Es war dieser mitleidsvolle Unterton, der in mir jedes Mal Rechtfertigungsansätze wecken wollte. Dass sich mein Mann in Zeiten von Stellenab bau und Budgetkü zungen selbstständig machen und einen vermeintlich sicheren Job im künstlerischen Bereich an den Nagel hängen wollte — das konnten nur wenige verstehen und nachvollziehen. Der Apfel war aber nun mal reif geworden und die Umstände zeigten uns, dass er bereits am Fallen war.
Mut zu haben schien uns in diesem Moment gar nicht der wichtige Ansatzpunkt zu sein. Es war, als ob wir gar nicht anders konnten, als einer inneren Stimme zu gehorchen, die uns sagte: »Geht weiter! Es gibt hier einen Weg und der wird euch klar, indem ihr ihn geht.«
In unserer Entwicklung stehenzubleiben und sich mit beschränkten Entfaltungsmöglichkeiten einfach abzufinden hätte ich nun eher »mutig« gefunden. Doch man hört viel über das »den Mut verlieren« und ich fragte mich oft, wie wir es wohl schaffen würden, uns den Mut nicht nehmen zu lassen. Wie mag Mose sich wohl gefühlt haben, als er das Volk Israel einen ungewöhnlichen Weg in ungewöhnlicher Manier führte? Er hielt das ja erst auch für ziemlich verrückt — wenn da nicht die göttliche Autorität spürbar hinter ihm gestanden hätte. Oder Nehemia, der unter drängendsten Umständen eine Mauer in nur kürzester Zeit hochziehen wollte. Und natürlich Jesus mit seiner unkonventionellen Herangehensweise eines praktizierenden Christentums.
Die Geschichte ist geprägt von großen Persönlichkeiten — manche davon mehr, manche weniger bekannt. Sie alle zeichnet Mut aus, neue Wege zu begehen und nicht immer zu wissen, ob bzw. wo sie ankommen werden. Nicht selten ließen sie alte Denkweisen und Verhaltensmuster hinter sich und manches Mal wurden wohl auch Brücken zu Altem gänzlich abgebrochen. Ihr Mut basierte auf dem Vertrauen, das Richtige zum Segen der Sache oder gar der Menschheit zu tun, und auf der Gewissheit, dass der Horizont wohl das Ende des Blickfelds ist, nicht aber das der Reise- und Handlungsmöglichkeiten. Und sie wussten, dass das Gute — und ich benenne es hier mit Gott — hinter ihnen stand und steht, ihnen himmlische, geistige Stärke verleiht und Kompass und Wegweiser ist.
Damit konnten und können diese Pioniere furchtlos sein, unerschrocken und mit der Klarheit ausgestattet, die nötig ist, um Gefahren, Umwege, Hindernisse zu erkennen und damit umzugehen. Schritt für Schritt geht es immer weiter, auch wenn die Schritte noch so klein scheinen. Mut zu haben bedeutet, auf befreiende Ideen zu lauschen, diese göttlichen Ideen, die einem begegnen, und sie dann auch willkommen zu heißen, und sich auf sie zu verlassen.
Es tut gut, sich von diesen Menschen Mut machen zu lassen. Mary Baker Eddy spielt für mich in dieser Hinsicht eine große Rolle. Sie ging im 19. Jahrhundert viele Wege, die noch niemand vor ihr beschritten hatte. Sie konnte dies tun, weil sie sich auf Gott verließ. In ihrem Artikel »Dein Wille geschehe« (veröffentlicht in Vermischte Schriften 1883-1896) schreibt sie: »Die Barmherzigkeit hat den Mut der Überzeugung; ... Die Barmherzigkeit flieht niemals vor dem Irrtum, selbst wenn sie bei einem Zusammenstoß mit ihm leiden sollte. Liebet eure Feinde, sonst werdet ihr nicht frei von ihnen, und wenn ihr sie liebt, werdet ihr ihnen helfen, besser zu werden.« (S. 210/211)
Als ich darüber nachdachte, stand mir plötzlich folgender Satz vor Augen: Die Zukunft ist im Jetzt enthalten! Das heiß für mich, dass wir uns jetzt Gottes fürsorglicher, barmherziger Liebe anvertrauen. Und in dem Maße, wie wir das tun, sind die Wurzeln für das Weiterwachsen gefestigt und können ihre Nahrung bis an die Blattspitzen weitergeben. Gott manifestiert sich in all Seinen Ideen nach Seinem Wohlgefallen und zu unser aller Segen.
Der »Apfel« der Selbstständigkeit meines Mannes ist auf fruchtbaren Boden gefallen. Aus dem Mut, sich auf Gottes Ideen zu verlassen und Seine Ideen zu sehen und zu realisieren, ist ein Teesalon erwachsen, der einen vielfältigen Zuspruch erfährt. Die Besucher loben immer wieder die Atmosphäre, in der sehr viel Künstlerisches zu spüren ist, und nutzen diese Atmosphäre zum Verschnaufen wie zu Begegnungen und zum Gedankenaustauschen. Mein Mann und ich freuen uns sehr darüber, dass sich der Unterton bei jetzigem Anerkennen unseres Mutes deutlich ins Mitfreuen gewandelt hat!
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