Die Einklebebücher von Mary Baker Eddy waren Teil eines Phänomens des 19. Jahrhunderts, doch erst vor kurzem begann man, den geschichtlichen Wert dieser Einklebebücher zu würdigen, weil sie einzigartige Informationen über Menschen, Zeiten und Orte beinhalten.
Betrachten wir einmal den englischen Begriff für Einklebebuch, Scrap book. Es ist ein Wort, das zwei gegensätzliche Ideen vereint. Als Substantiv steht scrap für ein wertloses Stückchen eines übrig gebliebenen Materials – Essen, Metall, Stoff, Papier, ein Schrottauto, sogar ein veralteter Computer. Das Verb bedeutet ausrangieren. Doch das zweite Wort book enthält den gegensätzlichen Wert – etwas von Achtung, Dauer, Weisheit, Reichtum und Beständigkeit. Bücher zeichnen Gesetze und Geschichte auf, legen Rechenschaft ab, bewahren alte Ideen und entwerfen neue. Bücher stützen Zivilisationen. Zusammen genommen bilden die Wörter jedoch einen neuen Ausdruck mit einer neuen Bedeutung – ein Scrap book ist ein Band, der die wertlosen Stückchen des Lebens in eine zusammenhängende Darstellung dieses Lebens umwandelt; er wandelt die wertlosen Teile einer Gesellschaft um in eine wertgeschätzte Fundgrube für Erinnerungen und die Kultur, indem eine greifbare Verknüpfung zwischen der vergangenen und der gegenwärtigen Zeit der Menschheit geschaffen wird.
Die Menschen haben von frühester Zeit an Information und Ideen gesammelt, in ein System gebracht und geteilt, und es ist wahrscheinlich, dass schon immer seit dem Beginn des geschriebenen Wortes irgendeine Art von Einklebebuch existiert hat. Die Erziehung im Mittelalter beinhaltete das Kopieren von Abschnitten (oftmals auf Latein, einhergehend mit Übersetzungen in die Muttersprache) auf Tafeln, die Schülern ihr Leben lang als Nachschlage-Texte dienten. Als dann zu Beginn des 14. Jahrhunderts erschwingliches Papier zur Verfügung stand, wurden Bücher mit abgeschriebenen Texten üblicher. Als die Fähigkeit lesen und schreiben zu können im 14. und 15. Jahrhundert zunahm, begannen gelehrte Menschen darüber hinaus persönliches Material wie Familien-Urkunden, Berichte und Rezepte auf Papier aufzuzeichnen. Die Gelehrten Georges Duby und Philippe Braunstein berichten: »Ursprünglich wurden diese Aufzeichnungen auf Zetteln gemacht, Gedächtnishilfen, wie sie mit Nägeln befestigt oft auf Bildnissen von Händlern und Handwerken zu sehen sind.« Solche Zettel wurden später durch Notizbücher und Hauptbücher ersetzt, die Berichte enthielten, »Haushalts-Aufzeichnungen und persönliche Erinnerungen« G. Duby, P. Braunstein, »The Emergence of the Individual« in: A History of Private Life II: Revelations of the Medieval World, herausgegeben von G. Duby, trans. A. Goldhammer, 1988, S. 549-550., und die manchmal auch mit Teilen beklebt waren, um so die Idee zu verwirklichen, das eigene Ich mit Hilfe eines selbst erstellten Einklebebuches zu bewahren oder zu kreieren.
Der Boom im 19. Jahrhundert
Die Praxis, Geschriebenes durch eigenhändige Kopien aufzuzeichnen und festzuhalten, hielt im 18. Jahrhundert und bis ins 19. Jahrhundert an. Die Bücher mit diesen kopierten Texten waren als »Bücher der alltäglichen Dinge« bekannt. Diese Alltags-Bücher waren ein gängiger Aspekt bei der Erziehung von Kindern und wurden als notwendiges Mittel betrachtet, wie zum Beispiel als Erinnerungshilfen für Erzähler und Autoren. Doch während des ersten Viertels des 19. Jahrhunderts führte das Zusammentreffen verschiedener Entwicklungen langsam zum Erscheinen dessen, was wir Einklebebücher nennen (auch wenn die Alltags-Bücher weiterhin existierten). Diese Einklebebücher sahen anfangs sehr wie die Alltags-Bücher aus, doch am Ende des Jahrhunderts – eines Jahrhunderts, das das »goldene Zeitalter der Einklebebuch-Hersteller« R. DeCandido, »Scrapbooks, the Smiling Villains« (www.well.com/user/bronxbob/resume/54_7-93.html), orig. »Out of the Question«, in Conservation Administration News 53, 1993. genannt wurde – hatten Einklebebücher eine eigene Form angenommen.
Welche Entwicklungen führten zu diesem »goldenen Zeitalter«? Praktisch gesehen spielte die Industrielle Revolution eine Schlüsselrolle. Dadurch, dass das Drucken zu Beginn des 19. Jahrhunderts preiswerter wurde, gefolgt von der Möglichkeit, Bilder zusammen mit Text, sowie Bilder in Farbe (Mehrfarbensteindruck-Verfahren) drucken zu können und später noch durch die Fotografie und die Möglichkeit, Fotos auf Papier zu reproduzieren, erlebte das Jahrhundert eine wahre Druckexplosion. Diejenigen, die interessiert daran waren, Texte aufzubewahren, waren nun nicht länger darauf angewiesen, sie per Hand in ein Buch abschreiben zu müssen. Es war einfacher, Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften, die nicht teuer waren, auszuschneiden. Hinzu kam, dass es während dieser Jahre plötzlich so viele Veröffentlichungen mit interessanter Information gab, dass das Abschreiben per Hand zu zeitaufwendig gewesen wäre. Eine verwandte Entwicklung der Gewohnheit von Druckern, das übrig gebliebene Papier mit farbigen Bildern –Scraps – zu bedrucken, ließ eine neue Art, Einklebebücher zu führen, aus dem Boden sprießen: Sammlungen. Die Leute begannen, diese Stückchen wie auch andere neue kurzlebige Dinge, wie zum Beispiel Werbekarten, gedruckte Valentintags-Karten (auch eine Erfindung des 19. Jahrhunderts), persönliche Visitenkarten usw. zu sammeln.
Ein gleichzeitig auf tretender Trend des 19. Jahrhunderts – zumindest in den USA – trug ebenfalls etwas zur Beliebtheit von Einklebebüchern bei. Das 19. Jahrhundert war eine Zeit in der amerikanischen Geschichte, in der die eigene Vervollkommnung und intelligente Konversation hoch gepriesen wurden. Das Hauptmittel, an sich selbst zu arbeiten, war das Lesen. Wie schon mit den Alltags-Büchern nutzten die Menschen Einklebebücher, um ein Reservoir an interessanten Anekdoten und erzieherischen Texten als persönliche Referenz zu kreieren. Entsprechend, aus welchem Grund auch immer, wurden Einklebebücher zu einer Form, die persönliche Geschichte zu dokumentieren, Ankündigungen des Familienlebens aufzuzeichnen und den Gedanken und Träumen eines einzelnen durch eine Sammlung von Artikeln, Gedichten und Illustrationen nachzuspüren.
In der Mitte des Jahrhunderts spielte auch die Vermarktung eine Rolle bei der Entwicklung des Einklebebuch-Phänomens. In den 1850ern wurden Einklebebücher oft verschenkt, von den Schreibwarenhändlern spezifisch als »Einklebebuch« hergestellt. (Zuvor nutzten die Leute leere Schreibhefte, Hauptbücher oder Autografen-Alben als Einklebebücher. Manchmal klebte man Ausgeschnittenes über bereits bestehenden Text.) Einklebebücher wurden bald um ihrer selbst willen beworben durch beschreibende Literatur wie »Scrap-Books and How to Make Them« (Einklebebücher und wie man sie macht) von E. W. Gurley (1880), in dem den Lesern nahegelegt wird – um es mit den Worten des Untertitels zu sagen – wie »eine komplette und systematische Reihe von nützlichen Büchern« anzulegen sei. Gurley schrieb, dass Einklebebücher ein nützliches Hilfsmittel seien, um »schwatzhaftes Lesen zu vermeiden, um die Menschen zu ermutigen, über das Material, das auf dem Papier stünde, nachzudenken und aufmerksamer auf die Qualitäts-Merkmale zu achten.« R. E. Guest, Victorian Scrapbooks and the American Middle Class (Dissertation 1996), S. 22, zitiert wird E. W. Gurley, Scrap-Books and How to Make Them, 1880, S. 10. Gegen Ende des Jahrhunderts tauchten die ersten professionellen Zeitungsausschnittsdienste auf.
Verschiedene Arten von Einklebebüchern
Per Definition sind Einklebebücher schwierig zu kategorisieren. Jedes ist einzigartig. Jedes spiegelt die Gegenwart und Persönlichkeit seines Schöpfers wider. (Tatsächlich wurden Einklebebücher manchmal von mehr als nur einer Person zusammengestellt.) Einklebebücher des 19. Jahrhunderts konnten speziell vom Schreibwarenhändler hergestellte Bücher und Hauptbücher sein oder selbstgemachte, behelfsmäßig gefertigte Bücher, die von Bändern zusammengehalten wurden. Ihre Inhalte konnten von ausgeschnittenen Gedichten, Zeitungsnotizen und Zeitungsanekdoten bis hin zu Haarlocken, Einladungen, Eintrittskarten, Werbekarten und Unterschriften reichen. Zu der Schwierigkeit, Einklebebücher zu klassifizieren und zu interpretieren kommt hinzu, dass nicht viel über sie geschrieben worden ist. Einklebebücher stehen erst am Beginn der akademischen Aufmerksamkeit. Zum Zweck der Beschreibung werden jedoch in den folgenden Abschnitten eine handvoll Begriffe erörtert, die ein Gefühl der Vielfalt der Einklebebücher des 19. Jahrhunderts vermitteln, mit dem Hinweis, dass sich diese Arten oft überschneiden und dass ein Einklebebuch manchmal seinen Weg in mehrere Kategorien findet.
Die Form des Einklebebuchs aus dem 19. Jahrhundert, welche sich am leichtesten auf das heutige Führen eines solchen Buches übertragen lässt, ist das persönliche Einklebebuch mit Erinnerungen. Diese Bände beinhalten eine Bandbreite von Einträgen: einzelne, selbsterstellte Einträge wie Unterschriften, handgeschriebene Gedichte oder Prosa-Stückchen, Zeichnungen und Lehrsatz-Zeichnungen, wie auch Objekte mit emotionalen Assoziationen wie Ornamente, feine Handarbeiten, Haarlocken und Schmuck. M. Motz, »Visual Autobiography: Photograph Albums of Turn-of-the-Century Midwestern Women« in American Quarterly 41, 1989, S. 75. Die Gegenstände wurden auf eine Art ausgesucht und arrangiert, dass die Systematisierung Sinn aus der persönlichen Erfahrung bezog. Oftmals ergänzten handgeschriebene Kommentare die eingeklebten Gegenstände und wiesen auf ihre persönliche oder historische Bedeutung hin. A. Allen, J. Hoverstadt, The History of Printed Scraps, 1983, S. 16. Diese Bücher wurden geschaffen, um an Menschen oder Ereignisse zu erinnern und wurden Collagen von Erinnerungen und deren Bedeutung.
Unter anderem wurden im 19. Jahrhundert persönliche Erinnerungs-Einklebebücher als Ort des Trauerns um den Tod eines geliebten Menschen genutzt. Diese Bücher beinhalteten Todesund Begräbnisanzeigen, Nachrufe, persönliche Schriften über den Verstorbenen, Kondolenz-Notizen, Gebete, religiöse Gedichte, sentimentale Verse und nach dem Aufkommen der Fotografie auch Fotos jener, die verstorben waren. Fotografien und Bilder von verstorbenen Kindern und von den Trauernden, die um einen offenen Sarg versammelt waren, waren üblich. A. M. Pike, »In Memory Of: Artifacts Relating to Mourning in Nineteenth Century America«, in American Material Culture: The Shape of Things Around Us, herausgegeben von E. Mayo, 1984, S. 50; und K. Halttunen, Confidence Men and Painted Women: A Study of Middle Class Culture in America, 1982, S. 127.
Ein anderes Genre von Einklebebüchern im 19. Jahrhundert, das heutigen Lesern vertraut vorkommen mag, könnte als ein Sammelalbum beschrieben werden. Im Gegensatz zu den persönlichen Erinnerungs-Einklebebüchern, die das Bedürfnis befriedigten, einen persönlichen Gegenstand zu schaffen und eine individuelle Aufzeichnung zu hinterlassen, dienten diese Arten von Einklebebüchern dem Zweck des Sammelns. Es waren üblicherweise unbeschriftte Bücher, die der Besitzer mit den neuen massenproduzierten Papiererzeugnissen wie Zeitungsund Zeitschriftenausschnitten, Valentinstagsund andere Grußkarten, Einladungen und Programmen, Visitenkarten und mit farbigen Papierschnipseln füllte. Auch wenn solche Einwegartikel ebenfalls in persönliche Erinnerungs-Einklebebücher integriert wurden, so wurden sie hier zum Fokus solcher Sammlungen, zu Alben zusammengefügt, um bewahrt und gezeigt zu werden.