Editorials
Jesus richtete seine dreimalige Frage: „Hast du mich lieb?” an einen Jünger, der sich bei aller Treue und Ergebenheit doch als sehr impulsiv und unzuverlässig erwiesen hatte. Ferner betonte der Meister das für alle Zeiten und alle ausgesprochenen Christen geltende göttliche Erfordernis, daß die Liebe echt sein muß, daß Wahrheit keinen falschen Schein dulden kann; daß die Opfergabe, so gering sie auch sein möge, nickt schadhaft oder entstellt sein darf.
Als die Verfasserin dieses Artikels vor einiger Zeit mit den Schülern einer Sonntagsschule über die Gebote sprach, warf sie die Frage auf, welchen praktischen Wert Gottes Gesetz überhaupt habe, wenn es nicht befolgt wird. Es ist ganz selbstverständlich, daß Gottes Gesetze hier in diesem Leben in Kraft treten müssen und daß das Bestreben, jedem gerechten Gesetz zu gehorchen, zu größerer Freiheit führt und nicht zu Beschränkung, wie so viele zu glauben geneigt sind.
Die Christian Science lehrt unzweideutig, daß Sünde, Krankheit und Tod nur verschiedene Erscheinungsformen des einen Übels sind, gegen welches sich die Anhänger dieser Lehre verpflichtet haben; daß sich die Menschheit diesen angeblichen Zerstörern des Frieden und des Glücks nicht unterwerfen, sondern sie bekämpfen soll, bis sie dieselben völlig überwunden hat; daß dieser Sieg nicht mit materiellen Waffen zu erkämpfen ist, sondern durch geistige Mittel, durch folgerichtiges und beharrliches Festhalten an der Wahrheit von Gottes Allmacht, sowie durch kräftiges Verneinen aller Ansprüche des Übels auf Stellung und Macht. Angesichts der menschlichen Annahmen über Leben und Tod, Gutes und Böses, die in all den Jahrhunderten des sterblichen Daseins entstanden sind, ist es wohl kaum zu verwundern, daß die Welt die hierauf bezüglichen Lehren der Christian Science bekämpft hat.
Es ist heutzutage ebenso schwer die Gegensätze, die bisweilen zwischen Glaubensgenossen in der Familie, im Geschäft, in der Gesellschaft oder Kirche bestehen, mit ihrem Glaubensbekenntnis in Übereinstimmung zu bringen, als es für den Apostel, Johannes gewesen sein muß, da er in seiner ersten Epistel den scharfen Verweis erteilte: „So jemand spricht, ich liebe Gott, und hasset seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebet, den er siehet, wie kann er Gott lieben, den er nicht siehet?” Selbst in den Tagen der Kinder Israel wurden die Menschen dazu angehalten einander zu lieben.
Gegen Ende seiner irdischen Tätigkeit gab Jesus allen, die ihm Gehör schenkten, ob Freund oder Feind, einige seiner bedeutsamsten und weitreichendsten Unterweisungen. Die meisten dieser Reden hielt er wohl innerhalb des Tempelbezirkes, wo er auch die Lahmen und Blinden heilte.
Jedermann meiß, daß alle Falsche wertlos ist, eine Täuschung und ein Fallstrick, und daß das Festhalten an dem Falschen unweigerlich zu sittlichem Verfall und traurigen Zuständen führt. Ferner werden die meisten Menschen zugeben, daß selbst die scheinbare Macht und Wirksamkeit eines Irrtums vollständig dem Umstand zuzuschreiben ist, daß er als Echtheit verkleidet einherschreitet, weil seine Opfer ja zurückschrecken würden, wenn er im eignen Gewände erschiene und wenn sein wahres Wesen erkannt würde.
Auf Seite 392 von „Science and Health“ schreibt Mrs. Eddy: „Stehet Wache an der Tür des Denkens”.
Es ist nicht zu verwundern, daß der Lieblingsjünger Jesu drei Jahre lang, nachdem er alles verlassen und sein Amt als Menschenfischer angetreten hatte, des Meisters innigster Freund und Vertrauter gewesen war — daß dieser Jünger uns in seinem Evangelium und in seinen Episteln mehr als die andern Jünger von der unendlichen Liebe und Güte erzählen konnte, deren Zeuge er gewesen war und die er an sich erfahren hatte. Er, dem es vergönnt gewesen war, bei dem letzten Mahl an des Meisters Brust zu liegen, er, der erklärt hatte: „Gott ist Liebe”, er, der wußte, mit welch tiefer und allumfassender Liebe Jesu Jünger gesegnet worden waren (man denke an Jesu Worte: „Gleichwie mich mein Vater liebet, also liebe Ich euch auch”)— er war es, der uns das folgende neue Gebot des Meisters gab, welches dessen Abschiedsworte an seine Nachfolger bildete, ehe er zur höchsten Demonstration seiner Liebe schritt: „Daß ihr euch untereinander liebet, wie ich euch geliebet habe, auf daß auch ihr einander lieb habet.
Es dürfte wenige Leute geben, die die Behauptung in Frage stellen, daß die Sicherheit und das Wohl des Gemeinwesens durch die öffentliche Moral und den Gehorsam gegen das Sittengesetz bedingt wird. In dem Maße, wie die Achtung vor Wahrheit und Recht schwindet, sind die Menschen den Leidenschaften und selbstsüchtigen Trieben unterworfen, die zu Anarchie und zu Umsturz führen.
Man liest gegenwärtig sehr viel in religiösen Zeitschriften und in der Tagespresse über die wahre Aufgabe der Religion. Diese Erörterungen werden zweifellos durch die sich immer mehr verbreitende Erkenntnis hervorgerufen, daß der Formalismus in der Religion nie und nimmer dem innersten Bedürfnis der Welt nach etwas Lebendigem oder Lebenspendendem entgegenkommen kann, und diese Tatsache kann durch das blinde Bestreben, einen ausgetretenen Weg weiter zu verfolgen, nicht verdunkelt werden.