„Vollkommen rein, in Schönheit unvergleichbar, Dein makelloses Licht lass unser sein; Die pflicht der Widerspiegelung wir erkennen: Die Herrlichkeit von Herz zu Herzen schein'.“
So steht es in dem Lied Nr. 345 (Liederbuch der Christlichen Wissenschaft) und ich fragte mich: „Was bedeutet das, eine pflicht zur Widerspiegelung zu haben?" Wer bin ich und was spiegele ich wider?
In der Christlichen Wissenschaft hatte ich gelernt, dass der Mensch das Spiegelbild Gottes ist. Um also herauszufinden, was ich widerspiegeln soll, musste ich Gott kennenlernen.
In der Bibel sagt Gott zu Moses: „Ich bin der ICH BIN" (übersetzt aus der englischen king James Bibel).
Bedeutete das dann, dass ich jedes Mal, wenn ich „Ich bin" sage, eigentlich von Gott spreche?
Was für ein Anspruch! Mein wahres Selbst wäre also ein göttliches Selbst. Und nicht nur meines, sondern das aller Menschen, denn wir alle reden von uns als „Ich bin ...".
In der Bibel, im Ersten Buch Mose, steht auch „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde." Und: „Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ (1. Mose 1:27, 31) Der Mensch ist also nicht nur Schöpfung Gottes, er ist auch sehr gut.
Um also mehr über den Menschen herauszufinden, um das Wesen des Menschen besser Kennen zu lernen, musste ich mich damit befassen, wer oder was Gott ist.
In dem Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, in dem Mary Baker Eddy ihre Entdeckung beschreibt, die sie auf Deutsch Christliche Wissenschaft nennt, gibt sie uns eine Erklärung für Gott: „Gott ist Gemüt, Geist, Seele, Prinzip, Leben, Wahrheit, Liebe, die unkörperlich, göttlich, allerhaben und unendlich sind.“ (S. 465)
Um diese Begriffe, diese Synonyme für Gott, besser zu verstehen, musste ich ihre Attribute kennen lernen, die sie genauer beschreiben.
Für „Gemüt“ fand ich Bewusstsein, Dasein, Bewegung, Harmonie; für „Geist“ Unendlichkeit, Unangreifbarkeit, Unkörperlichkeit, Intelligenz; für „Seele“ den geistigen Sinn, ein Gottes-Bewusstsein, Reinheit; für „Prinzip“ Substanz, die Grundlage aller Dinge, geistiges Gesetz; für „Leben“ Gesundheit, Unsterblichkeit, Aktivität, Entwicklungsfähigkeit; für „Wahrheit" Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit, Frieden, Freiheit; für „Liebe“ Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit. (Und es gibt noch viel mehr zu entdecken — versuchen Sie es doch selbst einmal!)
Im klassenunterricht (einem zwölftägigem Kurs intensiven Grundlagenstudiums bei einem Lehrer der Christlichen Wissenschaft) hatte ich gelernt, alle diese Bestandteile in Eigenschaften zu zerlegen, die ich dann dem Menschen zuordnen konnte.
Weil der Mensch Gemüt widerspiegelt, ist er denkfähig, kann er sich erinnern, sich entscheiden.
Weil er Geist widerspiegelt, ist er intelligent und unkörperlich.
Weil er Seele widerspiegelt, hat er einen geistigen Sinn und ist rein.
Weil er Prinzip widerspiegelt, ist er vollkommen.
Weil er Leben widerspiegelt, ist er lebendig und gesund.
Weil er Wahrheit widerspiegelt, ist er gerecht und friedlich.
Weil er Liebe widerspiegelt, ist er freundlich und hilfsbereit. (Und auch hier können Sie noch viel, viel mehr hinzufügen, was Ihnen wichtig ist!)
Ich erkannte, dass eine Pflicht zu haben, bedeutet eine Aufgabe zu erfüllen.
In der Bibel fand ich die Geschichte von dem Mann, der von einem unreinen Geist verlassen wurde. Aber als der Geist lange umhergestreift war, ging er zurück zu dem Haus und fand es gekehrt und geschmückt. Da ging er hinein und brachte noch sieben andere Geister mit und es war ärger als zuvor. (Lk 11:24-26)
Ich musste lange über diese Geschichte nachdenken. Wie war es dem Geist möglich zurückzukehren, wenn der Mann doch das Haus sauber gemacht, gekehrt, hatte? Da wurde mir Folgendes bewusst: dass der Mann das Haus gekehrt hatte, dass es leer und geschmückt war, bedeutete für mich, dass er sagte: „Schaut her, wie toll ich bin und was für ein tolles Haus ich habe!" Aber er hatte etwas vergessen. Er hatte vergessen, das Haus zu füllen — es mit Sinn zu erfüllen. Man könnte auch sagen, er hatte vergessen, das Haus mit guten und wahren Eigenschaften zu füllen und sie dankbar und freudig zu nutzen. Ja, er hatte die „Pflicht der Widerspiegelung" nicht erfüllt.
Wie wichtig es ist, unser Denken wieder aufzufüllen, wenn ich etwas Schlechtes, Unschönes, Unpassendes entfernen will, erlebe ich auch immer wieder bei meiner Arbeit mit kindern. Wenn ich ihnen ein Spielzeug wegnehme, weil es noch zu gefährlich für sie ist, muss ich ihnen ein anderes dafür geben, und sie sind zufrieden. Als ich kürzlich mit meinen Kindern spazieren ging, hörte ich plötzlich aus dem Munde eines Dreijährigen, der gerade in den Kindergarten gekommen war, ein sehr unschönes Schimpfwort, das sofort von seinem zweijährigen Spielkameraden aufgegriffen und nachgeplappert wurde. Obwohl ich normalerweise diese Worte einfach überhöre, wusste ich in dem Moment: ich musste handeln und mir musste schnell etwas einfallen. Und so war es auch. Mir kam ein hilfreicher, ein Engelsgedanke, und ich sagte: „Dieses Wort ist nicht besonders schön! Das müssen wir nicht unbedingt benutzen. Ich weiß viel schönere Worte, z. B. Sternenlicht und Sonnenlicht, Sommerkäfer ...“ und als Antwort kam: „Winterkäfer!“ Und es ging weiter mit „Sommerrodelbahn und ...“ „Winterrodelbahn!“ Und so fielen uns noch viele andere schöne Worte ein. Im Nachhinein wurde mir erst bewusst, dass ich intuitiv, oder genauer von Gemüt oder Gott geführt, das Richtige getan habe: nämlich das Falsche entfernt und mit Richtigem aufgefüllt.
Das “schlechte” Wort habe ich seitdem nicht wieder gehört.
Ich war meiner pflicht Gott zu dienen, mich voll und ganz auf Ihn zu verlassen, gerecht geworden und hatte damit Erfolg.
Ist es nun schwer, Gott widerzuspiegeln?
Als ich einmal mit einer Sonntagsschülerin darüber sprach, was Widerspiegelung bedeutet, stellten wir uns vor, was wir sehen, wenn wir vor dem Spiegel stehen. Und ich meinte: „Wenn Du in den Spiegel siehst, kann im Spiegel auf Deiner Backe kein Fleck sein, der nicht auch auf Deiner Backe ist.“ Zur Antwort bekam ich: „Nur wenn ein Fleck auf dem Spiegel ist.“ „Ein Fleck auf dem Spiegel? Na, den kann ich ja mühelos wegwischen!" Das Licht, das auf den Spiegel fällt, wird einfach ohne große Schwierigkeit reflektiert. Und Licht lässt alles erstrahlen.
Salomo schreibt im Buch Prediger (12:13): „Fürchte Gott und halte seine Gebote: denn dies ist die ganze pflicht des Menschen" (nach der englischen King James Bibel). Und Mary Baker Eddy schreibt dazu: „Lasst uns die Schlussfolgerung der ganzen Sache hören: Liebe Gott und halte Seine Gebote, denn das ist der ganze Mensch in Seinem Bild und Gleichnis.“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 340)
Die pflicht der Widerspiegelung wird dadurch zur selbstverständlichen Ausdrucksweise des Menschen. Und alles, was ich in mir und in anderen Menschen an Falschem sehe, an krankheit, Fehlern oder Sünde, ist nur ein Fleck auf dem Spiegel, den ich wegwischen kann, um dadurch das wahre Bild der Widerspiegelung zu sehen, denn Gott schuf den Menschen zu Seiner Freude und zur Freude des Menschen, um sich an den guten Eigenschaften seines Nächsten zu erfreuen und dadurch selber zu erstrahlen.
