Das Interesse an religiösen Themen lag in dem gesamten Jahr 2005 und liegt auch heute höher als in den neunziger Jahren und noch am Beginn dieses Jahrzehnts. Die Über zeugung, dass der christliche Glaube ungebrochen aktuell ist, stieg Anfang 2005 auf 52% und hält sich seither auf diesem Niveau. Dies ist angesichts eines jahrzehntelangen Verfalls religiöser Bindungen mehr als bemerkenswert. Zwischen der Mitte der sechziger und siebziger Jahre verfielen die kirchlichen Bindungen und auch die religiöse Praxis wie Gotte sdie nstbe suche und Gebete in der Familie erdrutschartig. Besonders wirkte sich die wachsende Kluft zwischen den Generationen aus: die jungen Leute lösten sich weitaus rascher aus der religiösen Verankerung; Religiosität und kirchliche Bindungen wurden zunehmend zum Merkmal einer Alterskultur.
Mit der deutschen Einheit verschärfte sich die Lage. Die jahrzehntelange Stigmatisierung kirchlicher und religiöser Bindungen in der DDR machte die Mitgliedschaft in einer Konfessionsgemeinschaft in Ostdeutschland zum Minderheitenphänomen. Während im Westen noch rund 75% der erwachsenen Bevölkerung einer Kirche angehören, liegt dieser Anteil im Osten bei 28%. 55% der westdeutschen, 22% der ostdeutschen Bevölkerung beschreiben sich als religiös. Die Selbstverständlichkeit, mit der viele Westdeutsche ihrer Konfessionsgemeinschaft angehörten, auch wenn ihre religiösen Bindungen schwach waren, ist spätestens seit 1990 in Frage gestellt.
In sbe sondere die Distanzierung der Jüngeren in den siebziger und achtziger Jahren war ein Menetekel für die Kirchen, verminderten sich damit doch drastisch die Chancen, dass diese Generation ihre Kinder religiös erziehen würde. Zwar blieb die Mehrheit überzeugt, dass eine religiöse Erziehung von Kindern wünschenswert ist; die Neigung und auch Befähigung, diese Erziehung persönlich zu erbringen und eine religiöse Orientierung auch vorzuleben, schwanden jedoch zusehends.
Der Kreis, der sich als religiös einstuft, liegt etwa seit 1995 stabil bei knapp 50% der Bevölkerung. Der Kreis, für den die Religion große Bedeutung hat, der aus dem Glauben Kraft, auch Trost zeiht, hat sich seither langsam, aber stetig von 35 auf 42% erhöht. Zugleich haben sich das Interesse an religiösen Themen wie auch die Überzeugung verstärkt, dass die Kirchen auch in der modernen Gesellschaft wichtig sind. So hat sich der Anteil der Bevölkerung mit ausgeprägtem Interesse an religiösen Fragen seit etwa 1995 von 24 auf 33% erhöht, derjenige der Desinteressierten von 32 auf 24% vermindert.
Das Interesse an religiösen Fragen wie die Bindung an die Kirche sind in allen Altersgruppen gestiegen, ... Völlig unerwartet sind gerade bei den Jüngeren die Einstellungen in Bewegung geraten. Der Anteil, der aus den Glaubensüberzeugungen Kraft zieht, hat sich seit Mitte der neunziger Jahre in der Altersgruppe zwischen 16 und 29 Jahren von 18 auf 26% erhöht, bei jenen zwischen 30 und 44 Jahren von 27 auf 34%.
Die Bindungen an die Kirchen haben zugenommen, überdurchschnittlich vor allem in der Altersgruppe zwischen 30 und 44 Jahren. Auf der Suche nach Orientierung wenden Sich viele fragend Religion und Kirche zu. Die Frage ist, ob die Kirchen überhaupt gerüstet sind, die neue Offenheit der Gesellschaft zu erkennen und aufzunehmen.
Nur die aktiv beteiligte Minderheit erlebt in der Kirche ein Gefühl von Gemeinschaft, eine andere Art des Umgangs miteinander, Anregungen, eine Auseinandersetzung mit Sinnfragen, Gottesdienste. Nur 26% fühlen sich dagegen von Gottesdiensten angesprochen, 18% verbinden mit der Kirche die Möglichkeit, den Glauben in Gemeinschaft zu erleben, 23% empfinden die Kirche als eine Gemeinschaft, in der Menschen anders miteinander umgehen.
Natürlich ist es heute ungleich schwieriger, eine lebendige, anziehende religiöse Gemeinschaft sicherzustellen. In dem Umfeld der multioptionalen Gesellschaft mit ihrem Angebot an Informationen, Unterhaltung und Abwechslung fällt es schwer, die Zeitre servate zu verteidigen, in denen Menschen zur Ruhe kommen, nachdenken und sich Sinnfragen widmen. Ob es gelingt, die neue Offenheit der Gesellschaft für religiöse Fragen in eine dauerhafte Stärkung der religiösen Kultur zu überführen, davon hängt die weitere Entwicklung der Kirchen, aber auch der Gesellschaft ab.
So sind religiös gebundene junge Menschen unter 30 Jahren weitaus mehr als Gleichaltrige ohne religiöse Bindung darauf ausgerichtet, sich mit Sinnfragen auseinanderzusetzen, andere Menschen zu unterstützen, Kinder zu haben, im weitesten Sinn Verantwortung zu übernehmen und die eigenen Fähigkeiten und Begabungen zu entfalten. Eine Stärkung oder Schwächung der Religion verändert die Werte und das Klima einer Gesellschaft.
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