Die Politische Landkarte Europas hat sich in den letzten fünf Jahren in kaum erwartetem Maß gewandelt. Einige Staaten sind von der Bildfläche verschwunden — die DDR und Jugoslawien mögen als Beispiele gelten —, andere Staaten, wie im Baltikum, haben ihre Unabhängigkeit wiedererlangt. Und wieder andere sind als Ergebnis politischer Veränderungen neu entstanden, wie etwa Tschechien und Slowenien.
Wenn auch kriegerische Auseinandersetzungen wie in Bosnien und einigen ehemaligen Sowjetrepubliken die Nachrichtenseiten der Zeitungen beherrschen, so sind doch viele Umwandlungsprozesse ohne Blutvergießen verlaufen. Noch lange jedoch sind diese Veränderungen nicht abgeschlossen, und manche Bevölkerungsgruppen, deren Zusammenleben keine staatliche Form gefunden hat, ringen um nationale Identität. Die Ungewißheit über die politische Entwicklung vermischt sich bisweilen mit der Sorge, einer Zukunft entgegenzugehen, die durch Bürgerkriege, Terror und bewaffnete internationale Konflikte geprägt ist.
Da diese Entwicklungen uns alle angehen, ist es notwendig, über den Beitrag zum Frieden nachzudenken, den jeder einzelne erbringen kann. Es ist wohl erkennbar, daß die Drohung mit Waffen und deren Einsatz zur Erreichung nationaler Ziele ein materielles, also begrenztes und sterbliches Bild vom Menschen zur Grundlage hat. Jede Form materieller und auch mentaler Gewaltanwendung wie Nationalismus und Fremdenhaß steht im Widerspruch zur geistigen Wahrheit des Menschen.
In der Bibel wird der Mensch als das vollkommene Bild und Gleichnis Gottes, des göttlichen Prinzips, beschrieben. Weil dieses Prinzip Liebe und daher nur gut ist, verfügt der geistige Mensch über unbegrenzt gute Eigenschaften. Diese Eigenschaften zeigen uns das höhere geistige Gesetz des Zusammenlebens mit unseren Nächsten und wie wir uns bewußt diesem göttlichen, harmonischen Prinzip unterstellen können. Dadurch akzeptieren wir Gottes Regierung als höchste Autorität für jeden Menschen.
Grenzstreitigkeiten, Expansionsstreben oder die von Gewalt begleitete Forderung nach staatlicher Identität stehen der göttlichen Regierung also entgegen. Da solchen Methoden das Wissen um die höchste, gottgegebene Autorität fehlt, müssen wir sie nicht als beherrschenden Einfluß dulden. Die geschichtliche Entwicklung der beiden ehemaligen Erzfeinde Frankreich und Deutschland hin zu freundschaftlich zusammenarbeitenden Nationen zeigt, daß Vorurteile und Feindseligkeiten überwunden werden können. Gebet hilft uns, die wahre Herrschaft zu erkennen und uns nicht durch Vorstellungen materieller Machtausübung täuschen zu lassen.
Mary Baker Eddy zeigt in Wissenschaft und Gesundheit die trügerische Natur rein menschlicher Beeinflussung und das ewige Wirken göttlicher Autorität. Sie schreibt: „Unberührt inmitten des mißtönenden Zeugnisses der materiellen Sinne, entfaltet die allzeit erhöhte Wissenschaft den Sterblichen das unwandelbare, harmonische göttliche Prinzip — entfaltet sie Leben und das Universum als immer gegenwärtig und ewig." Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 306.
Wenn wir dieses göttliche Prinzip verstehen, werden wir das Bild von sich gegenseitig bekämpfenden oder gar zerstörenden Menschen als ein Trugbild entlarven, das durch die irrige Vorstellung vom Menschen als einem von Gott getrennten Sterblichen entstanden ist. Wir werden dann Unterdrückung und militärische Konflikte nicht länger einfach hinnehmen, sondern nachdrücklich darauf bestehen, daß das Universum durch unseren Vater-Mutter Gott geordnet und harmonisch regiert wird und daß der Mensch Sein Ebenbild ist. Diese geistige Überzeugung, die dem Zerrbild von gewaltbereiten Menschen entgegentritt, ist machtvolles Gebet, das hilft, die Welt von aggressiver, materieller Beeinflussung zu heilen.
Unser eigenes Leben kann ein Beispiel für friedfertiges Miteinander sein, wenn wir Kleinkrieg wie Streitereien mit Nachbarn oder eine aggressive Fahrweise mit dem PKW vermeiden. Wir erlangen diesen Frieden in unseren alltäglichen Beziehungen, wenn uns die göttliche Natur des Menschen stärker bewußt wird und wir uns von begrenzenden Auffassungen, die sich in Intoleranz oder mangelndem Respekt kundtun können, abwenden. So tragen wir zu einem Frieden bei, der nicht auf den persönlichen Bereich begrenzt bleibt, sondern sich auf das ganze Universum auswirkt. Grundlage jedes echten Friedens ist die Allgegenwart des Christus, der Wahrheit. Dieser göttliche Einfluß im Bewußtsein des Menschen stiftet Frieden, den jeder individuell ausdrücken und trotz gegenteiligen Anscheins im anderen anerkennen kann. So ist unsere eigene Friedfertigkeit Wegbereiter für globalen Frieden.
Die Geschichte kennt zahllose Beispiele für Menschen, die die gerechte und friedensbewahrende Regierungsform Gottes anerkannt und deren Segen erfahren haben. Daß das Anerkennen der göttlichen Autorität zu Frieden und Heilung führt, sehen wir am Beispiel des Hauptmanns von Kapernaum, über den im Matthäusevangelium berichtet wird. Siehe Mt 8:5-13. Der Hauptmann bittet Jesus, seinem Knecht zu helfen. Als Jesus hingehen und ihn gesund machen will, wehrt der Hauptmann ab mit den Worten: „Herr, ich bin nicht wert, daß du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's."
Der Hauptmann hat die göttliche Autorität als liebevolle Macht verstanden. Dadurch, daß er sich intuitiv diesem erhaltenden und beschützenden Prinzip unterwarf, konnte er die göttliche Herrschaft in Demut und Gerechtigkeit widerspiegeln. Jeden persönlichen Einfluß unterstellte er der göttlichen Autorität, und das brachte Frieden und Heilung für den Knecht.
Wie gelingt es uns, von rein persönlichen oder nationalen Zielen abzulassen? Wenn wir das Wirken des göttlichen Prinzips verstehen, erkennen wir, daß es zuallererst notwendig ist, daß wir zu unserem eigenen Besten und zum Wohle aller den eigenen Willen aufgeben und uns Gottes Regierung unterwerfen, die völlig gut ist. Wir erkennen die wahre Individualität eines jeden besser und sehen, daß es immer zu Harmonie führt, wenn wir göttliche Eigenschaften verkörpern. Hinter diesem Ausdruck göttlicher Eigenschaften steht die Macht Gottes, die über uns selbst hinausreicht und auch den anderen seine wahre Individualität erkennen läßt.
Dabei werden Veränderungen der Ziele und Vorstellungen unserer Nächsten uns nicht erschrecken. Wir werden diese Veränderungen besser einschätzen können und das aufrichtige, friedfertige Motiv im Streben des anderen erkennen. Indem wir das Wirken der läuternden, umwandelnden Macht des Christus und des ordnenden, harmonisierenden göttlichen Prinzips, der Liebe, in jedem Menschen bekräftigen und selber die Friedfertigkeit in Zeiten des Wandels bewahren, beten wir, und dieses Gebet hat einen prägenden Einfluß auf individuelle wie auch gesellschaftliche Entwicklungen.
Jeder kann echten Frieden, den wir zunächst im eigenen Bewußtsein finden werden, erleben. Unser Gebet für den Frieden in der Welt und unser Leben, das Frieden bewahrt und so von dem Frieden Gottes zeugt, tragen dazu bei, daß Veränderungen im nationalen oder internationalen Rahmen gewaltlos vor sich gehen und zu harmonischen Beziehungen unter den Menschen führen.