Die Einklebebücher von Mary Baker Eddy waren Teil eines Phänomens des 19. Jahrhunderts, doch erst vor kurzem begann man, den geschichtlichen Wert dieser Einklebebücher zu würdigen, weil sie einzigartige Information über Menschen, Zeiten und Orte beinhalten.
Ein sehr beliebtes Sammlerstück war die Visitenkarte – Werbekarten, die normalerweise ein gedrucktes farbiges Bild sowie den Namen und die Adresse des Werbenden beinhaltete. Solche Karten wurden bei jedem Geschäft vergeben. Fabrikanten verteilten Werbekarten in ihren Produkt-Paketen, beim Verkauf an der Haustür und per Post. Nationale Ausstellungen und lokale Messen waren beliebte Absatzmärkte für diese Werbungen und es wurden buchstäblich Millionen ver teilt. D. A. Smith, »Consuming Passions: Scrapbooks and American Play«, in Ephemera Journal 16,1993, S. 65.
Einklebebücher zu erstellen im besonderen diese Arten von Einklebebüchern aus Resten, wie auch die in Leinen gebundenen wurde von den Experten für Pädagogik und Erziehung des 19. Jahrhunderts aus vielen Gründen gutgeheißen. Einklebebücher wurden als etwas betrachtet, das die künstlerischen Werte von Kindern, ihre Ordentlichkeit, Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit für genaue und organisatorische Fertigkeiten förderte. Sie waren preiswert, einfach zu erstellen und konnten wertvolle Quellen für Information über jedes Thema sein – geschichtlich, wissenschaftlich, künstlerisch oder biographisch. J. E. Ruutz-Rees, Home Occupations, 1883, S.100. Lehrer konnten Informationen über ihre Themen als Quellen oder Lehrbücher für ihre Schüler in Einklebebüchern zusammenfassen.
Dieses Genre von Einklebebüchern verzweigt sich in zwei spezialisierte, nah verwandte Kategorien: in den »Subjekt«-Typ und den» Historik«-Typ von Einklebebüchern. Was Historiker manchmal Subjekt-Einklebebücher nennen sind jene, die geschaffen wurden, um sich mit einzelnen Themen zu befassen, oder die mit einer speziellen Art von Material zusammengestellt wurden – z.B. Bücher, die sich auf eine bestimmte Person Konzentrieren, auf unheil oder ein Objekt wie Vogelfedern. Ein besonders beliebtes Subjekt für Sammler war das Theater. Diese Einklebebücher, die in fast jeder Sondersammlung einer Bibliothek enthalten sind, können ein einfaches Format haben und für die Sammlung von Plakaten, Fotografien, Zeichnungen oder Kontrollabschnitten bestimmt sein, oder sie können sich auf einen einzelnen Star konzentrieren, auf ein Theater, eine Gruppe oder auf ein Genre. Einklebebücher mit Geschichtlichem oder solche über Ereignisse können sich auf etwas beziehen wie das »Große Feuer in Chicago 1871« oder auf Zeitungsausschnitte, Briefe, Orden eines Bürgerkriegs-Regimentes oder auf eine wichtige Begebenheit wie den gemeinsamen Bau einer Gemeinde-Kirche oder auf die »World's Columbian« Ausstellung (Weltausstellungvon 1893 in Chicago).
Patrica Prandini Buckler ist Lehrbeauftragte für Englisch und Leiterin des Fachbereichs für Dichtung an der Purdue University North Central in Westville, Indiana, USA. Ihr Interesse an Einklebebüchern richtet sich auf deren Funktion als eine Form von Dichtung, die zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit oder Autobiografie benutzt wird. Sie Ist mit Susan Tucker und Katherine Ott Mitherausgeberin eines Buchs über Einklebebücher, das 2004 von der Smithsonian Institution herausgegeben wurde.
Ein Ernsthafter Zeitvertreib
Obwohl viele Ratgeberbücher des späten 19. Jahrhunderts betonen, wie wichtig es sei, Einklebebücher für Kinder herzustellen, wurden diese von Menschen jeglichen Alters gesammelt und zusammengetragen – und oftmals nahmen sie ihre Einklebebücher sehr ernst. Präsident Thomas Jefferson hatte Einklebebücher wie auch die Präsidenten Rutherford B. Hayes und James Garfield und noch andere. C. F. Adams, »Great Scrap-Book Makers, in Harpers young People 9, r. 469,1888, S. 894. Tatsächlich befinden sich unter den Papieren der meisten Bibliotheken und Archive Einklebebücher, die dort aufbewahrt werden. Die Schwiegermutter des Landschaftsmalers Frederick Church (1826-1900), Emma Osgood Carnes, erwähnt ihr Einklebebuch-Hobby in ihrem Tagebuch. Sie führt Exkursionen an, bei denen sie nach New York Cityfuhr, um Geschäftskarten zu finden und beschreibt ihre Tätigkeit mit »Sortieren, Kleben und Durchsehen der Einklebebücher manchmal ganze Tage lang.« D. A. Smith, Consuming Passions«. S. 66. Für Carnes war ihr Einklebebuch deutlich ein ernsthafter Zeitvertreib.
In den letzten Jahren betrachtete man das Führen von Einklebebüchern als eine Aktivität von Frauen, und Einklebebücher sind hauptsächlich für Frauen vermarktet worden. Doch im 19. Jahrhundert gab es auch Männer, die aktiv und mit viel Energie Einklebebücher schufen. Katherine Ott, einer Kuratorin des National Museum of American History, und Susan Tucker, Kuratorin des Tulane University's Newcomb Center, zufolge »schwindet die Geschlechter lücke« in dieses Kategorie, wenn »Laborbücher, Hauptbücher und weitere professionelle Formen der Sammelarbeit einbezogen werden«. K. Ott, S. Tucker, aus einem bis zum Ent ste hen dieses Artikels unveröffentlichten Manuskript (2003). Viele Männer verbrachten ihr Leben damit, historische informationen in Einklebebüchern zusammenzutragen. Beispielsweise sammelte Charles A. Poulsen (1789-1866) im 19. Jahrhundert jedes Stückchen und jeden Zeitungsabschnitt über Philadelphia, den er finden konnte. Bei seinem Tod übertrug er seine mehrbändige Sammlung der städtischen Bibliotheks-Gesellschaft. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert legten Ärzte Einklebebücher als Unterstützung ihrer praktischen Tätigkeit an, um so ihre Position innerhalb einer größeren Gemeinschaft von praktischen Ärzten klar definieren zu können. K. Ott, S. Tucker, aus einem bis zum Entstehen die se s Artikels unveröffentlicheten Manuskript(2003). Der weiße Sklavereigegner Theodore Weld (1803-1895) trug Ausschnitte von Tausenden und Abertausenden Zeitungen der Südstaaten« zusammen, die die Grausamkeit der Sklaverei aufdeckten. Weld's Sammlung wurde 1839 veröffentlicht unter dem Titel »Amerikanische Sklaverei wie sie ist: Zeugenaussagen Tausender Zeitzeugen« (American Slavery As It Is: A Testimony of a Thousand Witnesses). S. Tucker, »Manifesting Duality: Two African American Memory Books«, unveröffentlichtes Manuskript (2003). Entsprechend stellte der schwarze Historiker William Dorsey (1837-1920) aus Philadelphia zwischen 1870 und 1906 mehr als 300 Einklebebücher zusammen, von denen 140 Afro-Amerikanern gewidmet waren. Diese hatten einen bedeutsamen kulturellen Nutzen: Die Afroamerikanische Gemeinschaft nutzte die Sammlungen von Dorsey und anderen, um »ihre Geschichte zu kennen«. Der Afroamerikanische Führer W.E.B. DuBois (1868-1963) schuf gleichfalls Foto-Alben für »Die Ausstellung von amerikanischen Negern« (The Exhibt of American Negroes), die bei der Weltausstellung 1900 in Paris gezeigt wurden. Die Einklebebücher waren dazu gedacht, Afroamerikaner dar zustellen als »sich nicht unterscheidend von Weißen in Bezug auf Religion, Politik, Sprache und tägliches Leben, doch auch als Mitglieder einer anderen, gewaltigen historischen Rasse«. S. Tucker, »Manifesting Duality«.
Historischer und autobiografischer Wert
Viele jener, die im 19. Jahrhundert Einklebebücher führten, waren sich der historischen Natur ihrer Kompositionen sehr bewusst. Ein charakteristischer Ausdruck dieser Sensibilität taucht vorne in einem Alltags-Buch aus den 1830ern auf:
»Dieses Buch ... ist ein ... Symbol der Geschichte unseres Denkens. ... In der mysteriösen Anordnung der Vorsehung werden wir alle zu Subjekten gegenseitigen Einflusses gemacht. Wir nehmen die Gestalten, Farben und Moden der kleinen Welt um uns auf. Wir werden zum sehr abstrakten und kurzen Bild der Meinungen, Geschmäcker und Prinzipien jener, unter denen wir leben – wir sind wie Spiegel, die die Gesellschaft widerspiegeln, in der wir uns befinden«. Branch W.H.Branch, Commonplace Book, 1832-1877. Branch Family Papers, Manuskript-Abteilung, University of North Carolina, Chapel Hill, N.C.
Zusätzlich zu der Möglichkeit, die Geschichte des alltäglichen Lebens im 19. Jahrhundert festzuhalten, gaben Einklebebücher Mädchen und Frauen die Möglichkeit, zu artikulieren, wer sie in einer Gesellschaft waren, die die Stimmen von Frauen nicht privilegierte. Sie konnten nachfolgenden Generationen ein Zeugnis von sich hinterlassen und sie waren sich vollauf bewusst, dass kaum ein anderer Beweis ihres alltäglichen Lebens sie überdauern würde. Ein eindrucksvolles Beispiel kann in dem Einklebebuch mehrerer Generationen von Frauen aus einer Familie aus Georgia gefunden werden, die ansonsten für ihre männlichen Familienmitglieder bekannt ist. Das Einklebebuch gehörte zuerst Julia Blanche Munroe Kell, die mit John Mclntosh Kell verheiratet war, einem berühmten Helden der U.S. Army und später er Südstaaten-Marine und der schließlich von 1887 bis 1900 Generaladjutant von Georgia war. Julia Kell erhielt 1852 das Einklebebuch als Weihnachtsgeschenk von ihrer Mutter mit folgender Widmung: »Wenn die Gegenwart in die Vergangenheit vergeht, wird dieses Buch das Bild der Freunde ins Gedächtnis bringen, die ihre Namen auf diese Seiten eintragen.« Eine andere mit 1907 datierte Widmung von Julia Kell selbst reicht das Einklebebuch an ihre Enkelin Blanche Munroe Nisbet weiter. Doch Julia Kell gab sich nicht damit zufrieden, das Buch einfach weiterzugeben. Wohl überlegt ordnete sie ihr Leben zugunsten ihrer Enkelin neu an, was im ganzen Band anhand ihrer handgeschriebenen Erläuterungen, Zusätze und Verbesserungen gesehen werden kann. Einige andere Anmerkungen sind mit »T.K.N.« versehen, wahrscheinlich hinzugefügt von Blanches Mutter, Tabitha Kell Nisbet. So beteiligten sich vier Generationen von Frauen aus dieser Familie aus Georgia an der Schöpfung und Weiterführung ihrer individuellen sowie familiären Geschichten. J.B. (Munroe) Kell, Album, 1853-1855, M2012. Abteilung fur Sondersammlungen, Duke University Bibliothek, Durtham, N.C.
Dieses Einklebebuch ist von besonderem Interesse, weil es den Wert verdeutlicht, den Einklebebücher für Historiker darstellen. Während die meisten nicht dafür gedacht waren, die Geschichte einer Familie oder eines Einzelnen so bewusst zu präsentieren wie die von Blanche Munroe Nisbets Familie, so dokumentieren Einklebebücher doch oft das Leben wie sonst nirgends – auf eine Art und Weise, wie sie sonst nirgends dokumentiert wird. Das Einklebebuch enthüllt ein Individuum in der Gesellschaft und gibt Historikern ein Hilfsmittel, das einem Tagebuch oder einer Korrespondenz-Sammlung ähnlich, jedoch oftmals reichhaltiger ist als diese. Vor Jahren gaben Einklebebücher dem Leben ihrer Schöpfer Bedeutung; heute helfen sie Historikern weiter, dieses Leben zu verstehen. Somit nahm Mary Baker Eddy, als sie persönliche Gegenstände und Ausschnitte in ihre Einklebebücher heftete, an einem beliebten Zeitvertreib teil, den sie mit Menschen aller Altersstufen, Geschlechter, Klassen und Beschäftigungen gemein hatte. Indem sie Stückchen und Teile ihres täglichen Lebens aufbewahrte und aufzeichnete, formte sie eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft und schuf ein Sinnbild sowohl für ihre persönliche Geschichte wie auch für die Geschichte ihrer Zeit. Ihree Arbeit und die von tausenden Anderen, die über die Jahrhunderte Einklebebücher führten, bereichern uns weiterhin mit Wissen über uns und über die menschliche Geschichte.
Hinweis: Sollten Sie die Geschichte der Einklebebucher von Mary Baker Eddy interessant finden, empfehlen wir Ihnen den 8 eitrag der Mary Baker Eddy ßibliothek im Herold November 2005.
