Es War Mein erster Job nach dem Schulabschluß. Als berufstätige Frau war ich eine Sensation in meiner Abteilung, ja im ganzen Betrieb. Ein paar Männer weigerten sich, mit mir zusammenzuarbeiten — und das sagten sie mir auch. Die meisten allerdings waren sachlich, hilfreich und höflich. Aber dann gab es noch die anderen. Zwar waren die Ausdrücke sexuelle Belästigung und sexuelle Diskriminierung damals noch nicht allgemein verbreitet — aber genau das war es, und es reichte von der offenen Anmache über anzügliche Pfiffe bis zu hämischen Bemerkungen. Ich machte ein paar recht unangenehme, schwierige und sogar erschreckende Erfahrungen. Doch durch Gebet konnte ich diesen Herausforderungen standhalten.
Der erste Vorfall ereignete sich schon bei den Vorstellungsgesprächen. Es war offensichtlich, daß mein Gesprächspartner nicht gewohnt war, mit Frauen zusammenzuarbeiten. Er machte sexistische und verächtliche Bemerkungen. Ich fürchtete mich vor einem zweiten Gespräch und erwog ernsthaft, meine Bewerbung um die Stelle zurückzuziehen.
Es war meine erste Begegnung mit solchen Vorurteilen, und da ich mir nicht anders zu helfen wußte, rief ich am Abend unter Tränen meine Mutter an. Während wir uns darüber unterhielten, wurde mir klar, daß mein Gesprächspartner sich vielleicht gar nicht bewußt gewesen war, welche Wirkung seine Worte hatten. Er sah augenscheinlich Männer und Frauen nur als physische Persönlichkeiten an, gekennzeichnet durch Alter, Rasse und Geschlecht. In der Christlichen Wissenschaft aber hatte ich gelernt, den Begriff Mensch als Gattungsnamen für alle Söhne und Töchter Gottes anzusehen, die ja zum göttlichen Bild und Gleichnis geschaffen sind. Die Erkenntnis, daß Gott unkörperlicher Geist ist und kein menschenähnliches männliches Wesen, macht uns frei, so daß wir unsere eigentliche geistige Natur und die anderer erkennen und wertschätzen können.
Mrs. Eddy, die Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, in Boston, Massachusetts, gründete, entdeckte sowohl im Alten als auch im Neuen Testament einen höheren Gottesbegriff, der sowohl mütterliche als auch väterliche Attribute umfaßt. In ihren Schriften benutzt sie oft die Bezeichnung Vater-Mutter für Gott. Zum Beispiel sagt sie in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift: „Vater-Mutter ist der Name für die Gottheit, der ihr zärtliches Verhältnis zu ihrer geistigen Schöpfung andeutet.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 332.
So schließt der geistige Mensch, der Gottes Bild oder Idee ist und kein körperliches Wesen, sowohl männliche als auch weibliche Eigenschaften in sich. Intelligenz ist nicht mehr männlich als weiblich, Kreativität nicht mehr weiblich als männlich. Ich betete, um zu erkennen, daß ich alle Eigenschaften Gottes besitze und zum Ausdruck bringe — so etwa Weisheit, Geduld, Genauigkeit, Sanftmut, Freude.
Ich machte mir den wahren, geistigen Ursprung und die wahre Identität sowohl von mir wie von meinem Gesprächspartner klar — beide brachten wir gottgegebene Eigenschaften zum Ausdruck. Daran hielt ich bei meinem zweiten Einstellungsgespräch fest. Ich fühlte mich nicht mehr herabgewürdigt und eingeschüchtert — und die ganze Sache lief zufriedenstellend ab.
Nachdem ich diese Lektion gelernt hatte, gab es noch größere Herausforderungen zu bestehen. Ich mußte mehrmals in der Woche durch eine Fabrikhalle gehen, um zur Ingenieurabteilung zu kommen. Die ganze Belegschaft dort brach in lautes Pfeifen aus und sparte nicht mit anzüglichen Bemerkungen. Mir graute bald vor diesem Weg, und die Zurufe nervten mich mehr und mehr. Schließlich begann ich ganz gezielt über diese Situation zu beten.
Wenn ich „beten“ sage, dann heißt das nicht, daß ich Gott erzählte, was passiert war, oder Ihm Lösungsvorschläge machte. Gebet in der Christlichen Wissenschaft ist eine Anerkennung der Gegenwart, Macht und allwissenden Weisheit Gottes. Ich wußte, daß ich als Sein Gleichnis unendliche Intelligenz, Ruhe und Würde zum Ausdruck bringe. Ich betete, um zu erkennen, daß ich nicht das hilflose Opfer gedankenloser Leute war, und begriff, daß Gott, der immer gegenwärtig ist, überall bei mir war — auch in der Fabrikhalle — und daß ich darauf vertrauen konnte, daß Seine Weisheit mich leitet und regiert.
Zunächst waren die Bemerkungen, die gemacht wurden, so unverschämt wie zuvor, aber sie berührten mich jetzt nicht mehr so. Ich betete weiter. Eines Tages, als ich wieder durch die Halle gehen mußte, lief ich zu meiner eigenen Überraschung direkt auf die Männer und Maschinen zu. Plötzlich war mein ganzes Herz von schwesterlicher Liebe zu diesen Arbeitern erfüllt. Ich ging direkt auf den Mann mit dem gröbsten Mundwerk zu, lächelte ihn an und stellte mich vor. Plötzlich schien alles in der Halle zu erstarren — und dann war ich auf einmal von einem Dutzend Männern umringt. Ich wurde ein wenig unsicher und fragte mich, ob es wirklich weise gewesen war, so zu handeln. Doch ich wandte mich still meinem Vater-Mutter Gott zu und wußte, Er würde mich schützen.
Es dauerte einen Moment, aber dann antwortete mein Gegenüber. Und daraufhin stellte man sich rundum vor. Ich fragte nach ihrer Arbeit, sie nach meiner. Wir haben vielleicht fünf Minuten miteinander geredet. Von diesem Augenblick an gab es keine Belästigung mehr. Ja, ich begann mich sogar auf meinen Weg zum Ingenieurbüro zu freuen — man lächelte mir zu, winkte, machte freundliche Bemerkungen. Und was das erstaunlichste war: ein paar Monate später fragte mich der eine Mann, welcher Religion ich angehörte, und nachdenklich gestand er mir, daß er zu dem Schluß gekommen sei, ich müsse ein religiöser Mensch sein.
Das dritte Erlebnis hatte ich, als ein leitender Angestellter anfing, sexuelle Bemerkungen und versteckte Andeutungen zu machen. Ich war mir des Ernstes der Situation nicht bewußt, bis sich seine Redereien zu unsittlichen Anträgen, vermischt mit einschüchternden Drohungen, auswuchsen. Heute weiß ich, daß ich dieses Benehmen sofort seinem Vorgesetzten hätte melden sollen. Aber damals war ich verwirrt und erschreckt und konnte es nicht über mich bringen, darüber zu sprechen.
Obwohl ich betete und mir die Gegenwart Gottes und Seinen machtvollen Schutz ins Gedächtnis rief, spitzte sich die Lage immer mehr zu. Einmal reagierte ich sogar wütend auf eine offensichtlich harmlose Bemerkung, die im Kreis anderer fiel. Am folgenden Wochenende betete ich sehr ernsthaft, um zu wissen, was ich tun sollte. Das Beispiel Christi Jesu kam mir in den Sinn. Jesus reagierte auf Verfolgung weder mit Haß noch mit Furcht. Er begegnete Anfeindungen mit geistiger Aktion, nicht mit emotioneller Reaktion. Manchmal antwortete er seinen Widersachern, manchmal blieb er still. Aber immer ließ er sich vom göttlichen Gemüt leiten und nicht einfach von menschlicher Vernunft oder seinen Gefühlen. Er pochte nicht auf sein Recht, sondern seine Worte waren Ausdruck seines Wesens. Demut, Würde und Herrschaft waren die geistigen Eigenschaften, die er ausdrückte. Jesus fühlte sich nie von anderen beherrscht, noch versuchte er, andere zu beherrschen.
Als ich über Jesu Beispiel nachdachte, hörte ich auf, ständig an die Annäherungsversuche des Angestellten zu denken und mir zu überlegen, wie ich darauf reagieren sollte. Ich wünschte mir nur noch, mein Denken und Tun mehr der christlichen Handlungsweise anzugleichen. Ob ich schwieg oder antwortete — ich mußte auf das göttliche Gemüt lauschen und durfte nicht auf die begrenzten, körperlichen Ansichten vom Leben reagieren, die ein anderer hatte.
Ich war ganz von Selbstmitleid und Selbstrechtfertigung erfüllt gewesen (die Formen der Furcht sein können). Doch nun wich dies alles der Demut. Ich erkannte, daß ich Herrschaft ausüben mußte. Geistig betrachtet liegen Demut und Herrschaft sehr nahe beieinander. Die allgemeine Auffassung von Demut, nämlich daß man willenlos alles über sich ergehen und andere jeden Ausdruck der eigenen Persönlichkeit auslöschen läßt, ist das genaue Gegenteil wahrer Demut, die den vollkommenen individuellen Ausdruck Gottes and Licht bringt — ohne jedes Konkurrenzgefühl. Als mir klarer wurde, daß meine geistige Natur immer intakt und unberührbar bar ist, ließen Selbstmitleid, Selbstrechtfertigung und Furcht nach, und ich konnte mehr wahre Demut und gottgegebene Herrschaft zum Ausdruck bringen.
Am nächsten Montag geschah etwas Bemerkenswertes: Zum ersten und einzigen Mal begegnete mir der Chef der ganzen Firma im Korridor. Wir unterhielten uns kurz. In ein paar Augenblicken — und völlig ohne Peinlichkeit für mich — kam die Wahrheit ans Licht. Die Belästigungen wurden sofort und gründlich abgestellt.
Die Worte des Apostels Paulus an die Epheser haben für mich eine ganz besondere Bedeutung, wenn es um sexuelle Belästigungen geht. „Ergreift die Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und alles überwinden und das Feld behalten könnt. So steht nun fest, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit, und an den Beinen gestiefelt, bereit, einzutreten für das Evangelium des Friedens. Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes. Betet allezeit mit Bitten und Flehen im Geist und wacht dazu mit aller Beharrlichkeit im Gebet für alle Heiligen.“ Eph 6:13–18.
Wir können die Axt an die Wurzel sexueller Belästigungen legen dadurch, daß wir „allezeit mit Bitten und Flehen im Geist“ beten — daß wir die geistige Natur und den geistigen Ursprung von Mann und Frau erkennen. In seiner göttlichen Natur ist jeder von uns vollständig, zufrieden und unversehrt. Es mag sein, daß wir uns immer wieder gegen die Diskriminierung durch andere wehren und unsere Herrschaft demonstrieren müssen. Aber das gelingt uns, wenn wir „die Waffenrüstung Gottes“ anziehen und alle Eigenschaften des göttlichen Geistes zum Ausdruck bringen, die uns, den geistigen Kindern Gottes, von unserem Vater verliehen worden sind.