Ich bin in Christian Science aufgewachsen, habe aber Ende der Teenagerzeit festgestellt, dass darin aufgewachsen zu sein nicht das Gleiche ist, wie darin zu leben. Anfang meiner zwanziger Jahre habe ich mich sehr davon distanziert. Ich hab gedacht, dass es Naivität ist, sich nur auf das Schöne und Gute zu verlassen.
Dein Verhältnis zu Christian Science hat sich also abgekühlt?
Ja, das kann man sagen.
Ich wurde dann von meiner Großmutter gefragt, ob ich mit zur Jahresversammlung 2002 gehen würde. Sie wollte sehr gerne hin und wünschte sich dafür Begleitung. Ich hab ihr zuliebe zugesagt.
Was hast du da erwartet?
Ich erwartete eine Clubatmosphäre und ich zweifelte, ob ich mit meiner kritischen Sicht da noch reinpassen würde.
Ich muss ehrlich sagen, als Erstes war ich von der Umgebung sehr beeindruckt. Ich hatte alles erwartet, aber nicht das Gefühl, nach Hause zu kommen. Ich hab mich so wohl gefühlt, die Mutterkirche zu sehen.
Wie war denn die Atmosphäre?
Die Atmosphäre war das, was mich am Nachhaltigsten verändert hat. Sie war fröhlich, aber nicht clubhaft. Ich hab vor allem empfunden, dass es eine sehr kraftvolle Atmosphäre war. Man hatte das Gefühl, dass sehr viel dafür gebetet worden war. Dieses Gebet hat wirklich die ganze Jahresversammlung getragen und alle Teilnehmer eingeschlossen. Egal auf welchem geistigen Stand sie gerade waren. Das fand ich mit am beeindruckendsten.
Alle Veranstaltungen waren sehr offen, sehr frei, aber sehr kraftvoll, unheimlich ansprechend. Und haben zum Nach- und Umdenken angeregt. Sie waren genau das Gegenteil von Naivität, sondern drückten eine starke gedankliche Überzeugung aus.
Was gab dir den Eindruck, dass diese Menschen mit beiden Füßen auf der Erde stehen?
Die angesprochenen Themen waren nicht abgehoben, sondern haben sich mit aktuellen Lebensumständen auseinandergesetzt. Ich denke da an das Podiumsgespräch von Monitar- Journalisten, die davon berichteten, wie sie mit Konflikten und Konfrontationen in ihrer Arbeit umgehen.
Eines Abends erzählte mir ein Mädchen von einer Heilung ihrer Schwester. Obwohl es eine fantastische Heilung war, sprach sie in einer ganz sachlichen und natürlichen Weise darüber.
Hat Kraft für dich etwas mit Euphorie zu tun?
Es ist genau das Gegenteil. Kraft schließt wohl Begeisterung ein, aber Kraft hat auch eine Beständigkeit, die nicht abflaut.
In dir hat sich also etwas Fundamentaleres geändert?
Absolut. Ich habe vorher noch nie Wissenschaft und Gesundheit von vorne bis hinten gelesen. Aber auf der Jahresversammlung hab ich die Tiefe und Ernsthaftigkeit empfunden dafür, was es bedeutet, sich auf Gottes Liebe zu verlassen. Ich kenne Wissenschaft und Gesundheit seit meiner Kindheit, aber als ich nach der Jahresversammlung im Flugzeug saß und anfing zu lesen, war es so, als ob ich die Sätze zum ersten Mal sah. Es war wirklich anders für mich. Ich hab auch seitdem versucht, diese Gedanken im Alltag anzuwenden. Und das hat wirklich bereits Veränderungen bewirkt.
Wie hast du das gemacht? Bist du ins Flugzeug gegangen und hast gesagt: „So, jetzt werde ich dieses Buch mal neu lesen?”
Nein. Nach dem Gespräch mit dem Mädchen, das mir von der Heilung ihrer Schwester erzählte, sprach ich mit meiner Großmutter und fragte sie dann: „Kann ich sicher sein, dass ich durch dieses Buch lerne so zu beten, dass ich heilen kann, wenn ich das wirklich ehrlich möchte?”
Darauf meinte sie: „Ja. Lies das Buch und versuch offen zu sein. Und ich verspreche dir, wenn du das Buch gelesen hast, wirst du nicht mehr dort sein, wo du jetzt bist.” Und ich sagte: „Gut. Das mache ich.“
Vergleich dich doch mal mit dir selbst von vor zehn Jahren. Was war in dir anders, als du Wissenschaft und Gesundheit im Flugzeug aufgeschlagen hast?
Vor zehn Jahren versuchte ich Christian Science in meinen Alltag einzubauen, und jetzt im Flugzeug versuchte ich, meinen Alltag mit Christian Science in Einklang zu bringen. Christian Science ist die Grundlage für mich geworden.
Im letzten halben Jahr arbeitete ich nebenberuflich als Fitness-Trainerin. Und ich hatte Kontakt mit Menschen, die mit Tennisarm und Golfarm zu tun hatten.
Und letzte Woche stellte ich fest, nachdem ich lange am Computer gearbeitet hatte, dass ich die gleichen Symptome bekam. Mein erster Gedanke war natürlich: „Mist. Jetzt kriegst du das auch, und das geht nicht weg, und man kann nichts machen.“ Und der zweite Gedanke war: „Nein.“ Mary Baker Eddy sagt, dass man das Recht hat, gegen diese Gedanken zu rebellieren. Ich brauche diese Gedanken von Krankheit nicht zu akzeptieren.
Mir kam der Gedanke, dass diese Schmerzen so etwas wie Aufnäher sind. Ich hatte als Kind an den durchgewetzen Ärmeln von meinem Pulli Aufnäher gehabt. Und so stellte ich mir jetzt vor, dass ich diese Schmerzen nicht mit mir in Verbindung bringen muss, sondern wie einen Aufnäher von mir trennen kann. Aber es wurde nicht sehr viel besser.
Dann las ich in der Bibel im Johannes: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe“ ( l. Joh. 4: 16). Ich war ehrlich und gestand mir ein, dass ich noch Furcht hatte. Aber ich wollte umdenken und mich vollkommen in die Liebe begeben. Mir würde klar: „Ich bin erst dann vollkommen in der Liebe, wenn ich keine Furcht mehr habe.“ Ich hab mich mit der Herrschaft und Allgegenwart der göttlichen Liebe beschäftigt, die mir mein Denken erfüllt und sich an mir ausdrückt — dass sie das Einzige ist, was sich an mir ausdrücken kann. Und das für nichts anderes Platz ist.
Am nächsten Morgen bin ich aufgestanden, und als ich mittags daran dachte, war alles wie ein Spuk verschwunden und ich habe seitdem überhaupt keine Beschwerden mehr damit gehabt.
Durch die Jahresversammlung hat sich mir die Frage gestellt: „Was ist die Wahrheit? Ist das, was ich sehe, wirklich alles?“ Früher hab ich alles hingenommen und dann die Sachen, die mir nicht gefallen haben, mit Christian Science versucht zu lösen. Inzwischen ziehe ich die Eindrücke, die auf mich einprallen, in Zweifel und frage mich, ob das die Wahrheit ist. Ich versuche durch die Eindrücke hindurch zu sehen und die Wirklichkeit zu erkennen.
Ist dein Glauben dir wirklicher oder praktischer geworden?
Ja, und auch sachlicher und rationaler, nicht mehr so gefühlsbetont. Mary Baker Eddy schreibt: „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Erlöser Gottes eigenes Gleichnis und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken“ (S. 476). Jesus hat etwas anderes gesehen. Und darum geht es.
Ich hab inzwischen angefangen zu verstehen, was es bedeutet, Christliche Wissenschaftlerin zu sein: Jeden Moment mehr die Wahrheit zu begreifen, sie mehr zu demonstrieren, sie weiterzugeben, von der Liebe zu berichten und dadurch in der Lage zu sein, zu heilen. Weil man die Freudenbotschaft hat und weitergeben darf und kann.
Seit der Jahresversammlung komme ich mir manchmal vor, wie Alice im Wunderland. Mir tun sich mit einem Mal so viel neue Sachen auf. Ich kann die Gedanken tagsüber einsetzen, darüber nachdenken, sie bewegen, um sie wirklich zu verstehen.
Werden wir dich auf der Jahresversammlung in Berlin sehen?
Auf jeden Fall.
Wer sollte denn dahin gehen?
Jeder der einen Kick braucht. Im Ernst: Ich kann es wirklich jedem empfehlen.
Muss dort jemand Angst haben, bekehrt zu werden?
Nein, überhaupt nicht. Man kann das auch als interessante Veranstaltung sehen, wo Menschen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, einfach über interesante Dinge sprechen.
Dein neues Interesse an Spiritualität hat sicher alle Bereiche deines täglichen Lebens berührt. Gehst du zum Beispiel joggen?
Ja!! Das ist lustig, dass du das erwähnst, weil ich momentan tatsächlich regelmäßig joggen gehe und das ganz arg liebe. Ich liebe diese Zeit, um in aller Ruhe beten zu können, über Sätze nachdenken zu können, aber auch, um die Schönheit der Natur aufzunehmen.
Nach einem Jahr kann ich wirklich sagen, dass dieser Besuch der Jahresversammlung für mich ein umwandelndes Erlebnis war.
