Sie sind gerade von einer Wahlversammlung Ihrer Zweigkirche heimgekehrt; und Sie sind der neue Erste Leser! Vielleicht war das das letzte, was Sie erwartet hätten. Vielleicht haben Sie Bedenken deswegen — oder sogar ein wenig Angst davor. Vielleicht freuten Sie sich darauf und hofften, daß sich Ihnen diese wunderbare Gelegenheit eines Tages bieten würde. Vielleicht haben Sie sich still für denjenigen gefreut, der in das Leseramt gewählt würde, wer immer es auch sei, und haben sich vertrauensvoll darauf verlassen, daß die göttliche Weisheit Ihre Zweigkirche und die Gemeinde leiten würde. Wie dem auch sei: Die Wahl ist auf Sie gefallen. Was nun?
Schauen Sie doch zunächst einmal in das Handbuch Der Mutterkirche von Mary Baker Eddy. Die Satzungsbestimmungen über das Lesen sind wie ein Kompaß; sie weisen klar die Richtung, in die Sie gehen können. Geistigkeit, Tugend, Gelehrsamkeit, Studium, Hingabe, Aufopferung, Selbstlosigkeit, Liebe, geistiges Lauschen — diese Eigenschaften, die in Artikel III des Kirchenhandbuchs angedeutet werden, sind ein guter Ausgangspunkt, eine gute Grundlage, eine gute Startrampe für erfolgreiches Lesen in der Kirche.
Es ist hilfreich, sich vor Augen zu führen, daß man zwar Worte hört, aber Gedanken spürt. So sollte denn ein Gottesdienst nie zur Routine werden. Er ist nie nur ein mechanischer Vorgang, bei dem man Wörter aus einem Buch vorliest. Er ist immer ein geistiges Erlebnis, das Ergebnis wirksamen Gebets. Der Wortlaut der Bibellektion an einem bestimmten Sonntag ist in jeder Zweigkirche derselbe. Die Gottesdienste und ihre Wirkung können jedoch sehr unterschiedlich sein. Woran liegt das? Wird nicht gerade durch die geistige Vorbereitung der Leser und der einzelnen in der Gemeinde der Gottesdienst über das reine Wort hinaus in die geistige Dimension des Trostes und des Heilens erhoben? Das tägliche Gebet für sich selbst, Gebet, wie Mrs. Eddy es im Kirchenhandbuch formuliert, um „rein vom Übel“ zu bleiben, Gebet um ein reines Herz, Gebet, daß man auf dem geraden und schmalen Weg bleibe, solches Gebet macht uns für Gottes Wort empfänglich und gibt uns die Freiheit, es auszudrücken.
Das Gebet für uns selbst schließt vielleicht den Wunsch mit ein, eine Transparenz für den Christus, die Wahrheit, zu sein, ihn durch uns hindurchscheinen zu lassen. Es gibt eine bekannte, aber nützliche Analogie für den Gedanken der Transparenz: ein sauberes Fenster, durch das man eine wunderschöne Aussicht hat. Der Zweck des Fensters liegt nun nicht darin, daß die Leute sagen: „Was ist das für ein schönes Fenster!“, sondern „Oh, was ist das für eine herrliche Aussicht!“
Diese Analogie kann dazu beitragen, jegliche Bedenken über unseren Auftritt in der Öffentlichkeit auszuräumen. Wir brauchen uns nicht darum zu sorgen, wie viele Leute uns zuhören. Sind zum Beispiel viele Leute da, könnten wir versucht sein zu glauben, sie seien gekommen, um uns zu hören. Oder sind nur wenige Leute gekommen, könnten wir versucht sein zu glauben, daß nur die paar uns hören wollten. Möglicherweise beschäftigt uns auch die Frage, wer denn alles unter der Zuhörerschaft sitzt. Das Beste, was wir jedoch für die Gemeinde tun können, ist, daß wir mit Inspiration, Hingabe, Aufopferung, geistiger Autorität, Freude und Liebe lesen und das Ergebnis vertrauensvoll in Gottes Hände legen. Eine Geige kümmert sich auch nicht um die Bogentechnik oder um die möglichen Zuhörer. Sie reagiert ganz einfach auf die Hand, die den Bogen führt. Unser Gebet könnte lauten: „ Vater, gebrauche Du mich nach Deinem Vorsatz. Laß mich Dein Instrument sein, auf dem Du spielen kannst.“
Leser sollten vielleicht auch ihr Verständnis von der geistigen Grundlage wahrer Kommunikation vertiefen. Das göttliche Gemüt ist der eine Kommunikator — Gemüt, das sich entfaltet, sich ausdrückt, sich offenbart, sich deutet und sich empfängt. In dem Maße, wie wir auf die Führung des Gemüts lauschen und uns dieser Führung anvertrauen, sind wir ein Instrument in dem sich entfaltenden Plan des göttlichen Gemüts.
Wie ein Leser berichtet, habe er die Bibellektion immer mit dem Ziel studiert, ihre zentrale Botschaft herauszuarbeiten. Im Laufe der Zeit habe er gemerkt, daß jede Lektion (auch wenn die gleichen Themen immer wiederkehren) einen völlig eigenen Charakter hat und auf einzigartige Weise an das Thema herangeht. Wenn er den Kerngedanken der Lektion begriffen zu haben glaubte, lauschte er im Gebet und forschte ernsthaft in den Büchern, um die Lieder, die einleitenden Bibelverse und den Segen herauszusuchen, die die Lektionspredigt ergänzen. Das war nie eine routinemäßige oder mechanische Sache. Die Reihenfolge der Lieder — ihr beschaulicher, aufrüttelnder oder freudiger Grundton — ließ einen bestimmten Zweck erkennen.
Er versuchte, die Bibelstellen so auszuwählen, daß sie eine Brücke zur eigentlichen Bibellektion darstellten. Und in den Bekanntmachungen sah er nicht etwas, „was man nun einmal hinter sich bringen muß“. Sie dienten ebenfalls dazu, Informationen, Trost, Liebe und Heilung im Gottesdienst zu vermitteln. Je nach der Botschaft der Lektionspredigt wurden auch „die wissenschaftliche Erklärung des Seins“ und die entsprechende Schriftstelle aus dem ersten Johannes in Ton und Art anders verlesen. Der Leser sagte, daß er immer einen Segen in Bezug zum zentralen Thema der Lektionspredigt ausgewählt habe, der Gottes tröstliche Fürsorge verhieß.
Schließlich verwandte er immer eine angemessene Zeit darauf, den ganzen Gottesdienst laut zu lesen, damit die Bedeutung der Botschaft deutlich wurde. Er meinte, daß er dem Gottesdienst damit eine Einheit und Richtung gab, die ihn verständlicher, zusammenhängender und einprägsamer machten.
Ganz gleich, welchen Ansatzpunkt wir wählen, welche menschlichen Vorbereitungen wir treffen, immer bildet Gebet die einzig wahre Grundlage für wirkungsvolles Lesen: Gebet für sich selbst, Gebet für den Gottesdienst, Gebet für die Kirchengemeinde, Gebet für die Stadt und die Welt. Ein Gottesdienst ohne Gebet könnte man vergleichen mit einem Bild von der Sonne. Es mag zwar schön aussehen, doch fehlen ihm das Licht und die Wärme, die die Pflanzen für ihr Wachstum brauchen!
Im Gebet für den Gottesdienst sollten die Leser ihr Augenmerk insbesondere auf die Definiton des Begriffs Kirche im Glossarium des Buches Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy lenken und sie spezifisch auf den Gottesdienst anwenden. Sie beginnt mit den Worten: „Kirche. Der Bau der Wahrheit und Liebe; alles, was auf dem göttlichen Prinzip beruht und von ihm ausgeht.“ Science and Health (Wissenschaft und Gesundheit), S. 583: “Church. The structure of Truth and Love; whatever rests upon and proceeds from divine Principle.”
Ein Leser sagte, er könne klarer sehen, daß der Gottesdienst ein Ausdruck des „Bau[s] der Wahrheit und Liebe“ ist. Er betete um die Erkenntnis, daß der Gottesdienst auf Wahrheit und Liebe beruht und nicht auf der Person — weder auf seiner noch auf der anderer. Der Gottesdienst beruht nicht auf professionellen Methoden oder der Größe der Kirchengemeinde. Er beruht nicht auf menschlichen Meinungen, auf persönlichen Zuneigungen oder Abneigungen, auf Dingen, die vorzugsweise als Kritik angebracht werden, noch auf persönlichem Ehrgeiz oder gar Furcht. Der Leser sah ein, daß das, was „auf dem göttlichen Prinzip beruht und von ihm ausgeht“, sicher, normal, rein, frei, unbeschränkt, gesundheitsfördernd und hilfreich ist.
In dieser Tätigkeit für die Kirche können wir Inspiration, Stärke, Fortschritt und geistiges Wachstum finden. Diese im Handbuch vorgesehene Tätigkeit ist beschützt und sicher. Die Leser dürfen ganz gewiß folgendes Wort von Mrs. Eddy auf sich beziehen: „Geliebte Brüder, heute biete ich den Getreuen meine Verbundenheit mit Herz und Hand an, jenen, deren Herz auf den mentalen Wegen der Menschheit für Gott und das Menschengeschlecht geschlagen hat, und seid versichert, daß Gottes ausgestreckter Arm euch niemals fehlen kann, solange ihr in Seinem Dienste steht.“ Message for 1901 (Botschaft für 1901), S. 1: “Beloved brethren, to-day I extend my heart-and-hand-fellowship to the faithful, to those whose hearts have been beating through the mental avenues of mankind for God and humanity; and rest assured you can never lack God's outstretched arm so long as you are in His service.”
So seien nun Sie — der neugewählte Leser, der nach der Mitgliederversammlung wieder daheim ist — herzlich gegrüßt! Ihnen viel Freude!
Über die Mittwochzeugnisversammlung: Anmerkungen eines ehemaligen Ersten Lesers
Mit der Einrichtung der Sonntagsgottesdienste und Mittwochzeugnisversammlungen hat Mrs. Eddy etwas in sich Vollständiges, ein vollkommenes Gleichgewicht geschaffen — ein Gleichgewicht zwischen Lernen und praktischem Anwenden, zwischen Erkennen und Handeln, zwischen Verstehen und Sich-Austauschen. Für die meisten Mitglieder der Kirchengemeinde ist nach dem täglichen Lesen und Erforschen der Bibellektion das nochmalige Hören der Lektion als Predigt am Sonntag ein Höhepunkt — eine abschließende Zusammenkunft mit einem vertrauten und geliebten „Freund“, dessen Themen, Tiefen und Implikationen reichlich ausgelotet werden konnten. Im Mittelpunkt stehen hier hauptsächlich das Lernen und das Hören.
Im Gegensatz dazu liegt das Schwergewicht am Mittwoch auf der Anwendung und dem Austausch. Die Mitglieder der Kirchengemeinde müssen die Wahrheit in etwa verstanden haben und darüber sprechen, oder jener Teil der Versammlung, der für Zeugnisse vorgesehen ist, entfällt. Und die Lesung erfolgt ohne Ankündigung eines Themas nur dieses eine Mal. Die Kirchenbesucher haben nicht die Gelegenheit, sich mit den Stellen weiter zu befassen. Das bedeutet, daß die Zuhörer nach diesem einmaligen Hören der Lesung eine ausreichend klare Vorstellung davon haben sollten, wie sie auf ihr Leben, auf irgendeine Frage, die die Öffentlichkeit beschäftigt, oder auf die Nöte der Welt anzuwenden ist, damit sie die Wahrheiten der Lesung auch in die Tat umsetzen können.
Das stellt besondere Forderungen an den Leser. Das Thema muß für jedermann sonnenklar sein — leichter zu erfassen als die Themen der Wochenlektion, mit der man sich ja eingehend befassen kann. Hat eine Lesung diese Klarheit, ist sie zeitgemäß, praxisbezogen und auf aktuelle Bedürfnisse zugeschnitten, so können die Zuhörer die Botschaft begreifen und anwenden. Sie verbringen die Zeit dann nicht mit der Frage, worum es in der Lesung geht. Oft kann bereits das erste Lied auf das Thema hinweisen (und die weiteren Lieder müssen ebenso eng mit dem Thema verbunden sein).
Ich fand es hilfreich, die Lesung, wenn immer möglich, mit ein, zwei Versen oder einem Teil eines Verses zu beginnen, in dem praktisch das Thema angekündigt wurde, bevor ich zu einer Bibelgeschichte überging oder zu Textstellen, die das Thema weiterentwikkelten. Ich tat das deshalb, weil die meisten biblischen Erzählungen zur Verdeutlichung unterschiedlicher Themen herangezogen werden können. Es hilft, wenn man weiß, wo der Schwerpunkt einer Lesung liegt, ich bereitete zum Beispiel einmal eine Lesung über „Freude“ vor und fand zu meiner Überraschung heraus, daß Mrs. Eddy oft davon spricht, daß die Überwindung der Sünde Freude mit sich bringt; meine Gedanken waren so ganz und gar nicht in diese Richtung gegangen. Das führte jedoch dazu, daß ich als entsprechende Bibelstelle Christi Jesu Geschichte vom verlorenen Sohn mitsamt den einleitenden Gleichnissen auswählte — die Freude über das Wiederauffinden des verlorenen Schafs und des verlorenen Groschens (siehe Lk 15:3–24). Es wäre jedoch verwirrend gewesen, mit jenen Gleichnissen anzufangen, ohne vorher festzulegen, welcher Aspekt beleuchtet werden sollte.
Dieses Erlebnis veranschaulicht, was für mich zu einer festen Grundlage geworden ist: das Vertrauen darauf, daß unser Pastor (die Bibel und Wissenschaft und Gesundheit — siehe Handb., Art. XIV Abschn. 1) führt, lehrt und predigt. Wenn ich ein Thema sich entwickeln ließ in die Richtung, in die der Pastor wies (wie bei der Lesung über „Freude“), dann war die Botschaft viel machtvoller, als wenn ich die Bücher zu zwingen versuchte, das zu sagen, was ich wollte (was doch nie klappte). Sollte die Lesung wirksam sein, so mußte ich mich bei der Vorbereitung von den Büchern belehren und führen lassen.
Dasselbe galt auch für die Verlesung. Manchmal zweifelte ich daran, ob ich fähig sei, das Thema angemessen zu vermitteln. Aber ich wußte, daß diese Bücher mit Autorität predigen konnten und daß ich dieser Predigt auch vertrauen konnte. Ich wußte, daß der Pastor so lange mit der ihm eigenen Vitalität und Lebendigkeit, Bedeutungsfülle und Heilkraft sprechen konnte, wie ich den falschen Begriff vom Selbst aus dem Wege räumte und den Pastor predigen ließ. Dadurch erkannte ich klarer meine Aufgabe als Tranzparenz. In gewisser Hinsicht war ich das Sprachrohr für diese Wahrheit. Doch im Grunde genommen lauschte ich ebenso auf die Botschaft des Pastors wie die Gemeinde. Wir alle lauschten gemeinsam, auch wenn ich derjenige war, durch den das Wort verkündet wurde.
Ich erinnere mich an eine Bemerkung, die dahin ging, daß nicht falsche Demut nötig sei, die das eigene Selbst verächtlich macht, sondern jene tiefere Demut, die das Selbst gänzlich vergißt. Wenn wir von den Ideen, die uns der Pastor darbietet, so erfüllt sind, daß wir das Selbst vergessen, dann strahlen diese Ideen mit Klarheit und Lebendigkeit hervor, mit Frische und Vitalität, Stärke und Sanftheit, und die reiche Vielfalt wird deutlich, die diesen inspirierten Ideen selber innewohnt. Dann kommt der Pastor im eigentlichen Sinn zum Zuge und predigt. Und wir können darauf vertrauen, daß er seine Aufgabe erfüllt.
Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt,
aber das Wort unseres Gottes
bleibt ewiglich.
Zion, du Freudenbotin, steig auf einen
hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine
Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht!
Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott.
Jesaja 40:8, 9
