Die Frauen Von heute — und viele Männer auch — beanspruchen selbstbewußt und immer entschiedener das unbestreitbare Recht der Frau, dem Mann gleichgestellt zu sein. Mehr und mehr werden die Intelligenz, der Geschäftssinn, die künstlerische Begabung und der geistige Weitblick der Frauen erkannt und anerkannt, und es wird ihnen zugestanden, daß sie in jedem Beruf ein Anrecht auf die gleichen Aufstiegsmöglichkeiten wie ihre männlichen Kollegen haben. Vielleicht ist das ein Anzeichen dafür, daß sich in der Gesellschaft immer mehr die Überzeugung durchsetzt, daß Frauen in unserer Welt eine unverzichtbare Rolle spielen — und zwar auf allen Gebieten.
Betrachten wir dieses Thema von einer geistigen Warte aus, dann tritt das eigentliche Wesen der Frau besonders hervor: großherzig und mitfühlend, geduldig und einfühlsam. In Wirklichkeit besitzt jeder von uns von Natur aus alle Eigenschaften wahrer Weiblichkeit — und wahrer Männlichkeit —, denn unser ureigenes Selbst ist die Widerspiegelung unseres Vater-Mutter Gottes. Wenn wir diese geistige Tatsache verstehen und anerkennen, erweitert sich der Horizont unseres Denkens — und das hat eine machtvolle und befreiende Wirkung auf unser Leben.
Auch die Bibel bringt uns eine geistige Sicht auf die Frau. So wird zum Beispiel im ersten Kapitel des ersten Buches Mose das Wesen des Menschen folgendermaßen beschrieben: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.“ Siehe 1. Mose 1:27. Das Neue Testament wiederum betont, daß Gott Geist ist. Siehe Joh 4:24. Und so können wir diesen Bibelvers als Hinweis auf die geistige Natur des Menschen deuten, auf die unzerstörbare Individualität jedes einzelnen von uns.
Wir stellen uns Gott gewöhnlich als Vater vor. Christus Jesus bezeichnete Ihn als „meinen Vater“, „euren Vater“ oder „unsern Vater“. Aber die Bibel weist sowohl auf die fürsorglichen, zärtlichen Eigenschaften Gottes als Liebe hin als auch auf das Beschützende und Lenkende — also auf die mütterlichen und die väterlichen Attribute unseres Vater-Mutter Gottes. Zum Beispiel wird im fünften Buch Mose der Befreier der Kinder Israel sehr anschaulich mit einer Adlermutter verglichen, die ihr Junges sicher auf ihren Schwingen trägt. Siehe 5. Mose 32:11, 12. Der Schreiber des Buches Jesaja versichert seinen bekümmerten Zuhörern, daß ihr Herr sie trösten werde wie eine Mutter. Siehe Jes 66:13. Und Jesus lebte ganz gewiß das Mitgefühl und die sanfte Fürsorge, die er lehrte.
Jeder von uns als Ebenbild Gottes besitzt also unweigerlich in seiner vollständigen geistigen Individualität sowohl die männlichen als auch die weiblichen Eigenschaften des himmlischen Schöpfers. Wenn wir diese geistige Tatsache begreifen, werden wir unser wahres Selbst im täglichen Leben mehr zum Ausdruck bringen. Wir werden entdecken, daß wir ganz natürlich sowohl Autorität ausüben als auch sanft sein können, daß sowohl Mitgefühl als auch Stärke in uns wohnen.
Wenn die Frauen die rein geistige Natur ihres wahren Seins akzeptieren, können sie Freiheit von den Leiden beanspruchen, die allgemein mit bestimmten Lebensabschnitten der Frau in Verbindung gebracht werden. Das habe ich selbst erlebt. Ohne jeden ersichtlichen Grund fühlte ich mich plötzlich unglücklich und hatte mit Depressionen und dem Gefühl der Einsamkeit zu kämpfen. Ich kam mir so isoliert vor, daß ich es nicht einmal fertigbrachte, mit meinem Mann darüber zu sprechen, der meinen Zustand bemerkte und gern bereit gewesen wäre, mir liebevoll zu helfen. Ich betete ernsthaft darum, mehr von der Allgegenwart des vollkommen guten und liebenden Gottes zu verstehen, der für mich sorgt und nicht zuläßt, daß irgend etwas mir Leiden verursacht oder mich meiner Freude und meines inneren Friedens beraubt. Und eines Tages schrie ich in größter Verzweiflung einfach zu Gott um Hilfe.
Kurz darauf wurde mir plötzlich klar, daß solche Zustände als Symptome der Wechseljahre angesehen werden, und ich begann nach dem geistigen Gegenmittel gegen dieses Leiden zu suchen.
Ich wandte mich dem bekannten Vers aus der Genesis zu, der bereits zitiert wurde. Hier fand ich die Bestätigung, daß ich als Ebenbild Gottes die männlichen und weiblichen Eigenschaften Gottes in vollkommener Ausgewogenheit widerspiegele — ein Gleichgewicht, das nie gestört werden kann; daß ich, da mein wahres Sein geistig ist, keinen materiellen sogenannten Gesetzen unterworfen bin, die den verschiedenen Stadien physischer Reife Leiden zudiktieren. Ich erkannte, daß das für alle Frauen gilt und daß ich das Recht auf Freiheit für mich und alle Frauen beanspruchen kann.
Fast augenblicklich vergingen die Depressionen, ich fühlte mich getröstet und fröhlicher. Ich konnte nun auch die Situation ganz natürlich mit meinem Mann besprechen, und er unterstützte mich. Doch damit war die Sache noch nicht zu Ende.
Ich hatte kurz vorher meine dreijährige Amtszeit als Erste Leserin in meiner Zweigkirche der Christlichen Wissenschaft beendet. Nun freute ich mich darauf, daß ich noch mehr Zeit haben würde für ein intensives Studium der Bibel und der Schriften Mary Baker Eddys in der Art, wie mein Amt es in den letzten drei Jahren verlangt hatte. Es war eine befriedigende, aber sehr arbeitsreiche Amtszeit gewesen, in der ich neben meinem Dienst in der Kirche meine Familie versorgt und mich von Zeit zu Zeit um Verwandte gekümmert hatte. Inzwischen hatten die Kinder das Haus verlassen — sie waren in der Ausbildung oder im Beruf —, und ich wurde bei weitem nicht mehr so von der Familie beansprucht. Ich hatte zwar im Haushalt und in der Kirche zu tun, aber es füllte mich nicht aus, nur für meinen Mann und mich zu sorgen. Das Studium, auf das ich mich so gefreut hatte, schien mir plötzlich sinnlos. Ich trug nichts zu den Familienfinanzen bei, und es kam mir so vor, als hätte ich keine nützliche Aufgabe mehr — weder in der Familie noch sonstwo. Die Zukunft sah leer aus.
Aber ich hielt mich an das, was ich kürzlich über meine vollständige geistige Identität gelernt hatte, und so wurde mir bald klar, daß dieses Bild nur ein weiterer Aspekt der begrenzten Anschauung von der Frau war. Es stellte die Interessen der Frau so dar, als seien sie nur auf eine einzige Rolle oder bestimmte Pflichten beschränkt.
Ich sah ein, daß es mir freistand, dieses Frauenbild entweder zu akzeptieren oder abzulehnen. Offensichtlich mußte ich im Licht der geistigen Schöpfung noch mehr über den wahren Status der Frau lernen. So wandte ich mich wieder der Bibel und den Schriften Mrs. Eddys zu, um besser zu verstehen, was die Frau ist und was die weibliche Natur, das weibliche Geschlecht und so weiter sind. Aber ich fühlte lange Zeit keine Inspiration, und der Gedanke der Nutzlosigkeit drängte sich immer wieder auf.
Doch dann stieß ich beim Studium auf folgende Formulierungen, die Mrs. Eddy in ihren Schriften verwendet: „die weibliche Natur Gottes“ Christliches Heilen, S. 10. und „die Männlichkeit und Weiblichkeit Gottes“ Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, und Verschiedenes, S. 346.. Und plötzlich erkannte ich klar, daß sich im Wesen Gottes nicht nur männliche und weibliche Elemente verbinden, sondern daß diese auch alle wertvoll und wichtig sind. Intuition, Sanftmut und Anmut sowie Intelligenz, Stärke und Mut sind alles Eigenschaften, die notwendig sind, um das Wesen Gottes, die Fülle des Geistes, vollständig widerzuspiegeln.
In vielen Kulturen hat seit Urzeiten der Mann als Versorger und Beschützer die dominierende Rolle gespielt. Der Frau dagegen wurde eine untergeordnete Stellung zugewiesen. Unter diesem Gesichtspunkt schaute ich mir die Geschichte von Adam und Eva im zweiten Kapitel der Genesis noch einmal an. Hier wird geschildert, daß Adam von „Gott dem Herrn“ (nicht dem Gott, von dem im ersten Schöpfungsbericht die Rede war) als materielles Wesen geschaffen wird. Die Frau wird später sozusagen im Nachtrag geschaffen, als sich herausstellt, daß Adam eine Hilfe und eine Gefährtin braucht. In den folgenden Kapiteln macht der Autor der Antike eindeutig klar, daß die Frau eine untergeordnete Rolle spielt, völlig von ihrem Mann abhängig ist und nur sehr begrenzte Möglichkeiten hat. Die Frau wird sozusagen energisch auf ihren Platz gestellt, und man erwartet, daß sie auch da bleibt.
Aber die Unterwürfigkeit der Eva hat nicht das geringste zu tun mit dem geistigen Status des Menschen — des Mannes wie der Frau —, wie er im ersten Schöpfungsbericht geschildert wird. Es gibt keinen legitimen Grund, Weiblichkeit geringzuschätzen und die weibliche Natur Gottes zu leugnen.
Als ich über diese Wahrheiten nachdachte, fühlte ich eine neue, geradezu überwältigende Freiheit. Ich lief im Haus auf und ab und sagte mir voller Freude immer wieder vor, daß Gott nicht den Mann zuerst und die Frau hinterher geschaffen hat. Ich brauchte diese fiktive Eva-Rolle nicht anzunehmen. Ich hatte meinen eigenen, angeborenen Wert als Tochter Gottes, und ich hatte meinen Platz in Seinem Weltenplan. Das war kein Wunschdenken, noch wollte ich nur meine Moral heben, sondern es war eine geistige Tatsache. Ich hatte als Mensch nicht an Wert verloren, weil meine Familie mich zeitlich weniger in Anspruch nahm.
Mrs. Eddy war fest überzeugt von der Wichtigkeit der Familie, und sie wußte, wie wertvoll der Beitrag ist, den eine Frau und Mutter für deren Stabilität leistet. Aber sie wollte die Frau keineswegs auf diesen Lebensbereich beschränkt wissen. In ihrem Buch Nein und Ja schrieb sie: „Im Naturgesetz und in der Religion hat die Frau ein unveräußerliches Recht, das höchste Maß an erleuchtetem Verständnis und die höchsten Posten in der Regierung auszufüllen; und für diese Rechte treten die edelsten Menschen beider Geschlechter in verständiger Weise ein.“ Nein und Ja, S. 45. Wahre Männlichkeit und Weiblichkeit ergänzen und unterstützen einander. Sie konkurrieren nicht miteinander, noch haben sie Konflikte untereinander oder verdrängen sich gegenseitig.
In einem Wörterbuch wird das Wort Laufbahn als „Vorwärtskommen im Leben“ definiert. Wenn wir versuchen, die ganze Vollständigkeit Gottes zu leben, unsere ureigene und einzigartige Mischung göttlicher Eigenschaften — männlich und weiblich — auszudrücken und dadurch einen Beitrag zu Frieden und Stabilität zu leisten, dann verfolgen wir eine Laufbahn, die hohe Anforderungen an uns stellt. Und es ist mit Sicherheit auch die nützlichste Vollzeitbeschäftigung, die wir haben können — ganz unabhängig von unserem Tätigkeitsbereich, unserem Gewerbe oder Beruf.
Durch diese neue Selbsteinschätzung wurde ich gestärkt, aber die Suggestion von Nutzlosigkeit tauchte in der einen oder anderen Form noch eine ganze Zeitlang wieder auf. Ich mußte sie dauernd im Licht meines neugewonnenen geistigen Verständnisses und durch beharrliches Studium abweisen. Doch gleichzeitig besserte sich mein Leben ganz bedeutend. So merkte ich, daß die Kinder mich auch weiterhin brauchten, und freute mich an ihrer Freundschaft. Ferner erkannte ich, daß die Kirchenarbeit kein zweitrangiger Ersatz für einen „richtigen Job“ ist, sondern ein wichtiger Beitrag zur Heilung von Problemen in der Gemeinde. Ich fühlte mich nicht länger minderwertig, weil ich kein Geld verdiente. Ich ging neuen Interessen nach. Vor allem aber genoß ich die Zeit des Studierens und Betens und sah darin eine Gelegenheit, meine Vorstellungen von Mutterschaft zu erweitern und die Gemeinde und die ganze Welt in meine Gebete mit einzuschießen.
Einige Monate später erfuhr ich, daß mir aus meiner Berufstätigkeit vor der Heirat eine kleine Rente zustand. Ich bekam die bisher aufgelaufene Geldsumme, und seither habe ich monatlich ein regelmäßiges Einkommen. Das war so unerwartet wie willkommen, und ich kann nun zu den Kosten des Haushalts beitragen.
Wahre Weiblichkeit ist einer unserer großen natürlichen Schätze — ein geistiges, moralisches und praktisches Vermögen. Ob Sie nun eine Frau oder ein Mann sind und was auch Ihre Beschäftigung ist — jeder von uns kann einen einzigartigen Beitrag zum Wohl der weltweiten Menschenfamilie leisten.