Danke für deinen Brief, der mich in einer besonderen Zeit erreichte — Jonathans Einschulungstag war gleichzeitig der Tag der Terror-Anschläge in New York. Eigentlich wollten wir gerade feiern gehen, als wir diese Nachrichten hörten. Wir sind auch gegangen, hatten jedoch ein ziemlich flaues Gefühl von Fassungslosigkeit, Ratlosigkeit und es machte sich eine gehörige Furcht breit.
Wie gehen deine Freunde und überhaupt die Kinder und Jugendlichen in deiner Nachbarschaft damit um? Wenn ich die Kinder hier so beobachte, stelle ich fest, dass sie je nach Alter ganz unterschiedlich reagieren. Kleinere stellten in unserer Straße zwei Biotonnen nebeneinander und ließen ihre Styroporflugzeuge dagegen fliegen. Für sie hat das eine Faszination. Und sie erfassen die ganze Tragweite der Geschehnisse nicht. Das ist sicher gut so.
Die etwas größeren Kinder machen sich mehr Gedanken, stellen Fragen und brauchen gute, zuversichtliche Antworten, um mit dem, was sie so erschreckt hat, klarzukommen. Sie spüren unser Aufgewühltsein, beginnen sich mit den Nachrichten zu befassen, die sie aus den Medien erreichen.
Schüler der Oberstufe organisierten hier in der Stadt kurzerhand einen Schweigemarsch. Der Anlass waren die Ereignisse in New York. Doch was sie damit aussagen wollten, ging weiter. Sie traten für Frieden in der gesamten Welt ein. Diese Schüler verstanden, dass es um mehr geht als die Anschläge in Amerika. Mit diesem Schweigemarsch machten sie deutlich, dass jeder überall für Frieden eintreten muss. Und dass das herausfordernder und schwieriger ist als jemanden anzugreifen.
Auf einem Transparent dieses Schweigemarsches stand: Hass zerstört — Liebe verbindet. Da dachte ich, wie dumm Hass doch ist, der nur Schaden anrichtet und Leid verursacht. Liebe jedoch ist machtvoll. Sie stärkt, indem sie verbindet und Trennungen überwindet. Sie macht keine Unterschiede zwischen Kulturen, Religionen, Rassen oder Herkunft. Sie ist bedingungslos, parteilos, einend. Und sie kommt von Gott, dem Guten, und ist deshalb stärker als alles menschliche Bemühen.
Wie ich mit dieser Angelegenheit umgehe? Von Mülltonnen, Presseberichten und Schweigemärschen habe ich Letztere am meisten bevorzugt! Da konnte ich gut beten. Gebet ist für mich eine Zwiesprache mit Gott, die mich Ihm näherbringt. Dadurch bekomme ich wieder frische Ideen und das bestärkende Gefühl von Sicherheit, das durch das Wissen von Gottes Allmacht kommt. Gott ist allmächtig. Er bewirkt alles Gute und zeigt jedem Seiner Kinder den Weg dahin.
Die Ereignisse in New York sind mir tatsächlich näher in mein Bewusstsein gelangt als manch andere Ereignisse in der Welt. Mir ist jetzt noch klarer geworden, wie wichtig es ist, stets selbst für den Frieden einzutreten. Beispielsweise, wenn wieder einmal ein Autofahrer zu schnell meinen Fahrradweg gekreuzt hat und vielleicht vielleicht Gelegenheit zu einem Wutausbruchs meinerseits hätte sein können. Ein Moment der Bedrohung für mich — doch anstelle eines Wutausbruchs ob dieser Rücksichtslosigkeit kann ich still sein, mir Gottes schützender Gegenwart bewusst sein, die alle Beteiligten segnet. Auch den Autofahrer!
Ich habe dir von Mary Baker Eddy erzählt, der Frau, die im 19. Jahrhundert massiv angegriffen wurde, weil sie ein Buch geschrieben und veröffentlich hat, das zur Heilung durch Gebet anregt. Als ich jetzt so durcheinander war, griff ich zu eben diesem Buch, um mich zum Gebet inspirieren zu lassen. Ich stieß auf einen Abschnitt, der in etwa Folgendes besagt: So wie die Sonne vom Schatten stets unberührt bleibt, so ist jeder Mensch als Idee Gottes unberührt von allem, was dem Frieden und der Sicherheit im Weg stehen könnte.
Diese Tatsache dürfen wir nie anzweifeln, denn wir und alle, die mit einer solchen Bedrohung zu tun haben, werden dadurch gestärkt.
Ich grüße dich ganz herzlich und freue mich, wieder von dir zu hören!
Deine
PS Mary Baker Eddys Buch heißt Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift und das Zitat, auf das ich mich bezog, heißt wörtlich: „Das Unharmonische und Selbstzerstörerische berühren niemals das Harmonische und durch sich selbst Bestehende. Diese entgegengesetzten Eigenschaften sind das Unkraut und der Weizen, die sich niemals vermischen, obwohl sie (für die sterbliche Sicht) bis zur Ernte nebeneinander wachsen; dann trennt die Wissenschaft den Weizen vom Unkraut durch die Erkenntnis, dass Gott immer gegenwärtig ist und der Mensch das göttliche Gleichnis widerspiegelt.”
