In den Bücherregalen meines Elternhauses standen sowohl die medizinischen Bücher meines Vaters als auch die Bücher meiner Mutter über die Christliche Wissenschaft. Die Tatsache, daß der Beruf meines Vaters sich auf die Medizin gründete, während seine Familie die Christliche Wissenschaft praktizierte, war — soweit ich mich erinnere — niemals Gesprächsthema in unserer Familie. Ich weiß aber noch, daß sein Beruf lange Arbeitstage und viel Selbstlosigkeit verlangte.
Meine Eltern waren beide vorbildlich, wenn es galt, anderen zu helfen. Ich entsinne mich, daß mein Vater öffentliche Anerkennung erhielt, weil er einer in Not geratenen Familie geholfen hatte. Auch werde ich nie vergessen, wie meine Mutter einem Behinderten half, ein Handwerk zu erlernen, mit dem er anderen in der Nachbarschaft dienlich sein konnte.
Meine Mutter praktizierte die Christliche Wissenschaft in allem, was die Versorgung der Familie betraf. Das bedeutete, daß sie in langen Stunden selbstloser Hingabe um unser Wohl bemüht war. Wenn eine Heilung notwendig war, verbrachte sie manchmal ganze Nächte im Gebet. Ich erinnere mich, daß ich mir einmal eine schmerzhafte Verletzung am Bein zugezogen hatte. Ich wußte, daß mein Vater um mich besorgt war, und fragte mich, ob er mich wohl zu medizinischer Behandlung drängen würde. Aber die Verletzung wurde allein durch Gebet geheilt. Wir erlebten auch andere Heilungen, wie zum Beispiel von Erkältungen und von Ohren- und Bauchschmerzen.
Wenn ich die Ausbildung meines Vaters bedenke, so bin ich sicher, daß es ihm mitunter nicht leicht gefallen ist, einem Heilverfahren zuzustimmen, das er nicht verstand. Zurückblickend kann ich kaum verstehen, warum er das christlich-wissenschaftliche Heilen niemals selber anerkannte, wo er doch Zeuge so vieler Heilungen gewesen ist. Die gleiche Enttäuschung kann man empfinden, wenn Gerichte die Rechtmäßigkeit des christlich-wissenschaftlichen Heilens trotz überzeugender Beweise für dessen Erfolg nicht anerkannt haben. Aber durch die Erfahrung mit meinem Vater begreife ich langsam, daß in vielen Fällen mehr nötig ist als nur eine gewisse Kenntnis von der Christlichen Wissenschaft — mehr auch, als nur christlich-wissenschaftliche Heilungen mitzuerleben.
Das heißt natürlich nicht, daß nicht mehr Menschen von der Christlichen Wissenschaft erfahren sollten. Wenn es ein Christentum im Sinne Christi Jesu geben soll, wenn Krankheit und Sünde geheilt werden sollen und wenn die Menschheit geistige Fortschritte machen soll, dann muß die Einheit von Christentum und Christlicher Wissenschaft erkannt und verstanden werden.
Aber es bleibt die Frage: Was hält die Menschen davon ab, die Christliche Wissenschaft richtig zu verstehen? Liegt es daran, daß die Worte und Werke nicht verfügbar sind? Oder liegt es, wie bei meinem Vater, an etwas anderem — nämlich daran, daß etwas es dem Herzen verwehrt, seinen Erlöser zu lieben?
Beides trifft in gewissem Maße zu. Oft könnten die Christlichen Wissenschafter mehr tun, um ihre Religion verfügbar zu machen. Nimmt man jedoch an, daß die Christliche Wissenschaft nur deshalb nicht weiter bekannt und akzeptiert wird, weil sie nicht verfügbar ist, so unterschätzt man den Hochmut und die Dummheit der Materialität. Genau auf diesen Punkt weist Christus Jesus hin, wenn er sagt: „Das Herz dieses Volkes ist verstockt: ihre Ohren hören schwer, und ihre Augen sind geschlossen, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit den Herzen verstehen und sich bekehren, und ich ihnen helfe.“
Wie also soll man den Widerstand gegen die Wahrheit bekämpfen? Zunächst einmal, nicht persönlich. Wie ein dicker Nebel hindert dieser Widerstand die Menschen daran, klar zu sehen — aber es ist nicht ihr Nebel. Dieser Nebel hebt sich, wenn wir sozusagen „bedingungslos beten“ — das heißt, wenn wir für mehr als nur unsere persönlichen Bedürfnisse beten. Wir beten dann, daß alle die geistige Wirklichkeit klar sehen mögen. Zum Beispiel beten wir dafür, daß der Haß ein Ende finden möge, weil wir uns selbst danach sehnen, frei davon zu werden, und weil wir uns danach sehnen, daß auch unsere sogenannten Feinde davon frei werden; wir beten für das Recht, das christlich-wissenschaftliche Heilen ausüben zu dürfen, aber wir beten auch für das Recht der ganzen Menschheit, von Krankheit und Sünde frei zu sein. Wir beten also, weil wir uns bewußt sind, daß es der ganzen Welt zugute kommt. Wir setzen uns für das Gute — für alle Menschen — ein.
Solches Gebet ist von Zuversicht erfüllt, denn es wird von Gott angeregt und ist nicht persönlich gewollt. Seine Wirksamkeit beruht auf dem Verständnis, daß Gott fähig ist, Seine Liebe zu Seiner Schöpfung zu bekunden. Gebet besteht darauf, daß die Vollkommenheit der Schöpfung Gottes zum Ausdruck kommt. So bringt das Gebet die gegenwärtige geistige Wirklichkeit ans Licht.
Man könnte sagen, es hat die gleiche Wirkung wie Licht, das man in einen dunklen Raum einläßt. Nehmen wir einmal an, Sie und ich stünden in einem stockdunklen Raum. Ich könnte den Anzug, den ich trage, in allen seinen Einzelheiten beschreiben. Aber Sie könnten ihn erst sehen, wenn Licht im Raum ist.
Eine materielle Vorstellung von den Dingen ist wie ein dunkler Raum. Sie nimmt den geistigen Augenschein nicht wahr, denn sie hat nicht die Fähigkeit, über die Grenzen der physischen Sinne hinauszuschauen. Sie gibt sich alle Mühe, mit ihrem eigenen Dunkel zufrieden zu sein — mit ihrem Mangel an Geistigkeit —, ist aber zwangsläufig unzufrieden. Der materielle Sinn sucht uns davon zu überzeugen, daß Dunkelheit natürlich und Geistigkeit unnatürlich ist, bis die Leere und die Schmerzen der Materialität uns zwingen, nach etwas Besserem auszuschauen. Wenn es so weit kommt, wendet sich das Denken dem Licht des Christus zu. Und in diesem Licht (oder dem Verständnis der geistigen Wirklichkeit) erkennen wir immer klarer, daß es kein Dunkel gibt — keine materielle Vorstellung von den Dingen.
So ist das Dunkel des materiellen Denkens, wie jedes Dunkel, sein eigenes Nichts — seine eigene Unfähigkeit, in der Gegenwart von Gottes ewigem Licht zu existieren. Und das göttliche, universale Licht manifestiert sich unter anderem durch Gebet. Und Gebet wird nicht nur in unserem eigenen Leben, sondern auch im Leben anderer spürbar. Die Nähe und Liebe Gottes werden ganz allgemein glaubhafter.
Wird auch die Tatsache, daß die Menschheit auf das geistige Licht anspricht, auf Schritt und Tritt bestritten, so gibt es doch Beweise dafür, und sie mehren sich. In einigen Fällen bricht das Licht durch lange Jahre der Dunkelheit hindurch, wie in Südafrika, in der Sowjetunion, in Ungarn, Polen und der DDR. In anderen Fällen sieht man es an der wach gewordenen Empörung über die Probleme der Obdachlosigkeit, der Drogenabhängigkeit und Kindesmißhandlung und in den darauf folgenden Bemühungen, zur Lösung dieser Probleme beizutragen. Aber man kann es auch an Ereignissen im eigenen Leben sehen, die nicht in den Schlagzeilen stehen.
In meinem Beruf mußte ich einmal eine Zeitlang sonntags morgens arbeiten und konnte deshalb nicht in die Kirche gehen. Als ich eines Sonntags zur Arbeit fuhr, kam mir plötzlich der Gedanke, daß die Kirche groß genug war — ihre geistige Kraft weit genug reichte —, um mich mit einzuschließen, ganz gleich, ob ich dort sein konnte oder nicht. Dieser Gedanke tröstete mich, aber dennoch betete ich ernsthaft weiter, um eine Möglichkeit zum Kirchenbesuch zu finden. Zu jener Zeit betete ich auch, um von einer Augenreizung geheilt zu werden, die anscheinend durch das Kettenrauchen meines Chefs und seiner Frau verursacht wurde. Ich ahnte nicht, was für eine weitreichende Wirkung jene Wochen des Gebets haben sollten.
Zunächst einmal wurde ich zum Kirchenbesuch freigestellt. Kurz darauf hörten mein Chef und seine Frau plötzlich und endgültig auf zu rauchen. Und schließlich bat auch ein Mitarbeiter, seine Kirche besuchen zu dürfen.
Die Kirchenbesuche erregten großes Aufsehen bei unseren Kunden. Bei den meisten von ihnen hätte man aufgrund des Milieus, aus dem sie stammten, kein Interesse für geistige Dinge vermutet. Aber viele erkundigten sich ganz offen nach der Christlichen Wissenschaft; andere fragten immer wieder danach; einige baten um das Lehrbuch, Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy; ein paar kamen zur Kirche; und einer besuchte einen Vortrag. Es war also etwas in Bewegung geraten.
Eine geistige Vorstellung von den Dingen begann durch die Dunkelheit des materiellen Sinnes hindurchzuscheinen — sie stellte sie in Frage, deckte sie auf, zerstörte sie. Die Tatsache, daß diese Menschen Gott suchten, bewies, daß sie bis zu einem gewissen Grade akzeptierten, daß ihr eigentliches Dasein wirklich geistig und nicht materiell war. Und daß die tatsächliche, geistige Realität anerkannt wird, darum geht es bei jeder Gerichtsverhandlung und auch bei der Anerkennung der Christlichen Wissenschaft in der Allgemeinheit.
In Wirklichkeit geht es nicht um Menschen oder einander gegenüberstehende Parteien; es geht darum, daß der Materialismus das geistige Dasein glatt leugnet. Die Glaubwürdigkeit des materiellen Sinnes wird abnehmen, wenn konsequenter geistig gedacht und gebetet wird.
Wir brauchen buchstäblich Stunden, Tage und Jahre „im stillen, unaufhörlichen Gebet“, das, wie Mrs. Eddy in den Vermischten Schriften sagt, „die dunklen Orte der Erde erhellt“. Nur Gebet kann die Nichtsheit des Unglaubens, des Materialismus und der Furcht bloßstellen, die versuchen, christlich-wissenschaftliches Heilen zu leugnen.
Der Aufruhr, der sich aus der Konfrontation mit dem Materialismus ergibt, mag sehr viel Weitsicht und Hingabe erfordern, doch er geht vorüber, und der Ausgang des Kampfes steht fest — denn die Christliche Wissenschaft ist die ewige Tatsache des Seins. Sie ist bereits permanent.