„Desert oaks wörtlich: Wüsteneichen sind keine Eichen,” sagte unser Kamelführer. „Es sind Kasuarbäume. Die ersten europäischen Siedler Australiens gaben den Bäumen diesen Namen, denn sie erinnerten sie an die
Eichen in ihrer Heimat.”
Unsere Reisegruppe hatte einen Rastplatz erreicht auf einem einstündigen Kamelausritt im australischen Outback. In der Ferne ragte Uluru, ein riesiger, roter Sandstein-Monolith, mehrere hundert Meter über dem flachen Wüstenboden auf. Ich konnte es nachempfinden, warum dieser imposante Fels seit Jahrtausenden von den Ureinwohnern Australiens als Heiligtum angesehen wird. Die Wüstenlandschaft, die ihn umgab, hatte uns zu Ehren, so schien es, ihre volle Pracht entfaltet. Wir bewunderten die Schönheit und den Reichtum der vielen blühenden Pflanzen, die der unfruchtbare Wüstenboden hervorbrachte, und ihre erstaunliche Fähigkeit, Trockenheit und sogar Feuer zu überleben. Doch diese Kasuarbäume, die verstreut in der Landschaft wuchsen, hatten noch etwas Faszinierenderes an sich.
Wir schauten auf einen langen, schmalen Baum, dessen Zweige sich eng an den Stamm schmiegten. Ein bisschen erinnerte er an einen Weihnachtsbaum, dessen Zweige zum Transport zusammengebunden wurden. „Dies sind junge desert oaks,” fuhr unser Führer fort. „Die Aborigines nennen sie Jünglinge.” Wir erfuhren, dass Kasuarbäume lange Wurzeln haben, die geradewegs zum Wasserspiegel hinunterwachsen. Es können 40 Jahre vergehen, bis sie das Wasser erreichen. Aber sobald das geschieht, beginnen die Bäume ihre Zweige auszubreiten und eine volle grüne Baumkrone entsteht.
Das Bild dieser Bäume, die ihre Zweige ausbreiten, nachdem sie ihre dauerhafte Wasserquelle erreicht haben, hat mich seit dieser denkwürdigen Reise ins Rote Zentrum von Australien nicht losgelassen. Die meisten Leute würden wohl sagen, dass sie Zeiten erlebt haben, wo sie die Arme enger um sich geschlungen haben. Augenblicke, wo sie sich begrenzt, belastet, entmutigt oder vor Furcht gelähmt fühlten. Solche Zeiten sind oft Gelegenheiten tiefer zu gehen und sich nach der göttlichen Quelle des Lebens und der Weisheit auszustrecken.
Als Mutter von drei kleinen Jungs hatte ich in dieser Beziehung Einiges zu lernen. Damals war ich sozusagen hauptberuflich Mutter, hatte aber einen Nebenjob, den ich zu Hause verrichtete. Mein Mann war oft bis spät abends auf der Arbeit und Verwandte, die mit den Kindern hätten helfen können, lebten weit weg. Manches Mal war ich bis zum Äußersten ausgelastet. Einmal hatte ich körperlich und mental einen Tiefpunkt erreicht und beschloss spirituelle Hilfe zu suchen. Ich bat eine Christian Science Praktikerin mir durch Gebet beizustehen. Eines der ersten Dinge, die sie mir sagte, war, ich sollte über Mutterschaft und Prioritäten nachdenken. Sie empfahl mir auch gleich ein paar Stellen aus der Bibel und aus dem Buch Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy dazu zu lesen. Was mir damals beim Lesen und Beten schnell klar wurde, war, dass ich zu viel persönliche Verantwortung für die Sorge meiner Familie auf mich genommen hatte. Ich musste aus einer größeren Ressource, einer größeren Quelle der Kraft schöpfen als meiner eigenen. Gebet führte mich zu dieser Quelle zurück.
Die Geschichte einer Frau aus der Bibel half mir dabei. Hagar, so hieß diese Frau, sah sich großen Härten in der Wüste ausgeliefert. Sie war mit ihrem Kind aus dem Haus geworfen worden und irrte ziellos durch die Einöde. Erschöpft, halb verhungert und ausgetrocknet, hatte sie allen Mut verloren und sich und ihr Kind aufgegeben. Doch in ihrer Hilflosigkeit und Ohnmacht muss sie sich aus tiefstem Herzen zu Gott um Hilfe gewandt haben, denn sie hörte eine Engelsbotschaft von Gott, die ihr sagte, dass sie sich nicht fürchten sollte. Gott hatte das Weinen des Kindes gehört und versicherte der Mutter, dass ihr Kind leben und Gottes Verheißung erfüllen würde. Augenblicklich wurde Hagar von ihrer Verzweiflung frei. Gott öffnete ihr die Augen für die Gegenwart Seiner Liebe — und plötzlich sah sie einen Brunnen. Der Brunnen war immer da gewesen, aber jetzt war sie in der Lage ihn zu sehen. Sie gab ihrem Kind zu trinken und es lebte und gedieh. (Siehe 1. Mose, Kap. 21.)
Beim Nachdenken über diese Bibelgeschichte begriff ich, dass die unendlichen Ressourcen der Liebe auch für mich (und für jedermann) immer da sind. Und Gottes Brunnen ist niemals leer. Mein Gebet öffnete mir die Augen dafür, dass Gott schon mit unerschöpflicher Energie, Liebe und Geduld für mich und meine Familie sorgte. Gott war meine wahre Mutter und die Mutter jedes meiner Kinder. Ich konnte darauf vertrauen, dass Sie — Gott — ihre „Stimme” genauso hören würde, wie Sie die Stimme des weinenden Kindes in der Wüste gehört hatte. Ich brauchte es nicht alleine zu machen. Und auch wenn meine menschliche Mutter tausende Kilometer entfernt lebte, so stand doch meine göttliche Mutter mir ständig zur Seite.
Und nun zu den schon erwähnten Prioritäten. Ich entdeckte, dass ich bereit sein musste, die göttliche Kraft und Versorgung zu empfangen. Und meine Bereitschaft und Empfänglichkeit wurden größer, als ich es mir zur Priorität machte, bei meinen täglichen Aufgaben anzuerkennen: „Gott, ich weiß, dass ich nicht von Dir getrennt bin. Du gibst mir alles, was ich brauche. Zeig mir, was ich tun soll.” Je mehr ich mir meiner Verbundenheit mit Gott bewusst war und meine Gedanken auf das Gute ausgerichtet hielt, das von Gott kommt, um so mehr hatte ich Herrschaft über die Dinge, anstatt umgekehrt die Dinge über mich. Die Kinder und ich hatten weniger Unruhe und Frust und stattdessen mehr Spaß und Freude.
Mary Baker Eddy gab 1895 in einer Predigt ihren Zuhörern den Rat: „Ihr müsst euch einfach ein wissenschaftliches, positives Bewusstsein der Einheit mit eurem göttlichen Urquell bewahren und dies täglich demonstrieren” (Kanzel und Presse, S. 4). Jesus war jemand, der diese Einheit mit Gott nie aus den Augen verlor und sie durch sein Leben und Wirken bewies. „Ich und der Vater sind eins,” sagte er (Joh 10:30). Dies gilt auch für uns. Keiner von uns kann von seinem Vater-Mutter Gott je getrennt werden. Wenn wir uns der Einheit mit unserer göttlichen Lebensquelle bewusst sind und unsere Gedanken aktiv danach ausstrecken, dann werden auch wir, wie die Kasuarbäume, unsere Arme ausbreiten können — zum Segen unserer Familie, unserer Umgebung und der Welt.
