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Die umwandelnde Macht der Heiligen Schrift

Dies ist der zweite Teil des Artikels über William Tyndales Bibelübersetzung ins Englische. Der erste Teil erschien im April-Herold. Nachdem Tyndale wegen Ketzerei hingerichtet worden war, suchten seine Anhänger nach Mitteln und Wegen, dem englischen Volk Zugang zu seiner Bibel zu verschaffen.

Tyndales Übersetzung: der Grundstein der englischen Bibel

2. Teil

Aus der Mai 1995-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


DIE COVERDALE-BIBEL


Inzwischen gestattete Heinrich VIII. die Veröffentlichung einer anderen Bibelübersetzung, nämlich der von Miles Coverdale, einem Freund von Tyndale aus den Tagen der Zusammenkünfte im Weißen Roß.

Jahrelang hatte Coverdale mit Cromwell über das Studium der Bibel und Fragen des Übersetzens korrespondiert. Es ist sogar möglich, daß er für kurze Zeit in Hamburg mit Tyndale zusammen an der Übersetzung des Pentateuch gearbeitet hat. Coverdale verstand zwar nur wenig Griechisch und Hebräisch, aber er beherrschte Latein und Deutsch — und er war ein Meister der englischen Sprache. Seine Bibel beruhte hauptsächlich auf der lateinischen Vulgata, auf Luthers deutscher Bibel und auf der Tyndale-Übersetzung.

Zu dieser Zeit wurde der König von der Öffentlichkeit zunehmend unter Druck gesetzt. Die Menschen wollten eine Bibel haben, einen Ersatz für Tyndales Neues Testament, dessen Verbreitung er und die Bischöfe unterbunden hatten. Cromwell sah in der Coverdale-Bibel eine Möglichkeit, diesem allgemeinen Verlangen nachzukommen, und so riet er dem König, Coverdales Arbeit zu fördern.

Im Jahre 1535, noch während Tyndale auf dem Kontinent im Gefängnis saß, wurde Coverdales Bibel in England gedruckt und veröffentlicht — die erste vollständige Bibel in Englisch. Coverdale widmete sie König Heinrich.

Aber nur wenige waren mit seiner Bibel zufrieden. Sie war bestenfalls eine verwässerte Version der Bibel Tyndales, ohne deren Kompromißlosigkeit — und sie war nur eine Übersetzung anderer Übersetzungen, keine Übertragung aus dem griechischen und hebräischen Urtext. Allerdings hatte sie den Vorzug, klar und gut lesbar zu sein. Doch weder Cromwell noch Cranmer noch das englische Volk wollten die Hoffnung aufgeben, daß Tyndales Übersetzung doch noch einmal wieder in Druck gehen könnte.

DIE MATTHEW-BIBEL


John Rogers, ein enger Freund Tyndales, ersann einen Weg, das Neue Testament des Reformators wieder zu veröffentlichen. Rogers war Tyndale 1534 in Antwerpen begegnet. Er war damals der katholische Geistliche für die englischen Kaufleute in dieser Stadt gewesen, aber Tyndale machte sehr schnell einen Protestanten aus ihm. Als Tyndale verhaftet wurde, vertraute er Rogers alle seine Schriften an, auch die fast vollendete Übersetzung des Alten Testaments.

Noch im gleichen Jahr, in dem Tyndale hingerichtet wurde, begann Rogers, aus Tyndales unvollendetem Manuskript eine vollständige Bibel zusammenzustellen. Die Lücken füllte er mit Coverdales Text. Außerdem fügte er der neuen Bibel Vorworte und Randbemerkungen bei — alle tendenziös antikatholisch.

Allerdings war Rogers sehr vorsichtig, denn er wollte nicht das gleiche Schicksal wie Tyndale erleiden. Er veröffentlichte seine Bibel unter dem Pseudonym Thomas Matthew — möglicherweise war das der Name eines seiner Geldgeber. Und auch er widmete — da er auf die Billigung des Königs hoffte — sein Werk Heinrich und dessen damaliger Frau, Lady Jane.

Rogers druckte in Antwerpen 1500 Bibeln und schickte einen Vorabdruck an Cranmer nach England. Sofort berichtete der Erzbischof an Cromwell: „Sie [diese Bibel] gefällt mir besser als jede andere Übersetzung, die bis heute gemacht worden ist.“ Und er drängte Cromwell, den König dazu zu bringen, sie sofort zuzulassen. Heinrich hatte augenscheinlich nicht die geringste Ahnung, daß die „Matthew-Bibel“ nichts anderes war als eine verkappte Tyndale-Übersetzung — und Cromwell brauchte nicht mehr als eine Woche, um ihn zu überreden, den Verkauf in ganz England zu genehmigen. So wurde denn im Jahre 1537 — nur ein Jahr nach dem Märtyrertod Tyndales — seine Bibel in seinem Heimatland wieder veröffentlicht und verbreitet.

DIE GROSSE BIBEL


Allerdings hatte die Matthew-Bibel sozusagen „eingebaute“ Probleme. Die Vorworte und Randbemerkungen waren so polemisch, daß der König und die Konservativen in der englischen Kirche Anstoß daran nahmen. Cromwell erkannte bald, daß er nach einem Ersatz suchen mußte. Er wandte sich an Coverdale, den er als einen Mann geschickter Kompromisse und als guten Bearbeiter von Texten kannte, und forderte ihn auf, einen neuen englischen Bibeltext vorzulegen, den der König gutheißen könne.

Obwohl diese neue Bibel später auf der Titelseite als Originalübersetzung aus dem Hebräischen und Griechischen angepriesen wurde, war sie das keineswegs. Coverdale — vielleicht zusammen mit einigen anderen Gelehrten seiner Wahl — redigierte lediglich Tyndales Übersetzung, vermischte sie mit seinem eigenen früheren Text und dem der Matthew-Bibel und ließ alle beanstandeten Bemerkungen und Vorworte weg, die Rogers verfaßt hatte. Als dies im Schnellverfahren geschehen war, gingen Coverdale und ein reicher Lebensmittelkaufmann, Edward Whitchurch, nach Paris, um die Bibel drucken zu lassen.

Aber in Paris gab es Schwierigkeiten. Die Obrigkeit stoppte die Arbeit und beschlagnahmte die Druckfahnen. Irgendwie gelang es Coverdale und Whitchurch, genug von ihrem Material zu retten — Druckerpressen, Papier, Typen und sogar Arbeiter —, daß sie den Druck in London zu Ende führen konnten. Das Ergebnis war eine wundervolle großformatige Ausgabe, die wegen dieses Formats allgemein als die Great Bible oder Große Bibel bekannt wurde. Da die umstrittenen pro-protestantischen Randbemerkungen ausgemerzt worden waren, war Heinrich sofort bereit, der Großen Bibel das Siegel „Mit Zustimmung des Königs“ zu verleihen. Und Cromwell wies alle Pfarreien des Landes an, ein Exemplar der Bibel „an einem geeigneten Platz in der Kirche“ aufzulegen, damit alle Gemeindemitglieder sie lesen konnten.

DIE CRANMER-BIBEL


Im April 1540 übernahm Cromwell die Schirmherrschaft über die zweite Auflage der Großen Bibel, der ein Vorwort von Cranmer in seiner Eigenschaft als Erzbischof vorangestellt wurde. Es ist eines der leidenschaftlichsten Plädoyers für das Bibellesen in der Geschichte der englischen Bibel. Cranmer schreibt dort: „In der Heiligen Schrift liegen die fetten Weiden der Seele. In diesem Buch können alle Arten von Menschen — Männer, Frauen, Junge, Alte, Gelehrte, Ungelehrte, Reiche, Arme, Geistliche, Laien, Herren, Damen, Offiziere, Pächter, niedriges Volk, Jungfrauen, Ehefrauen, Witwen, Rechtsgelehrte, Kaufleute, Handwerker, Bauern und alle Personen, welchen Standes und Zustandes auch immer, all das erfahren, was sie nicht tun sollten, wie auch alles über Gott den Allmächtigen und über sich und alle anderen Menschen.“ Weiter schrieb der Erzbischof: „Kurz gesagt, niemand kann etwas gegen das Lesen der Heiligen Schrift haben ... [es sei denn], er weiß nicht, daß die Heilige Schrift die gesündeste Medizin ist." Diese Bibelausgabe wurde als Cranmer-Bibel bekannt.

Zwei Monate nach der Veröffentlichung dieser Bibel wurde Cromwell — der Hauptinitiator des Plans zur Veröffentlichung der Tyndale-Bibel — in den Tower von London geworfen. Seine konservativen Gegner hatten es endlich fertiggebracht, ihn zu stürzen, und im Juli 1540 wurde der Führer der protestantischen Reformation in England enthauptet.

Nach Cromwells Tod schlug die Kirche einen konservativeren Kurs ein. Heinrich gab eine Anordnung heraus, die öffentliche Diskussionen über die Bibel untersagte. Im Jahre 1547 bestieg Heinrichs junger Sohn Eduard, ein leidenschaftlicher Protestant, den Thron von England. Mit seiner Unterstützung trieb Cranmer die Umgestaltung der Kirche nun entschiedener voran und schrieb das wundervolle Book of Common Prayer, das liturgische Buch der anglikanischen Kirche. Darin fügte er eine Anzahl von Psalmen und anderen Schriftstellen für den Gottesdienst ein, damit die Menschen das Wort Gottes täglich gelesen oder gesungen hören konnten. Aber Eduards Regierung war nur kurz — er starb sehr jung —, und seine katholische Schwester Maria bestieg den Thron.

KÖNIGIN MARIA VERBIETET DAS BIBELLESEN


In den fünf Jahren ihrer Regierung versuchte Maria mit allen Mitteln, England zum Katholizismus zurückzuführen. Sie und ihr Gatte Philipp II. von Spanien ließen Hunderte von Protestanten hinrichten, die ihrem Glauben treu bleiben und ihre Bibel weiterhin lesen wollten. John Rogers war der erste, der auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. 1556 folgte ihm Cranmer. Zahllose andere — auch Coverdale — flohen auf den Kontinent und schlossen sich der protestantischen Auswandererkolonie in Genf an.

Fast alle Teilnehmer der Gesprächsrunde im Weißen Roß verloren während Marias kurzer Terrorherrschaft ihr Leben. Doch das Vermächtnis dieser Männer — die Tyndale-Bibel — lebt in den Herzen und Gemütern der englischsprechenden Menschen auf der ganzen Welt weiter. Denn Tyndales Stimme ist es, die immer wieder und unüberhörbar aus den Zeilen der King-James-Bibel widerklingt.

Die Redakteurin Mary Trammell ist Bibelgelehrte, und der Redakteur für besondere Aufgaben William Dawley war als Journalist tätig.

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