Ich weiß noch, wie ich vor vielen Jahren als Kind mit einer Freundin auf dem Dachboden ihres Hauses spielte und ein Bild fand, auf dem zwei Kinder am Rande eines Abgrunds entlanggingen. Das Bild zeigte, wie ein Schutzengel über ihnen wachte.
Die Zeichnung beeindruckte mich damals sehr, aber ich fragte mich auch, warum ich niemals solche Engel sah. Später fragte ich mich, ob Engel lediglich Phantasiegebilde sind oder ob es bei dem Thema Engel um mehr geht.
Viel wirklicher als die Gegenwart von Engeln scheinen heutzutage die drohenden Gefahren unserer Welt zu sein. Die Bedrohung durch Krieg hat in dem Teil der Welt, in dem ich lebe, eine lange Geschichte. Zwar erleben wir in bezug auf die Konfrontationen des Krieges bzw. des kalten Krieges heute vielversprechende Veränderungen in Europa, dennoch bestehen angesichts unvorhersehbarer Bedrohungen, etwa durch Terrorismus oder nukleare Unfälle, nach wie vor große Besorgnisse. Es gibt keine Garantie dafür, daß nicht selbst die ausgefeiltesten Sicherheitssysteme versagen oder umgangen werden könnten.
Gibt es einen anderen Weg zur Sicherheit, der realistisch genug wäre, um den Schutz der gesamten Menschheit zu gewährleisten?
Richard von Weizsäcker, Politiker und gegenwärtig Präsident der Bundesrepublik Deutschland, schreibt über den Menschen, „daß seine Kraft begrenzt ist und daß es jenseits dieser Grenze eine Wirklichkeit gibt, über die er nicht verfügt. Transzendenz nennen wir das. Nach christlichem Verständnis ist Gott der Grund für Sinn und Sein. Ihm verdankt sich der Mensch, nicht sich selbst.“ Richard von Weizsäcker: Profile eines Mannes (Düsseldorf: Econ Verlag, 1984), S. 131.
Da unser menschliches Vermögen, Sicherheit zu gewährleisten, nun einmal begrenzt ist, warum sollten wir uns dann nicht um die Wirklichkeit bemühen, von der es heißt, wir könnten nicht über sie verfügen, sie aber durch geistiges Wachstum erreichen? Ist es nicht sinnvoll, um dieses Verständnis zu ringen, das Gott als unseren Ursprung offenbart?
Am Ende des Zweiten Weltkriegs war die kleine Stadt in Deutschland, in der ich lebte, in großer Gefahr. Alle Bewohner, auch meine Eltern und ich, befanden sich in den Schutzräumen und warteten auf die Kapitulation, die, wie wir hofften, ohne weitere Kämpfe erfolgen würde. Statt dessen jedoch begannen die vordringenden alliierten Streitkräfte unsere Stadt zu beschießen.
Ich sah, daß die Erwachsenen in unserem Schutzraum voller Angst waren. Ich erinnere mich, daß plötzlich alle verstummten, und dann hörte ich, wie sie fast ausnahmslos das Gebet des Herrn sprachen. Ich war überrascht, denn ich hatte noch nie jemanden außerhalb eines Gottesdienstes beten hören. Nach dem Gebet herrschte, so schien mir, eine Atmosphäre größerer Zuversicht, und nach einer Weile merkten wir, daß das Schießen aufgehört hatte.
Viel später erfuhr ich, daß sich ein mutiger Mann hinausgewagt und ein weißes Tuch geschwenkt hatte. Er war den Alliierten entgegengegangen, die ihn sahen und das Feuer einstellten. Sie marschierten ein, ohne auf Widerstand zu treffen, und niemand wurde verletzt.
Die Leute im Schutzraum wiederholten nicht einfach Wörter; sie öffneten ihr Denken eindeutig einer höheren Wirklichkeit, nämlich Gott. Der letzte Satz aus dem Gebet des Herrn lautet: „Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.“ In Ewigkeit heißt zu allen Zeiten, unter allen Umständen — selbst in Augenblicken großer Gefahr. Diesen Satz zu beten bedeutet, Gottes Herrschaft anzuerkennen, Seine vollständige Herrschaft zu allen Zeiten. Es bedeutet, Gott, das Gute, als das Prinzip, als die beherrschende Ursache unseres Seins anzuerkennen. Das kann uns ein neues Gefühl der Sicherheit geben.
Der Begründer des Christentums, Christus Jesus, zeigte seinen Nachfolgern, daß es in der Tat eine Quelle der Sicherheit gibt, daß diese aber anderer Art ist als gemeinhin angenommen wird. Er sagte: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn’s nicht so wäre, hätte ich es euch gesagt.“ Wenn Jesus seinen Jüngern sagte, sie sollten ihr Herz nicht erschrecken lassen, muß er einen guten Grund für seine Worte gehabt haben. Er nannte diesen Grund, als er sie lehrte, daß alle einen sicheren Platz haben, einen Platz in ihres „Vaters Haus“; und durch die Heilungen, die er vollbrachte, veranschaulichte er diesen Punkt in überzeugender Weise. In der Sprache unserer Zeit ausgedrückt, könnte ein Christlicher Wissenschafter sagen, daß die Menschen ihre Sicherheit in der Wahrheit finden, daß Gott, das Gute, überall ist. Unter Seiner gütigen Macht bleibt für vorsätzliches oder unbeabsichtigtes Böses wirklich kein Raum.
Aber wenn es nur zu offenkundig zu sein scheint, daß wir es mit einem gefährlichen Übel zu tun haben? Was sollen wir dann tun? Wir können die Gegenwart Gottes, des Guten, anerkennen. Wir können im Gebet danach streben, uns der Wahrheit, die Jesus lehrte, bewußt zu werden. Wie der verlorene Sohn aus dem biblischen Gleichnis, das Jesus erzählte, können wir zu unseres „Vaters Haus“ zurückkehren und Seine Liebe annehmen und die Gegenwart Seiner harmonischen Fürsorge anerkennen.
Wie der verlorene Sohn, so lernen auch wir bald, daß Anforderungen an uns gestellt werden, wenn wir uns der Obhut unseres himmlischen Vaters anvertrauen wollen. Beispielsweise wird von uns verlangt, daß wir in unserer Lebensweise all das aufgeben, was uns von Gott trennt. Wir müssen unsere Gedanken und Handlungen prüfen, um zu erkennen, ob sie vielleicht in irgendeiner Weise die Macht Gottes, des Guten, leugnen. Durch das Bemühen, uns im täglichen Leben nur von guten Gedanken, göttlichen Eingebungen, leiten zu lassen, wird es uns möglich, Schritt für Schritt in unseres Vaters Haus zu kommen und Sicherheit zu finden. Insoweit, wie wir unser tägliches Leben der Allmacht Gottes unterstellen, erfahren wir in praktischer Weise die Wirklichkeit dieser Allmacht.
Was hat das alles nun mit Engeln zu tun? Sie sind es, die uns in unseres Vaters Haus und damit in die Sicherheit führen. Dies wird klarer, wenn wir die Definition von Engeln lesen, die in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy, der Entdeckerin und Gründerin der Christlichen WissenschaftChristian Science (kr’istjən s’aiəns), zu finden ist: „Gottes Gedanken, die zum Menschen kommen; geistige Eingebungen, die rein und vollkommen sind; die Inspiration der Güte, Reinheit und Unsterblichkeit, allem Bösen, aller Sinnlichkeit und aller Sterblichkeit entgegenwirkend.“
Die Eingebung, von der gefährlichen Situation im Schutzraum wegzuschauen und zu Gott zu beten, war in Wirklichkeit ein Engelsgedanke. Und der Mann, der sich selbst durch eine Flucht in die Wälder hätte retten können, lauschte auf die richtige Eingebung und rettete statt dessen durch seinen Gehorsam und Mut die ganze Stadt. Indem er dieser inneren Stimme folgte, blieb er auch selber unversehrt; und das Unheil in Form von unnötigem Tod und Verwüstung blieb aus.
Wenn wir heute die vielen Gefahren betrachten, denen sich unsere Welt gegenübersieht, darunter auch die Möglichkeit von Terrorakten und nuklearen Unfällen, so mögen die Zukunftsaussichten, von einem „normalen“, begrenzten Standpunkt aus, entmutigend zu sein scheinen. Aber was kann uns daran hindern, unseren Ausblick durch Gebet zu erweitern, durch das Anerkennen der Allmacht Gottes, des Guten, und dadurch, daß wir Schritt für Schritt lernen, Seine Engel oder geistigen Eingebungen aufzunehmen? Indem wir diesen Eingebungen in unserem Leben folgen, können wir gleichzeitig zur Sicherheit aller Menschen beitragen. Wege, an die niemand dachte, können sich auftun, um unvereinbare Positionen miteinander zu versöhnen. Technische Mängel können entdeckt werden, bevor sie zu einer Katastrophe führen können.
Bei dem Thema Engel geht es in der Tat um sehr viel mehr als nur um eine Erinnerung aus der Kindheit. Engel zeigen uns jenseits von Begrenzungen eine geistige Wirklichkeit, die, wie die Christliche Wissenschaft erklärt, vom Gesetz Gottes regiert wird.
