Kriege zwischen Jugendbanden machen leicht Schlagzeilen. Doch entwickeln sich Jugendbanden und die damit einhergehende Feindschaft aus kleinen Dingen, abseits vom Rampenlicht — beim einzelnen und im Denken des einzelnen.
Der Vorfall, den er im folgenden schildert, zeigt, daß Jugendbanden nicht unbedingt ein Problem darstellen müssen, weder für einander noch für die Schule. Wir werden auch daran erinnert, wie erfolgreich demütiges, schlichtes Gebet ist.
Die Atmosphäre im Direktorat war an jenem Nachmittag explosiv geladen, Gewalttätigkeit lag in der Luft, und ich wußte einfach nicht mehr, was ich tun sollte. Vor mir saßen vier junge Burschen, die Führer zweier Banden unserer Schule; seit Beginn des Schuljahres waren diese Banden wiederholt aneinandergeraten.
Als Direktor bin ich für das Verhalten der Schüler verantwortlich, und so hatte ich mehrfach ihre Wortgefechte geschlichtet, hatte in wütende Auseinandersetzungen eingegriffen, ihnen die Waffen abgenommen, mich mit allen Beteiligten zusammengesetzt, Einzelgespräche geführt, hatte ihnen gut zugeredet, sie vom Unterricht suspendiert und ihnen den Schulverweis angedroht. Doch alles vergebens.
Die vier saßen nun vor mir und warteten darauf, einmal mehr eine Strafpredigt über ihren letzten Zusammenstoß zu hören. Nur das Problem war, daß ich keine Ahnung hatte, was ich ihnen noch sagen sollte. Ich hatte ihnen schon jeden guten menschlichen Grund für die Beendigung dieses Verhaltens dargelegt: Wertvolle Zeit zum Lernen gehe verloren, der Schulbetrieb werde gestört, jemand könne gefährlich verletzt werden, sie könnten verhaftet werden usw. Dann kamen mir, völlig unvermutet, die Worte aus dem Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy in den Sinn: „Der eine unendliche Gott, das Gute, vereinigt Menschen und Völker ...“ Science and Health (Wissenschaft und Gesundheit), S. 340. Der vollständige Satz lautet: „Der eine unendliche Gott, das Gute, vereinigt Menschen und Völker; richtet die Brüderschaft der Menschen auf; beendet die Kriege; erfüllt die Schriftstelle:, Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst’; vernichtet heidnische und christliche Abgötterei — alles, was in sozialen, bürgerlichen, kriminalen, politischen und religiösen Gesetzen verkehrt ist; stellt die Geschlechter gleich; hebt den Fluch auf, der auf dem Menschen liegt, und läßt nichts übrig, was sündigen, leiden, was bestraft oder zerstört werden könnte.“ “One infinite God, good, unifies men and nations; constitutes the brotherhood of man; ends wars; fufils the Scripture, ‘Love thy neighbor as thyself;’ annihilates pagan and Christian idolatry, — whatever is wrong in social, civil, criminal, political, and religious codes; equalizes the sexes; annuls the curse on man, and leaves nothing that can sin, suffer, be punished or destroyed.”
Zu den Jungen sagte ich nichts darüber. Statt dessen zog ich plötzlich meinen Stuhl ganz nahe zu ihnen heran und sagte: „Jeder von euch war doch schon einmal in der Kirche, oder?“ Sie bejahten meine Frage. (Sie gehörten alle christlichen Kirchen an.) „Und jeder von euch hat dann während des Gottesdienstes das sogenannte Gebet des Herrn gesprochen.“ Ich bezog mich natürlich auf das Gebet, das Jesus seine Jünger gelehrt hatte. Wieder bejahten sie das. „Und jetzt“, so fügte ich hinzu, „möchte ich, daß mir einer von euch sagt, wie die ersten beiden Wörter dieses Gebets lauten, das ihr alle gesprochen habt." Traurigerweise mußten die Jungen ziemlich lange darüber nachdenken, aber mit einiger Hilfe kamen sie darauf, daß das Gebet mit den Worten „Unser Vater“ beginnt. „Und nun aufgepaßt!" sagte ich zu ihnen. „Es heißt dort nicht unser indianischer, unser mexikanischer, unser weißer oder unser schwarzer Vater. Nur schlicht ,unser' — unser aller Vater. Und nun, meine Herren, solltet ihr euch einander zuwenden und euch mit anderen Augen ansehen, denn in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis steht ihr zueinander, wenn Gott wirklich unser Vater ist?“ Leise und fragend kam aus vier Kehlen das Wort Brüder.
Abschließend sagte ich zu ihnen: „In jeder Familie gibt es manchmal große Unstimmigkeiten.“ Da wir im eigentlichen Sinne alle eine „Familie“ sind, wies ich sie darauf hin, daß wir den Frieden wiederherstellen können, wenn wir uns vor Augen führen: „Das ist ja schließlich mein Bruder“ und dann vergeben, vergessen und uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern.
Dieses Gespräch liegt mehrere Monate zurück. In der Zwischenzeit haben sich die beiden Jugendbanden freiwillig aufgelöst. Es hat keine rassen- oder bandenbezogenen Probleme mehr gegeben. Doch das schönste ist, daß zwischen den Jungen aus beiden Lagern viele gute Freundschaften entstanden sind und daß sich das tägliche Miteinander in der Schule, im Unterricht, beim Sport und in der Pause normalisiert hat.
Man sollte aber nicht etwa glauben, daß angemessene Aufsicht, konstruktive Beschäftigung und ein festes Gefüge aus Disziplin und Zuneigung jetzt nicht mehr notwendig seien. Weit gefehlt. Wir können jedoch nicht erwarten, daß wir durch diese Dinge heilen, denn sie gehen nicht weit genug. Sie stoßen nämlich nicht zu der Grundlage der Harmonie und Brüderlichkeit vor, zu der Tatsache, daß wir (entgegen dem äußeren Anschein) nicht viele einzelne, unharmonische Splittergruppen sind, sondern alle eine liebevolle Familie unter Gottes unfehlbarer und friedevoller Leitung, weil es ja nur einen Vater-Mutter Gott gibt.
Wer sich in seinem Gebet nach diesem göttlichen Gesetz richtet — dem Gesetz, das unsere wahre Beziehung zu Gott und zueinander definiert — kann selber beweisen, daß Johannes mit seiner Aussage recht hat: „Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder.“ 1.Joh 3:2.
Ich bin einer der Jungen, die bei dem Gespräch dabei waren. Mir war nie der Gedanke gekommen, daß alle Menschen Brüder und Schwestern sind. Ich glaube aber, daß das stimmt. Jetzt klappt eigentlich alles ganz gut, und es gibt nicht mehr so viele Probleme.
An unserer Schule ist es jetzt angenehmer als vorher. Es macht jetzt nicht mehr so viel aus, daß wir verschiedenen Rassen angehören. Ich hatte schon vorher gewußt, daß Gott unser Vater ist, hatte aber bis dahin nicht danach gehandelt. Ich bin froh, daß nun alles anders ist.
Ich war bei dem Gespräch dabei. Ich hatte mir noch nie darüber Gedanken gemacht, daß andere Leute unsere Brüder und Schwestern sind. Es geht jetzt friedlicher mit den Mexikanern zu. Ich hatte eigentlich über Gott nie viel nachgedacht.
