Die Zwei Damen in der U-Bahn lasen Zeitung. Sie wechselten nur wenige Worte. Eine seufzte: „Das mit der Kriminalität wird immer schlimmer.“ Worauf die andere erwiderte: „Ja, ja, da kann man nichts machen.” Und schon waren sie wieder in ihre Lektüre vertieft.
Die Hoffnungslosigkeit besonders der zweiten Aussage berührte mich, und ich dachte darüber nach, warum ich ihr nicht zustimmen konnte und wollte.
Es wird viel über die Ursachen der Kriminalität geschrieben. Einige wichtige Aspekte sind wohl auch die nun in Europa geöffneten Grenzen und das sichtbar werdende Wohlstandsgefälle, international operierende Verbrecherorganisationen und ein schwunghafter illegaler Drogenhandel.
Wir sind diesen Entwicklungen nicht hilflos ausgeliefert, sondern können ihnen wirksam begegnen. Leisten nicht Gleichgültigkeit und Resignation dem Verbrechen Vorschub, weil sie den Eindruck erwecken, es würde zu wenig zur Verhinderung von Unrechtstaten getan und dem Verbrechen stünden Tür und Tor offen? Ein entscheidender Beitrag zur Verbrechensbekämpfung ist eine aktive Haltung durch Gebet. Durch unvoreingenommenes Beten richten wir Werte wie Gerechtigkeit und Ehrlichkeit im menschlichen Bewußtsein auf. Das durch Gebet geschärfte Unterscheidungsvermögen läßt uns zweifelsfrei zwischen rechten und falschen Handlungen differenzieren und falsche Motive und unrechte Beweggründe aufdecken.
Jedes Verbrechen ist Sünde. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Dieb von Armut oder anderen Gründen, der Wirtschaftskriminelle von Konkurrenzdenken oder der Terrorist von einer Ideologie getrieben ist. Nicht einmal vermeintlich gute Motive rechtfertigen eine verbrecherische Tat. Sünde ist immer Ausdruck einer sterblichen Gesinnung, die im Guten lediglich etwas Materielles und Begrenztes vermutet. Der Täter, der den sterblichen Begriff eines mangelhaften Menschen akzeptiert, mag Mangel entdecken, den er durch Unrechttun überwinden möchte.
Der Evangelist Johannes macht in seinem ersten Brief deutlich, daß wir zwischen dem sündigen, sterblichen Menschen einerseits und dem von Gott geschaffenen, vollkommenen, sündlosen Menschen andererseits unterscheiden müssen, der unser wahres Wesen ist. Er schreibt: „Wer aus Gott geboren ist, der tut keine Sünde; denn Gottes Kinder bleiben in ihm und können nicht sündigen; denn sie sind von Gott geboren.“ 1. Joh 3:9.
Durch unser Verständnis von der vollständigen und unschuldigen Natur des Menschen helfen wir, diese reine und unbescholtene Idee Gottes in der menschlichen Erfahrung zu bewahren. Das Bild eines sündigen Sterblichen, der durch Rücksichtslosigkeit Fülle und Erfüllung für sich selbst zu erlangen sucht, muß als Umkehrung des von Gott geschaffenen, vollkommenen Menschen aufgedeckt werden. Diese Haltung bedeutet nicht, daß wir Verbrechen leugnen oder ignorieren. Doch wir können die Sünde von unserem Verständnis der wahren identität des einzelnen trennen. Wir können Sünde als etwas durchschauen, was keinen Anspruch auf Wirklichkeit erheben kann; und das, was wirklich ist, drückt sich in geistigen, gottähnlichen Qualitäten des von Gott geschaffenen Menschen aus. Im Gebet bekräftigen wir jedoch, daß die geistige Idee die einzige Wirklichkeit ist, und machen die Illusion des armseligen Abbildes eines schuldigen Sterblichen deutlich. Von dem Gebet, das diese wahre Idee des unschuldigen Menschen anerkennt, geht ein Einfluß aus, der das menschliche Bewußtsein umwandelt und hebt.
Dieses Wirken ist der Christus, den wir in Christus Jesus vollkommen ausgedrückt finden. Es ist eine Botschaft, die jeden Menschen erreicht. Die heilende Macht des Christus wird im Johannesevangelium besonders verdeutlicht, als Jesus der Ehebrecherin vergibt und sie dazu befähigt, sich mit ihrer gottgegebenen, unschuldigen, vollkommenen Natur zu identifizieren. Gewiß war ihre Wandlung kein taktischer Schachzug, um einer Strafe, in ihrem Fall der Todesstrafe, zu entgehen. Ist echte Wandlung nicht eine Wiedergeburt, die ein neues Leben ermöglicht? Umwandlung und Wiedergeburt gehen mit der Vergebung der Sünde einher. Mary Baker Eddy erläutert das im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft so: „Die Sünde ist nur dann vergeben, wenn sie durch Christus — die Wahrheit und das Leben — zerstört worden ist.” Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 5. Der Christus entlarvt durch seinen unwiderstehlichen Einfluß auf das menschliche Gemüt selbst verborgenes Unrecht und bringt es ans Licht, um es zu berichtigen.
In jedem Fall bleibt das Recht der Gesellschaft, vor kriminellen Handlungen geschützt zu werden, bestehen. Daher wird das Verbrechen gemäß den menschlichen Gesetzen verfolgt und bestraft. So wird die menschliche Gerichtsbarkeit durch Bestrafung und Schadensersatz helfen, den Sünder zu erwecken und Gerechtigkeit zutage treten zu lassen. Dieser Weg steht jedem Menschen — vor wie nach einer strafrechtlichen Bewertung seiner Tat — offen, um sich der umwandelnden Macht des Christus bewußt zu werden und zu einem neuen, gerechten, unschuldigen Verhalten zu kommen.
Mary Baker Eddy war sich stets bewußt, daß das Verbrechen gesühnt und der Verbrecher von seiner Sünde erlöst werden muß. 1881 besuchte sie den Mörder des amerikanischen Präsidenten Garfield in seiner Gefängniszelle. Sie beschreibt in ihrem Werk Vermischte Schriften den Zustand des Attentäters als „moralischen Schwachsinn“, der es ihm unmöglich macht, das Verbrechen einzuschätzen, wodurch er sich sogar als Opfer, nicht als Täter, sieht. Sie berichtet, wie der Attentäter durch ihre wenigen Worte berührt wird und wie ihr schließlich der Gefängniswärter dankt, weil sie dem Häftling statt Blumen etwas gebracht hat, was ihm gut getan hat. Was war das?
Hat es nicht das Verständnis mit umfaßt, daß Verbrechen Folge eines krankhaften Gemütszustandes sind, der durch die unbegrenzte Macht Gottes geheilt werden kann? Sie schreibt dazu: „Dieser Gemütszustand ist ein Musterbeispiel völliger Verderbtheit und die Folge eines sinnlichen Gemüts in der Materie. Das Gemüt, das Gott ist, ist nicht in der Materie, und Gottes Gegenwart verleiht geistiges Licht, in dem keine Finsternis ist.” Verm., S. 112.
Die Christliche Wissenschaft lehrt die Unschuld des Menschen und zeigt seine ungetrübte, rein geistige Natur. Diese Unschuld jedem Menschen zuzugestehen hat einen korrigierenden Einfluß auf sein Denken und Handeln. So wird die gedankliche Atmosphäre bereitet, die es jedem ermöglicht, sein unrechtes Verhalten aufzugeben und sein Bewußtsein dem geistigen Licht der Gegenwart Gottes zu öffnen.
Der geistige Mensch, die wahre Idee Gottes, ist Ausdruck einer allumfassenden, göttlichen Vollständigkeit und Vollkommenheit. Er kann keinen Mangel leiden, weil er als Ebenbild Gottes eins mit Ihm ist und untrennbar von unendlicher Versorgung und wahrer Erfüllung ist. Die Unschuld des Menschen ist unantastbar; sie besteht immerfort im göttlichen Gemüt. Wir können die erlösende Tätigkeit des Christus, der Wahrheit, bewußt anerkennen, um diese Unschuld mit ihrer heilenden und schützenden Wirkung ans Licht zu bringen und somit das menschliche Bewußtsein zu erheben. So können wir etwas gegen Kriminalität tun. Ihr Beitrag ist so wichtig.
Hinweis:
Bitte beachten Sie, daß weitere Artikel, die sich mit dem Thema „Kriminalität und Unschuld’ befassen, in der Juli-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft erscheinen werden.
