunehmende geistige Erfahrung beweist das. In Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift findet sich folgende fundamentale Aussage: „Gott schlummert niemals, und Sein Gleichnis träumt niemals.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 249. Man kann sagen, daß es sich hier um eine grundlegende Wahrheit über den Menschen handelt — ja diese Wahrheit ist so grundlegend, daß sie wissenschaftlich ist.
Wir müssen mit großem Eifer daran arbeiten, diese geistige, wissenschaftliche Wirklichkeit in der menschlichen Erfahrung zu beweisen. Im schwersten Augenblick in Christi Jesu Leben zum Beispiel schliefen die dem Erlöser geistig am nächsten stehenden Jünger ein. Passiert uns so etwas heute auch, wo die Welt den lebendigen Christus, die Wahrheit, so dringend braucht?
Gegen Ende des Kapitels „Zusammenfassung“ in Wissenschaft und Gesundheit wird die Frage beantwortet: „Wie kann ich am schnellsten im Verständnis der Christlichen Wissenschaft vorwärtkskommen?“ Die Antwort enthält einen Satz, der manchen stutzig macht. Man fragt sich manchmal, was der Satz dort soll. Mrs. Eddy schreibt: „Ferner wirst du begreifen lernen, daß es in der Wissenschaft keine Übertragung böser Suggestionen von einem Sterblichen auf den anderen gibt, denn es gibt nur ein Gemüt, und dieses immergegenwärtige, allmächtige Gemüt wird vom Menschen widergespiegelt und regiert das ganze Universum.“ Ebd., S. 495, 496.
Kann man daraus nicht schließen, daß die Verfasserin erkannt hatte, wie wichtig dieser Punkt für den weiteren Fortschritt jedes Menschen ist, der dem Christus mit ganzem Herzen folgen möchte? Es stimmt, daß es einem manchmal so vorkommt, als ob es ein Gesetz gäbe, das gegen den geistigen Fortschritt arbeite. Es kann sein, daß wir geistige Schwerfälligkeit empfinden, fast als ob es ein Gemüt gäbe, das uns suggeriere oder das annehme, geistige Dinge seien im Gegensatz zum Materialismus nicht anregend und fortschrittlich. Aber wenn wir uns mehr denn je völlig auf die reine wissenschaftliche Tatsache stützen, daß es nur einen Geist, nur ein Gemüt oder einen Gott gibt und keinen neben Ihm, dann erlangen wir eine kaum vorstellbare gedankliche Klarheit. Wir fühlen uns belebt, statt nur halb wach. Wir erfahren auf bemerkenswerte, völlig neue Weise, daß unser Leben und unser Ziel von Gott gegeben sind.
