Schon Seit Stunden war ich mit dem Hausputz beschäftigt gewesen. Als ich mit laufendem Staubsauger in der Hand die Treppe hinaufpolterte, empfing mich mein Mann mit breitem Grinsen. „Na, macht“s Spaß?“ fragte er.
Ich befreite mich aus dem Kabelgewirr und bedachte ihn mit einem grimmig entschlossenen Blick. „Nicht besonders“, antwortete ich.
Mein Blick und meine Antwort verwiesen — wie er nach vielen Ehejahren sehr wohl wußte — auf ein Problem, das er mit seinem Lächeln und seiner Frage lösen wollte. Und ich — nach ebenso vielen Ehejahren — verstand ganz genau, was er mir sagen wollte. Ich wußte, daß mir mein Mann liebevoll und indirekt andeuten wollte, daß ich stur und verbissen geputzt und dabei keinen Raum für Freude gelassen hatte. Er erinnerte mich daran, daß wir uns unsere täglichen Aufgaben zwar nicht immer aussuchen können, doch daß wir sehr wohl entscheiden können, wie wir sie ausführen.
Es liegt anscheinend in der menschlichen Natur, sich gegen Bemühungen aufzulehnen, die nötig sind, um ein erstrebenswertes Ziel zu erreichen. Ich wollte ein sauberes Haus, aber die Arbeit, die dafür notwendig war, machte mir keinen Spaß. Der Zehnjährige möchte Klavier spielen, sträubt sich aber dagegen, die Tonleitern zu üben. Wir wollen, daß unsere Kontoauszüge stimmen, sind aber nicht gerade darauf erpicht, die unerfindlichen 17 Pfennige aufzuspüren.
Wir alle haben gewisse Pflichten. Sie reichen vom einfachen Hausputz bis zum gefahrvollen Militäreinsatz. Unsere Einstellung gegenüber diesen Pflichten hängt zum großen Teil davon ab, wie wir uns selbst sehen.
Im ersten Buch Mose (der Genesis) stehen zwei Berichte über das Wesen des Menschen. Im ersten Kapitel heißt es, daß Gott den Menschen, Mann und Frau, zu Seinem Bild und Gleichnis erschaffen und Seiner Schöpfung Herrschaft über das Weltall gegeben hat, das als „sehr gut“ bezeichnet wird. Im zweiten Kapitel wird der Mensch völlig anders beschrieben. Ein ganz anderer Gott (ein anthropomorphischer Gott) erschafft ihn aus Erde vom Acker. Dieser Adam-Mensch und die aus seiner Rippe geformte Frau wenden sich durch ihren Ungehorsam fast sofort von ihrem Schöpfer ab. Als sterbliche Sünder werden sie aus dem Paradies vertrieben, zu lebenslanger mühevoller Arbeit verurteilt und müssen letztendlich zur Erde zurückkehren, aus der sie erschaffen wurden.
Welcher dieser beiden Menschen wollen Sie sein? Wir haben die Wahl. Wenn wir von Grund auf davon überzeugt sind, daß wir, wie Adam, körperlich sind und ein begrenztes Dasein in einem materiellen Universum fristen, dann sollte es uns nicht überraschen, daß ein Großteil unseres Tagewerks aus langweiliger, sich wiederholender und frustrierender Arbeit besteht.
Wenn wir uns jedoch mit dem Menschen identifizieren, der im ersten Kapitel der Genesis beschrieben wird, können wir unsere verschiedenen Tätigkeiten als Gelegenheiten betrachten, die Eigenschaften jenes guten und liebevollen Gottes auszudrücken oder sichtbar werden zu lassen, der uns zu Seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat. Unsere Aufgaben — selbst die scheinbar langweiligen — bieten viele Möglichkeiten, Gottes Eigenschaften auszudrücken. Die Kraft und Intelligenz — ja sogar die Begeisterung —, mit der wir unsere Aufgaben erledigen, sind keine Fertigkeiten oder Talente, die wir erst in uns selbst entwickeln müssen. Es sind Eigenschaften, die wir ausdrücken können, weil der Mensch als Gottes geistige Idee sie schon besitzt.
Was geschah nun aber, nachdem meine Gedanken durch den zarten Wink meines Mannes in geistigere Bahnen gelenkt worden waren und sich die grimmige Entschlossenheit entspannt hatte, mit der ich die Hausarbeit in Angriff genommen hatte? Also, es kamen weder eine gute Fee noch die Heinzelmännchen, um mir die Arbeit abzunehmen! Nein, die körperliche Arbeit änderte sich nicht die Spur, sehr wohl aber meine Gedanken darüber. Ich erkannte, daß sogar der Hausputz eine Möglichkeit bietet, Gottes Eigenschaften auszudrücken. Anstatt mich über das laute, unhandliche Gerät zu ärgern, das ich die Treppe hinaufschleppte, stieg Dankbarkeit in mir auf, daß ich damit so schnell und gut den Schmutz in meinem Haus beseitigen konnte. Ich war auch dafür dankbar, daß ich die Kraft und Geschicklichkeit hatte, mit dem Gerät umzugehen. Ich fing an, Kirchenlieder in den Lärm hinein zu singen und beendete meine Arbeit mit einem kurz vorher noch undenkbaren Lächeln.
Viele unserer täglichen Pflichten fallen uns aufgrund der unterschiedlichen Funktionen zu, die wir ausüben. Das heißt, die menschlichen Rollen, in denen wir gesehen werden — als Familienmitglied, Arbeitnehmer, ehrenamtlicher Mitarbeiter in der Gemeinde und so weiter —, ziehen gewisse Aufgaben nach sich. Aber jeder von uns ist auch noch Träger einer ganz anderen Rolle. Ob wir uns dessen nun bewußt sind oder nicht, wir besitzen eine geistige Identität als Kinder Gottes. Diese „Rolle" läßt eine andauernde Verpflichtung erahnen, eine zeitlich unbefristete Beschäftigung mit unendlichen Möglichkeiten. Die Pflichten, die mit dieser Rolle einhergehen, kann man mit der Aussage des Meisters, Christus Jesus, so zusammenfassen: „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“
Scheint uns das eine beängstigende Aufgabe zu sein? Mrs. Eddy zeigt uns in ihrem Buch Wissenschaft und Gesundheit, daß es kein unmögliches, beschwerliches Unterfangen ist, sondern ein wunderbares geistiges Abenteuer. Sie schreibt: „Angesichts der unendlichen Aufgaben der Wahrheit halten wir inne — warten auf Gott. Dann dringen wir vorwärts, bis der schrankenlose Gedanke voll Entzücken dahinwandelt und der unbeschränkte Begriff sich beschwingt, damit er die göttliche Herrlichkeit erreiche.“
Durch Vernunft und Offenbarung erfaßte Mrs. Eddy die große Tatsache, daß das Dasein des Menschen, der das Bild und Gleichnis Gottes ist, völlig geistig und vollkommen wie der himmlische Vater sein muß. Ja, um das zu beweisen, müssen wir hart arbeiten. Machen wir uns da nichts vor! Die fünf körperlichen Sinne argumentieren vehement dafür, daß der Mensch eine Mischung aus Gemüt und Materie, aus Gut und Böse sei; und es ist nicht immer leicht, diesen Augenschein zu verneinen. Aber Mrs. Eddy war bereit, die Implikationen auszuarbeiten, die sich aus ihrer Entdeckung der Natur des wahren Seins ergaben, bis sie diese große Wahrheit klar genug verstand, um sich selbst und andere zu heilen und der Welt die wahre Wissenschaft des Lebens zu geben.
Aufgrund eigener Erfahrungen konnte sie uns sagen: „Es gibt keine Vortrefflichkeit ohne harte Arbeit, und die Zeit zu arbeiten ist jetzt. Nur durch ausdauernde, unablässige und ehrliche Bemühung, nur wenn du dich weder nach rechts noch nach links wendest, keine andere Beschäftigung oder Freude suchst als die, die von Gott kommt, kannst du die Krone der Getreuen gewinnen und tragen“ (Vermischte Schriften).
Das Entdecken und Demonstrieren unserer wahren, geistigen Identität erfordert zweifellos einen gründlichen mentalen „Hausputz“, bei dem wir alle möglichen lieblosen und furchtsamen Gedanken rauswerfen, damit die Kraft und Schönheit, die Teil unseres wahren Wesens sind, sichtbar werden können. Diese Läuterung des Bewußtseins ist ein Schritt auf dem Weg zu geistigem Wachstum und führt ganz natürlich zum nächsten Schritt: die praktische Umsetzung alles dessen, was wir über unsere wirkliche Identität lernen. Mit anderen Worten, wir leben entsprechend; wir drücken die guten Eigenschaften auch aus, die wir durch Widerspiegelung besitzen.
Die „ausdauernde, unablässige und ehrliche Bemühung“, die dieser Vorgang erfordert, muß nicht langweilig oder verbissen sein, wenn wir uns dabei unsere wahre Identität vor Augen halten. Gottes Werk ist ja vollbracht. Es ist nicht unsere Aufgabe, das Universum neu zu gestalten, sondern es in all seiner Herrlichkeit offenbar zu machen. Wir sind nicht der Adam-Mensch, der im Schweiße seines Angesichts den Acker bestellt. Wir sind vielmehr wie Beschenkte, die ein wunderbares Geschenk in Händen halten. Die Tatkraft, die wir zum Auspacken dieses Geschenks brauchen, gewinnen wir aus unserer Vorfreude auf den Inhalt. Und in der Unendlichkeit der Allheit Gottes haben wir die Gewißheit, daß immer ein neues „Paket“ auf uns wartet, das es auszupacken gilt.
Es ist sicherlich möglich, mit Freude das zu tun, was ja doch getan werden muß. Es erfordert eine Menge harter Arbeit, die Eigenschaften auszudrücken, die den Menschen Heilung bringen. Aber wenn wir uns immer wieder vor Augen führen, daß wir es aus Liebe tun, wird uns — mitten dabei — Freude zuteil.
