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Mary Baker Eddy Bibliothek

Dem Ruf Gottes folgen

2. Teil

Aus der Mai 2003-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


In den hundert Jahren zwischen der Großen Erweckung um 1740 und ihrem Niedergang nach 1840 predigten in den USA über hundert evangelikale Frauen in der Öffentlichkeit. Im Jahr 1811 vernahm Jarena Lee, eine in Philadelphia lebende freie Schwarze, Gottes Ruf und wurde Wanderpredigerin. Sie hielt vor schwarzen und weißen Gemeinden an der atlantischen Küste Hunderte von Predigten im Jahr. Wie sie in ihren Erinnerungen erzählt, wurde sie eines Tages in der Kirche von „einem gänzlich übernatürlichen Impuls” dazu getrieben, aufzustehen und den Pfarrer, der eine Bibelstelle behandelte, zu unterbrechen. J. Lee, The Life and Religious Experience of Jarena Lee [Das Leben und religiöse Erlebnis von Jarena Lee] (1836); in W. Andrews, Sisters of the Spirit: Three Black Women’s Autobiographies of the Nineteenth Century [Schwestern im Geist: Die Autobiografien von drei schwarzen Frauen des 19. Jahrhunderts], (1986), S. 44. Sie erwartete, von den geistlichen Würdenträgern zurechtgewiesen zu werden, war aber erstaunt, als der amtierende Bischof sich erhob und erklärte, dass Gott sie zu Seinem Werkzeug auserwählt habe.

In der Gewissheit bestärkt, dass Gott unmittelbar in ihrer eigenen Seele am Werk war, akzeptierte Jarena Lee ein Bild von sich, von ihrem Potenzial und ihrer Wirksamkeit, das auf den Widerspruch ihrer Umgebung stieß. Die unmittelbare Erfahrung von Gottes Macht durch eine evangelikale Bekehrung befähigte viele amerikanische Frauen, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Als Lee Gottes Ruf folgte, öffentlich zu sprechen machte sie sich als Frau und Angehörige einer diffamierten Rasse von Selbstzweifeln frei. Wenn Gott sie so sehr schätzte, dass Er Seinen Sohn für sie opferte und ihr ewiges Leben schenkte, dann, so glaubte sie, achtete er sie und andere wie sie höher, als es ihr Land tat, das den Frauen das Sprechen verbot und es zuließ, dass Schwarze wie eine Ware gekauft und verkauft wurden.

In Lees Sicht hatte Gottes Ruf den Vorrang vor gesellschaftlichen, die Rolle der Frau einschränkenden Konventionen. „Wenn ein Mann predigen kann, weil der Erlöser für ihn starb, warum dann nicht auch die Frau, da er auch für sie starb?” fragte sie. „Ist er nicht ein ganzer Erlöser, anstatt nur ein halber? So wollen es die hinstellen, die das Predigen der Frauen für falsch halten.” Andrews, Schwestern, S. 36. Lee war so davon überzeugt, dass ihr persönliches spirituelles Erlebnis ihr helfen konnte, andere Gott näher zu bringen, dass sie einen weiteren, für eine afrikanisch-amerikanische Frau beispiellosen Schritt unternahm: Sie schrieb und veröffentlichte eine Autobiografie.

Als im 19. Jahrhundert der Kampf um die Rechte der Frau begann, musste vor allen anderen Fragen das Recht der Frau, in der Öffentlichkeit zu sprechen, geltend gemacht werden. Die Geschwister Sarah und Angelina Grimké stellten das nur zu bald fest, als sie sich von Gott dazu berufen fühlten, in der Öffentlichkeit für die Abschaffung der Sklaverei einzutreten. Die kongregationalistischen Geistlichen antworteten darauf mit einem Hirtenbrief, in dem das öffentliche Reden der Frauen verdammt wurde als „Gefahr, die gegenwärtig den weiblichen Charakter weitgehend mit permanentem Schaden bedroht”. Die Geistlichen lobten die christliche Wohltätigkeit der Frauen, „doch wenn sie die Stelle des Mannes als öffentlicher Reformer einnimmt und dessen Ton anschlägt, scheint unsere Sorge für sie und ihren Scheint nicht nötig zu sein”, schrieben sie. „Wir treten gegen sie zu unserer eigenen Verteidigung an, sie gibt die Macht ab, die Gott ihr zu ihrem Schutz verliehen hat, und ihr Charakter nimmt unnatürliche Züge an.” „Hirtenbrief der Generalversammlung von Massachusetts an die kongregationalistischen Kirchen unter ihrer Aufsicht”, (28. Juli 1837). 4 I. H. Harper, Life and Work of Susan B. Anthony [Das Leben und Werk Susan B. Anthonys], Bd. 1, (1898; 1983), S. 75.

Als die Geschwister Grimké auf ihrer Vortragsreise mit Tomaten beworfen wurden, kam es in der Anti-Sklaverei-Bewegung wegen der Beteiligung der Frauen zu einer Spaltung. Die Gemüter erhitzten sich vor allem über das Recht der Frau, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Am Oberlin College wählten die für die Abschaffung der Sklaverei plädierenden Studenten 1847 einstimmig die Studentin Lucy Stone zur Rednerin bei der Abschlussfeier, doch die Hochschule lehnte das ab. Den Bestimmungen der Hochschule zufolge sollte ein männlicher Professor ihre Rede vorlesen. Stone weigerte sich daher, eine Rede abzufassen.

Die Praxis, Männer als Vorleser zu benutzen, wurde allgemein als passend angesehen. Catherine Beecher zum Beispiel, die ältere Schwester von Harriet Beecher Stowe (Verfasserin des Romans „Onkel Toms Hütte”), ließ ihre ersten Vorträge über die Ausbildung der Frau von ihrem Bruder vorlesen, anstatt selbst vor die Öffentlichkeit zu treten. Als Antoinette Brown, die erste ordinierte Pastorin (eine Kongregationalistin), 1853 auf der Welttagung der Temperenzler das Podium bestieg, wurde die Versammlung unterbrochen. Die Delegierten, die dagegen waren, dass eine Frau eine öffentliche Rede hält, hielten die Versammlung anderthalb Stunden lang in Aufruhr.

Selbst unter den Vorkämpfern für Frauenrechte wurde darüber gestritten, ob die Stimme der Frau in der Öffentlichkeit zu hören sein sollte. Die ersten Verfechter des Frauenwahlrechts (Suffragetten genannt) hatten mit Ressentiments und Selbstzweifeln zu kämpfen, und das machte es den Frauen schwer, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Obgleich Susan B. Anthony von Zweifeln an ihren rednerischen Fähigkeiten geplagt wurde, konnte sie sich doch zumindest Gehör verschaffen. Viele ihrer Mitarbeiterinnen vermochten nicht einmal das.

Als Anthony 1852 zum ersten Mal eine Tagung der Frauenrechtlerinnen besuchte, sprachen manche Rednerinnen zu leise. Um den Reformen nachzuhelfen, stellte sie den Antrag, dass alle, die nicht laut genug sprechen konnten, ihre Rede jemand anders zum Vorlesen geben sollten. „Es ist eine Zumutung für die Teilnehmer”, so beschwerte sie sich, „still dasitzen zu müssen, wenn man von einer langen Rede kein Wort hören kann.” Selbst in dieser Interessengruppe, die zusammengekommen war, um für die Rechte der Frau einzutreten, stritt man sich darüber, ob Frauen laut sprechen sollten. Eine andere Teilnehmerin beschwerte sich, dass „die Damen nicht hergekommen sind, um zu kreischen. Sie sind gekommen, um sich wie Damen zu benehmen und wie Damen zu sprechen”. Der unitarische Pfarrer Samuel May löste das Problem mit dem Vorschlag, dass die Damen genauso laut sprechen und sich Gehör verschaffen sollten, als wenn sie ihre Kinder zum Essen nach Hause riefen. Anonymer Zeitungsausschnitt, Portland, Maine (11. Januar 1864), aus einem Sammelalbum Mary Baker Eddys.

Für mich hat diese Szene etwas Rührendes an sich, dass nämlich die Pioniere der Frauenrechtsbewegung ihren Kopf einzogen, weil sie Angst davor hatten, ihre Rede zu halten, und dass der väterliche Samuel May ihnen Mut zusprechen musste. Möglicherweise war May selbst, als er an der Harvard-Universität Theologie studierte, im Homiletikseminar angewiesen worden, lauter zu sprechen, oder vielleicht beruhte sein Ratschlag auf jahrzehntelanger Erfahrung im Predigen. Den Frauen blieb das Theologiestudium an der Harvard-Universität und der Zugang zur Kanzel verschlossen und so mussten sie eigene Wege finden, um sich Gehör zu verschaffen.

Wenn man die Hindernisse bedenkt, denen sich die Frauen gegenübersahen, die sich von Gott dazu berufen fühlten, in der Öffentlichkeit zu sprechen, und die deshalb in der Gesellschaft auf Ablehnung stießen, dann kann man besser verstehen, mit welchen Schwierigkeiten Mary Baker Eddy zu kämpfen hatte, als sie sich mit der kühnen Absicht trug, öffentliche Vorträge zu halten. Als sie 1862 zum ersten Mal Vorträge hielt, war sie kaum zu hören. Wie eine Zeitung zwei Jahre später berichtete, „hat diese Dame keine Erfahrung im Halten von öffentlichen Ansprachen, zumindest nicht ihrer Stimme nach zu urteilen, die zu weiblich ist, um überall im Saal vernommen zu werden”. Auch wenn der Reporter ihre „intellektuelle Bildung” bewunderte, so entging ihm doch der Kern ihrer Rede.Chicago Times (15. Juni 1888).

Auf der Versammlung der Nationalen Vereinigung Christlicher Wissenschaftler in Chicago zwanzig Jahre später hingen mehrere Tausend dankbare und begeisterte Zuhörer an Eddys Lippen und wurden von ihren Worten inspiriert. Der Kern ihrer Ansprache entging ihnen keineswegs und mehrere Zuhörer berichteten später, dass sie während ihrer Rede geheilt worden waren. Der Reporter der Chicago Times schrieb, dass Eddy „deutlich und wirkungsvoll sprach”, und als sie ihre Rede beendet hatte, „erhob sich die Menge geschlossen und strömte zum Podium”6

Wenn man allein die Zeit von ihren ersten Vorträgen im US-Staat Maine im Jahr 1862 bis ihrem beispiellosen Erfolg 1888 in Chicago betrachtet, so ist es klar, dass Mary Baker Eddy der persönlichen wie auch gesellschaftlichen Herausforderung gewachsen war und ihre Stellung als amerikanische Religionsführerin eingenommen hatte. Wie andere Religionsführerinnen und Reformerinnen war auch ihre Mission durch Gottes Ruf veranlasst und mit Seiner Macht ausgestattet worden, und ihre Leistung ist inspirierend.

Was jedoch an der Geschichte von Frauen ernüchtert, die das Sprechen in der Öffentlichkeit lernten, ist die Tatsache, dass jede neue Welle von Pionierinnen die Schranken wieder niederreißen musste. Keine der Frauen, auch nicht M. B. Eddy, wusste, dass andere Frauen vor ihnen mit Erfolg in der Öffentlichkeit gesprochen hatten. Mit dem Niedergang ihrer Religion nach der amerikanischen Revolution verloren die Quäker-Predigerinnen des 18. Jahrhunderts an Bedeutung. Sie verschwanden aus der Geschichtsschreibung und erst in den 1990er Jahren stellte Rebecca Larson ihre Leistung wieder heraus. Auch die frühen evangelikalen Predigerinnen verschwanden von der Bildfläche, bis die Historiker sie in den Archiven wieder entdeckten. Jede Frauengeneration, der beigebracht worden war, dass Frauen nicht in der Öffentlichkeit sprechen, musste die Tabus wieder von neuem brechen.

Hätte jede Generation von Frauenrechtlerinnen ihren einsamen Kampf fechten müssen, wenn sie um ihre Vorgängerinnen gewusst hätte? Die Frauen hatten vor allem damit zu kämpfen, dass niemand ihre Geschichte te festgehalten hatte, und so musste jede Generation das Gedankengut und die Personen, die sich dafür stark machten, immer wieder von neuem entdecken. Das erste systematische Plädoyer für die Redefreiheit der Frau ist Margaret Fells bereits erwähntes Womens Speaking Justified (Eine Rechtfertigung der Redefreiheit der Frau), das in den USA fast unbekannt war und dort erst 1979 erschien. Wenn die Gesellschaft weiter voranschreiten soll, anstatt vergangene Entwicklungen zu wiederholen, ist es wichtig, dass wir Zugang zu diesen Dokumenten der ehemaligen Frauenrechtlerinnen haben.

Was für ein glücklicher Umstand, dass uns Mary Baker Eddys Botschaft, ihre Stimme, sowohl in veröffentlichten als auch unveröffentlichten Quellen erhalten geblieben ist und dass wir nicht auf die Schriften ihrer Kritiker angewiesen sind, um mehr über sie zu erfahren, wie es etwa bei Anne Hutchinson der Fall ist. Die Mary Baker Eddy Bibliothek für den Fortschritt der Menschheit wird sicherstellen, dass Eddys Stimme nicht zum Schweigen gebracht wird, und das geschieht dadurch, dass alle ihre Schriften, die veröffentlichten und unveröffentlichten, die bedeutenden und weniger bedeutenden, erhalten und zugänglich gemacht werden. Hoffen wir, dass wir den Kampf der Frau um die Redefreiheit nicht wiederholen müssen, wenn er geschichtlich festgehalten ist, und dass die kommende Generation von Frauen sich an Mary Baker Eddys Vorbild und dem vieler anderer religiöser Lehrerinnen und Führerinnen orientieren kann.

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