Im Mittelalter lebten viele Menschen in Burgen, die gebaut wurden, um das Eindringen von Feinden zu verhindern. Die Burgen hatten tiefe Grundmauern und dicke Wände. Oft war die Burg von einem Gewässer umgeben, das der Burggraben genannt wurde. Gewöhnlich gab es eine Zugbrücke, die man hochziehen und herablassen konnte, um über den Burggraben und in die Burg zu gelangen.
Am Ende der Zugbrücke befand sich ein Tor. Der Wachtposten am Tor hatte von allen Soldaten die wichtigste Aufgabe — er mußte zwischen einem Freund und einem Feind unterscheiden. Die Sicherheit der ganzen Burg konnte von ihm abhängen, denn wenn auch nur ein Feind in die Burg hineingelang, konnte er möglicherweise eine Armee hereinlassen.
Manchmal kam ein Feind als Freund verkleidet. Er belog vielleicht die Wache. Vielleicht überbrachte er sogar falsche Botschaften, um sie zu verwirren. Mitunter mußte die Wache sehr auf der Hut sein, um die guten und die bösen Menschen auseinanderzuhalten.
Ich betrachte eine Burg gern als ein Symbol für unser eigenes Denken. Mrs. Eddy schreibt in ihrem Buch Wissenschaft und Gesundheit, daß wir an der Tür des Denkens Wache halten sollten. „Steh Wache an der Tür des Denkens. Wenn du nur solche Schlüsse zugibst, wie du sie in körperlichen Resultaten verwirklicht zu sehen wünschst, dann wirst du dich harmonisch regieren.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 392. Wenn unser Denken unsere Burg ist, haben wir das Recht, zu entscheiden, was hineinkommen darf. Nichts geschieht, ohne daß wir unsere Zustimmung dazu gegeben haben — ob es darum geht, morgens aufzustehen, jemandem ein Buch zu leihen oder sich zu einer Radtour zu entschließen. Unsere Gedanken entscheiden sogar, was für einen Tag wir zu haben bereit sind.
Manchmal sagt uns etwas, daß wir krank oder unglücklich sind. Es ist, als ob böse Besucher an das Tor unserer gedanklichen Burg kämen und versuchten, uns zum Herablassen der Brücke zu bewegen, so daß sie hineinkönnen. Dann müssen wir entscheiden, ob es ein Freund oder ein Feind ist. Entweder kommt ein Gedanke von Gott und ist gut, oder er ist nicht wert, gehegt zu werden. Aber wie können wir das wissen? In einem solchen Fall wende ich gern einen Test an. Bei Gedanken, wo ich mir nicht sicher bin, versuche ich mich zu fragen:
1. Sagt das etwas Gutes über mich oder andere?
2. Hilft das jemandem?
3. Ist es eine liebevolle Idee?
Wenn meine Antwort auf alle drei Fragen „ja“ lautet, kann ich den Gedanken annehmen. Wenn nicht, weise ich ihn zurück. Ich gebe ihm keine Gelegenheit, in die Burg einzuziehen.
Vor einigen Jahren fuhren meine Familie und ich einmal im Sommer mit dem Auto durch den amerikanischen Bundesstaat Kansas. Ich saß am Steuer, als ganz plötzlich der Wind so stark wurde, daß ich auf einer sehr belebten Autobahn an die Seite fahren mußte. Dann sahen mein Mann und ich einen riesigen, schwarzen Tornado direkt auf uns zukommen.
Anstatt an der Tür meines Denkens Wache zu stehen, ließ ich einfach für alle möglichen Ängste die Zugbrücke herab. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Tornados sind angeblich unberechenbar, und wir befanden uns in einer ländlichen Gegend ohne Schutz. Der Wind war so stark, daß der vordere Teil des Wagens angehoben wurde, und eins der Kinder fing an zu weinen. Ich hätte meinen Test anwenden sollen. Dann hätte ich gewußt, daß dieser Gedanke der Furcht und Zerstörung nicht von Gott kam.
Aber dann kam ganz plötzlich vom Rücksitz des Autos eine andere Stimme: „Ich habe keine Angst. Ich weiß, daß mein Vater-Mutter Gott genau hier bei uns ist. Er läßt uns nichts Schlimmes zustoßen.“
Sollte dir jemals jemand einzureden versuchen, daß du die Wahrheit erst ab einem bestimmten Alter wissen kannst, so glaube das nicht. Unsere vierjährige Tochter stand Wache, und sie ließ die Furcht nicht durch ihre Tür! Ich wurde augenblicklich ruhig. Wir fingen alle an, uns über Gottes Macht und Hilfe zu freuen. Die Furcht, die versucht hatte, uns zu überrumpeln, wurde zurückgewiesen. Wir waren uns alle der Gegenwart Gottes sicher. Wir sahen zu, wie dieser Tornado vor uns über die Autobahn sprang und verschwand; dann fuhren wir weiter.
Erinnerst du dich an die Geschichte von Noah? Er wußte, wenn ihm ein guter Gedanke von Gott eingegeben wurde. Als er aufgefordert wurde, eine Arche zu bauen, gab es keinen offensichtlichen Grund dafür. Es hatte nicht einmal begonnen zu regnen. Aber Noahs Denken war weit geöffnet für das Wort Gottes. Er hörte es nicht nur, sondern befolgte es auch. Noah war in der Lage, sich, seine Familie und viele Tiere zu retten, weil er der richtigen Idee gehorchte, die von Gott kam.
Vielleicht können wir mehr wie Noah sein. Wenn der Gedanke kommt, zu jemandem nett zu sein, können wir das tun. Wenn wir uns auf dem Spielplatz oder auf dem Schulhof schlecht benehmen, können wir aufhören und uns fragen: „Ist es liebevoll, sich so zu verhalten?“ Wie die Wache am Burgtor können wir immer besser lernen, Freunde von Feinden zu unterscheiden — gute Gedanken von schlechten Gedanken.