Frömmigkeit spiegelt den Zeitgeist: Nonnen offerieren Fernbet-Dienste im Internet. Pfarrer predigen per SMS. Und auf einem japanischen Friendhof schlägt „robot-san", ein Roboter in Mönchsgestalt, den Gong. ...
Das Wort Gottes ist schon immer mithilfe der jeweils besten verfügbaren Technik verbreitet worden. Anfangs mündlich, später auf Papyrus und Pergament. ...
Fast fünf Jahrhunderte später versuchen traditionelle Religionsgemeinschaften aller Richtungen mit dem Verlangen nach virtuellen Erlebniswelten Schritt zu halten, um ihre vernetzte Gefolgschaft nicht an „trendigere" Kongregationen zu verlieren. Besonders in den USA lockt heiliger Geist auch multimedial — ein paar Messe-Zeiten und Bibelzitate ins Netz zu stellen, gilt schon lange als zu wenig. ...
High Tech und Pop-Kultur inspirieren freilich längst auch Seelsorger in Europa. Der evangelische Pastor Stefan Wolfschütz aus Hamburg rief per E-Mail zum Wettbewerb „Bless Ya — wer schreibt den schönsten Segen?" auf. Die Initiative soll Gottes Segen unter Jugendlichen wieder populär machen — nicht von der Kanzel aus, sondem täglich als SMS via Mobiltelefon. „Herr, lass deinen Segen über diese Teller fegen", ist einer der flotten Sprüche, die begeisterte Teenies eingereicht haben.
Als der Innenraum der alten St-Clemens-Kirche auf Amrum renoviert werden musste und Ebbe in der Kasse herrschte, erfand der Inselpastor Henning Kiene eine „Segens-Card". Wer das kreditkartengroße Stück Pappe erwirbt und den aufgedruckten Code ins Handy tippt, erhält eine Woche lang jeden Tag einen Segensspruch oder ein Bibelzitat frei Haus aufs Display. Und Hannovers Stadtjugendpfaffer Martin Bergau hat im Haus der Jugend den laut „Spiegel" „weltweit ersten SMS-Gottesdienst" zelebriert, den 110 Jugendliche live und 2500 via Handy oder am Computer verfolgt haben. ...
Aaron Engel, hauptberuflich Software-Entwickler für eine New Yorker Investmentbank, war wahrscheinlich der Erste, der seinen Palm Pilot als Werkzeug für religiöse Zwecke entdeckte. Als der orthodoxe Jude Mitte der neunziger Jahre sein Gebetbuch aus der Jackentasche zog, um Birkhat Hamazon, das nach der Mahlzeit vorgeschriebene Gebet, zu rezitieren, hatte der damalige Student den Geistesblitz, „eine Version des Birkhat Hamazon für den Palm Pilot zu schreiben".
Jüdische Gläubige stecken in Jerusalem Zettelchen, Disketten oder CD-ROMs mit Gebeten in die Ritzen der Klagemauer. Wer die Reise dorthin nicht selber machen konnte, war bis vor kurzem auf befreundete Pilger als Überbringer angewiesen. Inzwischen ist es möglich, Wünsche per E-Mail oder Fax an Privatfirmen zu schicken, die dann die gewünschten Gebete in der Klagemauer deponieren.
Rabbi Joshua Heller, konservativer, aber aufgeschlossener Direktor des ersten Fern- und Online-Studiums am Jewish Theological Seminary in New York, kann dem nicht sehr viel abgewinnen: „Ich kritisiere nicht gern etwas, das für jemanden spirituell bedeutungsvoll ist. Aber ich denke, Gott hört Gebeten nicht nur an der Klagemauer zu. Er ist nie weiter entfernt als ein Ortsgespräch ..."
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