Ein Gefängnis ist etwas, wo man alleine nicht mehr herauskommt, wenn man zu Unrecht dort sitzt — bis das Recht ans Licht kommt.
Paulus und Silas waren Gefangene, völlig zu Unrecht. Die Römer hatten sie in Philippi gefangen, geschlagen, eingesperrt und dem Aufseher befohlen, sie gut zu bewachen. (Siehe Apostelgeschichte 16) Dieser warf sie in den innersten Teil des Gefängnisses und legte ihre Füße in den Block. Nichts schien mehr zu gehen. Ganz allein und im Dunkeln.
Was für ein schreckliches Bild!
Aber was geschah? War das das Ende? Siegte das Unrecht? Übermannte sie Verzweiflung, Selbstmitleid, Schmerz oder Hunger? Drohte der Tod? Oder noch schlimmer: Sollte ihre Mission, der Welt die heilende Botschaft des Christus zu bringen, zerstört und verloren sein? Gab es noch einen Ausweg, eine Rettung für sie und eine Zukunft für ihre Botschaft?
Freunde waren keine da. Umgeben waren sie von Feinden voller Unglauben und Hass. Gewalttätig waren sie, getrieben von krassem Egoismus und blinder Willenskraft. Das eigene Wohl stand ihnen im Mittelpunkt. Geld war ihnen verloren gegangen durch Paulus und Silas. Diese hatten die arme Frau geheilt, die völlig verwirrt war, die — wie sie sagten — einen Wahrsagegeist gehabt hatte. Ihre Herren hatten viel Geld mit ihr verdient, aber das war nun vorbei. Darum waren Paulus und Silas im Gefängnis.
Aber was taten die beiden? „Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott“ (ebd.). Sie beteten und lobten! „Die Macht Gottes bringt den Gefangenen Befreiung. Keine Macht kann der göttlichen Liebe widerstehen.“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 224) Sie lebten ihre Mission, den Menschen den Christus zu zeigen, auf die immerverfügbare Allmacht und Gegenwart der Liebe hinzuweisen. Für sie war es nicht das Ende, sondern eine Gelegenheit, zu beweisen, was sie glaubten und verstanden. Mary Baker Eddy erklärt dieses Verständnis im erwähnten Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, indem sie Folgendes so deutlich sagt: „Menschlicher Hass hat keine gesetzmäßige Vollmacht und kein Reich. Die Liebe herrscht.” (S. 454)
„Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, so dass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab.“ (Apostelgeschichte 16) Sie waren frei. Aber sie sind nicht weggelaufen, sondern haben sich um den Aufseher gekümmert, der sich aus Verzweiflung über sein Versagen selbst töten wollte. Sie vergaben ihm und das befähigte den Mann zu glauben. Welche Kraft liegt im Vergeben! Liebe hatte auf der ganzen Linie gesiegt. Liebe, Gebet, Dank und Lob hat den Bann gebrochen, die gedankliche Fessel der Menschheit, die Böses wirklich erscheinen lässt.
Fühlen wir uns nicht auch oft wie Gefangene, Gefangene der Vorstellung, von Gott getrennt zu sein, umgeben vom Bösen, ohne Freunde, ohne Perspektive, gefesselt vom Gefühl, Unrecht sei wirklich und sehr mächtig? Also, ich hab mich schon recht oft so gefühlt. Wut und Ärger hüllten mich dann noch gänzlich in Finsternis und Furcht, wie Füße im Block, machten jedes Handeln unmöglich.
Aber ich muss auch sagen, dass dieses Gefängnisgefühl, dieses Nicht-mehr-weglaufen-Können, mich auch bereit gemacht hat — bereit, in Gebet, Lob und Dank an Gott die Wahrheit zu empfangen, die ich „draußen” nicht so beachtet und erkannt hätte. In der Abgeschiedenheit des Gebetes erkennen wir den Menschen als die Widerspiegelung des göttlichen Gemüts, die alle Intelligenz zum Ausdruck bringt. Sie befähigt ihn, den Glauben an ein von Gott getrenntes Sein, den Glauben an die Materie und den Glauben an das Böse zu durchschauen, ihn als listige Täuschung zu erkennen. Dieses mutige Aufdecken erschüttert die alten Grundmauern sterblichen Denkens und unter innerem Beben öffnen sich schließlich die Gedanken hin zur Tatsache, dass Gott, Geist, das Gute alles, wirklich alles ist und dass der Mensch, als Seine Idee, untrennbar eins mit Ihm ist. Auch der hartnäckige Glaube an die Materie fällt unter Lob und Dank schließlich zusammen. Bilder von krassem Materialismus, Hass und Neid, alle Dunkelheit weichen vor dem Licht geistigen Verständnisses. „Wahrheit bringt die Elemente der Freiheit. Auf ihrem Banner steht das seeleninspirierte Motto, Die Sklaverei ist aufgehoben.’“ Und etwas weiter sagt Mrs. Eddy: „Alle Menschen sollten frei sein.“ (WuG, S. 224; 227) Wirklich alle! Bei Paulus und Silas wurde auch der Aufseher frei, frei vom Unglauben, von Hass. Er ließ sich taufen; er gab seine alten Vorstellungen auf und war frei zu glauben.
In der Abgeschiedenheit des Gebetes erkennen wir den Menschen als die Widerspiegelung des göttlichen Gemüts, die alle Intelligenz zum Ausdruck bringt.
„Die Menschheit muss lernen, dass das Böse keine Macht ist. Sein so genannter Despotismus ist nur eine Phase des Nichts.“ (ebd. S. 102) In dem Maße, wie wir willig sind, dies anzuerkennen und unsere dafür so wichtigen Erfahrungen zu machen — und sei es auch durch „Gefängniszeiten“ oder gerade in ihnen —, werden wir auch erleben, was Paulus im Brief an die Epheser auch zu uns sagt: „Er ist aufgefahren zur Höhe und hat das Gefängnis gefangen geführt.“ (Kapitel 4)
