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Die umwandelnde Macht der Heiligen Schrift

Diese illustrierte Bibelserie im Herold schildert die dramatische Entwicklung der heiligen Schriften in der Welt über Jahrtausende hinweg. Im Mittelpunkt stehen die großen Reformer, die die Bibel geschrieben und übersetzt haben. Viele von ihnen opferten ihr Leben, um die Bibel und ihren umwandelnden Einfluß allen Menschen zugänglich zu machen. Die Serie erscheint monatlich.

Die Apokryphen: das geschichtliche Bindeglied zwischen dem Alten und dem Neuen Testament

2. Teil

Aus der Mai 1994-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


DIE REFORMATION UND IHRE EINSCHÄTZUNG DER APOKRYPHEN


Mit dem Beginn der Renaissance im 15. Jahrhundert und dem Wiederaufleben des allgemeinen Interesses an der griechischen Sprache begannen Gelehrte und Kirchenführer die Glaubwürdigkeit der Apokryphen erneut in Frage zu stellen. Besonders geschah das nach dem Fall von Konstantinopel, als die besten griechischen Gelehrten nach Westeuropa flohen und ihre alten Bibelmanuskripte mitbrachten. Das Bekanntwerden dieser Texte regte zu neuen, genaueren Bibelübersetzungen in die Landessprachen an, und das führte zwangsläufig auch zu einer erneuten kritischen Beschäftigung mit den Apokryphen.

Der Reformator Martin Luther vollendete im Jahre 1534 seine Übersetzung der gesamten Bibel — einschließlich der Apokryphen — in die deutsche Sprache. Allerdings stieß er die führenden Kirchenmänner vor den Kopf, als er in seinem Vorwort dazu erklärte, die apokryphen Bücher seien „der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten, und doch nützlich und gut zu lesen“. Als in weiteren Bibelausgaben von protestantischer Seite nach dem Beispiel Luthers die Apokryphen vom übrigen Bibeltext abgesondert wurden, reagierte die römisch-katholische Kirche auf dem Konzil von Trient 1546 mit der harten Bestimmung, daß jeder, der die Bibel ohne die Apokryphen veröffentlichte, mit dem Kirchenbann belegt werden sollte.

1599 gaben dann Drucker der Genfer Bibel — einer von radikalen Protestanten in der Schweiz hergestellten englischen Übersetzung — einige Auflagen ganz ohne die Apokryphen heraus. Die ersten Ausgaben der King-James-Bibel dagegen, die 1611 herauskamen, enthielten die alttestamentlichen Apokryphen, und zwar waren sie, von den kanonischen Schriften getrennt, zwischen dem Alten und dem Neuen Testament eingeschoben worden. Aber schon 1616 ließen einige radikale Drucker die Apokryphen aus der King-James-Bibel weg, obwohl der Erzbischof von Canterbury jedem mit Gefängnis drohte, der die Bibel ohne sie herausgab.

Im Laufe der Jahrhunderte wurde die King-James-Bibel immer häufiger ohne Apokryphen gedruckt, bis sie schließlich in keiner Auflage mehr zu finden waren. Im Jahre 1826 entschied die „British and Foreign Bible Society“ dann, die Apokryphen in keiner der von ihnen herausgegebenen Bibeln mehr zu veröffentlichen.

BEDEUTUNG UND EINFLUSS DER APOKRYPHEN


Die Apokryphen des Alten Testaments sind deshalb so interessant, weil sie eine historische Brücke zwischen dem Alten und dem Neuen Testament bilden. Sie überspannen die fünfhundert Jahre (von etwa 500 v. Chr. bis zur Geburt Jesu), über die im Alten Testament nichts berichtet wird. Obgleich eine Anzahl apokrypher Schriften frei erfunden sind, sagen sie über diese Zeit doch vieles aus, wozu die Historiker sonst keinen Zugang hätten. Einige apokryphe alttestamentliche Bücher malten ein fesselndes Bild von den heldenhaften Bemühungen des jüdischen Volkes, trotz politischer, militärischer und religiöser Unterdrückung durch fremde Herrscher an seinem Glauben festzuhalten. Als facettenreiches historisches Dokument bieten diese Schriften wertvolles Hintergrundmaterial für das Studium sowohl des Alten als auch des Neuen Testaments.

Zudem haben die Apokryphen etliche religiöse, literarische und künstlerische Werke beeinflußt. Shakespeares Werke zum Beispiel enthalten etwa achtzig Anspielungen auf die Apokryphen. Händels Oratorien Susanna und Judas Makkabäus basieren auf apokryphen Texten. Und im 19. Jahrhundert entnahm der russische Pianist und Komponist Anton Rubinstein den Text zu seiner Oper Die Makkabäer ebenfalls den Apokryphen.

DIE FRÜHESTEN APOKRYPHEN SCHRIFTEN: ERZÄHLUNGEN UND BRIEFE


Der wahrscheinlich älteste apokryphe Text ist das Buch Tobit (Tobias). Es beruht auf Bruchstücken altjüdischer volkstümlicher Erzählungen, die im 3. Jahrhundert v. Chr. zu einer großen Geschichte verwoben wurden. Das Buch ist eine romantische Erzählung von Herzeleid, Verlobung und Heirat, von Belohnung und Heilung für Tobit und seine ganze Familie, die im 8. Jahrhundert v. Chr. im assyrischen Exil ein gottesfürchtiges und gerechtes Leben führten. Die Geschichte nimmt ein glückliches Ende, aber es dauert lange, bis es dazu kommt. Und so wird es auch nach Meinung des Verfassers lange dauern, bis Israel endlich aus der Bedrängung befreit wird. Das Buch sollte den Juden des 3. Jahrhunderts v. Chr., die unter drückender Fremdherrschaft lebten, eine wichtige Botschaft übermitteln: Seid nicht kleingläubig. Gott wird euch heilen und erretten, wenn ihr ganz einfach Ihm vertraut und dem hebräischen Gesetz treu bleibt.

Etwa zur gleichen Zeit — spätestens aber im 2. Jahrhundert v. Chr. — wurde der Brief des Jeremia geschrieben. Er gibt vor, eine Botschaft des alttestamentlichen Propheten an die Juden zu sein, die im späten 7. oder frühen 6. Jahrhundert v. Chr. in Babylon im Exil lebten. Der Brief ist eine scharfe Attacke gegen die Götter der Babylonier — ähnlich einer Stelle im kanonischen Buch Jeremia — und erklärt, diese Götter seien materielle Gegenstände ohne Eigenleben, Macht oder echte Identität. „Wie eine Vogelscheuche, die im Garten nichts bewachen kann“, schreibt der Verfasser, „so sind auch ihre hölzernen, vergoldeten und versilberten Götzen“ (Brief des Jeremia im Buch Baruch 6:70). Der Brief des Jeremia ist wie auch das Buch Tobit in Wirklichkeit eine Warnung des Verfassers an seine Zeitgenossen, keine anderen Götter anzubeten.

Das Buch Baruch soll der Überlieferung nach von Jeremias Schreiber verfaßt worden sein, der sich aus dem babylonischen Exil an die Juden in Jerusalem wendet. Es besteht aus einer Sammlung von Gebeten und Gedichten, die aus den alttestamentlichen Büchern Daniel, Hiob und Jesaja entnommen und frei wiedergegeben wurden. Die Schriften sind in vier große Abschnitte geordnet: eine Einleitung, in der die Juden aufgefordert werden, großzügig zu sein und für den König von Babylon zu beten; ein Bußgebet mit der Bitte um Befreiung; eine Hymne, die an die personifizierte Weisheit gerichtet ist, und ein wunderschönes Gebet voll tröstlicher Verheißungen wie diese: „Jerusalem, sei getrost! Der wird dich trösten, der dich mit Namen genannt hat... Die Wälder aber und alle wohlriechenden Bäume werden Israel auf Gottes Befehl Schatten geben“ (Baruch 4:30; 5:8).

Viele halten die kurze Erzählung von Susanna für eine der bezauberndsten Geschichten der jüdischen Literatur. Sie wurde im 3. oder 2. Jahrhundert v. Chr. geschrieben und später in die Septuaginta-Version des Buches Daniel eingegliedert. In Susanna wird berichtet, wie eine tugendhafte, schöne junge Frau, die während des Exils in Babylon lebt, durch ihre schlichte Unschuld und ihr unerschütterliches Vertrauen auf Gott schließlich über zwei hinterlistige und korrupte Richter siegt, die sich durch Erpressung sexuelles Entgegenkommen von ihr zu verschaffen suchen. Wie Josef im Alten Testament die Anträge der Frau des Potiphar zurückweist, so bleibt auch Susanna vor den zwei alten Richtern standhaft, obwohl die beiden versuchen, ihren guten Ruf durch die Beschuldigung zu erschüttern, sie habe mit einem anderen Mann Ehebruch getrieben.

Vor Gericht geschleppt und unter Anklage gestellt, betet Susanna im Angesicht der drohenden Todesstrafe verzweifelt zu Gott, und dieser sendet ihr Daniel zu Hilfe. Während der Verhandlung nimmt Daniel die beiden Richter einzeln ins Kreuzverhör, entlarvt sie als Lügner und rettet Susanna. Die Richter werden hingerichtet; Susannas Verwandte aber frohlocken und preisen Gott. Und mit den Worten des Verfassers: „Daniel wurde groß vor dem Volk von dem Tag an und blieb es auch weiterhin“ (Stücke zu Daniel 1:64). Wie die meisten der frühen alttestamentlichen Apokryphen demonstriert die Susanna-Geschichte den Lesern, daß sie dem Gesetz der Hebräer auch unter den schwierigsten Bedingungen gehorsam sein müssen — sogar im Angesicht von Korruption und religiöser Unterdrückung.

Die Redakteurin Mary Trammell ist Bibelgelehrte, und der Redakteur für besondere Aufgaben William Dawley war als Journalist tätig.

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