Es war voll in der Londoner U-Bahn. Voll, laut und sehr ruckelig. Lesen ging nicht, sich unterhalten ging nicht, schlafen ging auch nicht. Also schaute ich nur rum. Mir gegenüber sah ich eine Reklame eines Radio-Senders mit der Überschrift „Ein Platz zum Nachdenken". Auf dem Foto sah man jemanden lächelnd am Strand stehen. Weit und breit keine Menschenseele! Vielleicht wollten die Werbeleute den Eindruck vermitteln, dass man beim Radio-Hören prima nachdenken kann. Für mich stand in dem Moment fest, dass ich genau jetzt an genau diesem Strand sein wollte — um den Meereswind zu fühlen, die Möwen kreischen zu hören und die salzige Luft zu riechen — und um zu beten!
Was nehme ich beim Beten wahr?
Als Kind habe ich oft versucht, mal keine Wörter im Kopf zu haben. Dann kamen Melodien. Es war nie ganz still. Und wieder ging es weiter mit Gedanken an Dinge der Vergangenheit oder an das, was bevorstand. Die Gegenwart zu denken gelang und gelingt mir immer noch am besten im Gebet.
Worum geht es im Gebet?
Im Gebet geht es mir um Ist-Zustände — jetzt, augenblicklich, gegenwärtig, aktuell. Dann lasse ich z. B. nur dem einem Gedanken „Gott ist Liebe und ist überall" Raum. Gott kennt keine Zeit, sondern die Unendlichkeit. Er kennt keinen Ort, sondern die Allheit. Er kennt keine guten und schlechten Menschen, sondern jeder wird gleichermaßen von Ihm geliebt.
Wovon lasse ich meine Gedanken bestimmen?
Mache ich mir gerade das Herz schwer durch Meinungen, Urteile, Erlebnisse, Nachrichten, Krankheitsbilder? Oder lasse ich mich auf Gottes Flügeln tragen — oder mich unter diesen beschützen?
Wo kann ich am besten beten?
Ein Platz, der sich mit solchen Ist-Zuständen beschäftigt, kann z. B. eine Kirche sein, die den Menschen durch Gottesdienste geistige Nahrung gibt. Aber dieser Platz muss nicht auf einen bestimmten Raum beschränkt sein. Man kann überall und immer, eben jetzt, beten, auch beim Kochen, Bügeln, in einer Warteschlange oder eben in einer U-Bahn.
Und ich saß immer noch in der U-Bahn. Aber jetzt lächelte ich. Ich hatte meinen Strand gefunden — den Platz zum Nachdenken. Ich war zufrieden und fühlte eine tiefe Ruhe, die Fahrt hatte sich gelohnt! Meine Haltestelle kam, ich stieg aus und trug eine Leichtigkeit in mir — und sogar noch etwas Sand in den Schuhen!