Man hört zuweilen den Tadel, daß die Christian Science zuviel Gewicht auf das Heilen von Krankheit und zuwenig Gewicht auf das Heilen von Sünde lege. Nun gibt es aber zum mindesten zwei Gründe, warum eine solche Kritik unberechtigt ist. Der erste Grund ist der, daß bei der Predigt wie bei der Ausübung uns stets das Beispiel Christi Jesu vor Augen steht, welches er durch sein Heilungswerk gab. Matthäus weist auf die Tatsache hin, daß Jesus ganz am Anfang seiner Amtstätigkeit umherzog „im ganzen galiläischen Lande, lehrte in ihren Schulen, und predigte das Evangelium von dem Reich, und heilte allerlei Seuche und Krankheit im Volk.” Tatsächlich ist ein großer Teil der Evangelien seiner Heiltätigkeit gewidmet, und es kann niemand bestreiten, daß Jesus dieses Werk seinen Mitmenschen sehr ans Herz legen wollte. Er ging sogar so weit, sein Heilen vor den Boten Johannes des Täufers zu demonstrieren und auf dasselbe als Beweis für seine Messianität hinzuweisen.
Als er die zwölf Jünger und sodann die siebenzig aussandte, erteilte er ihnen den bestimmten Auftrag, die Kranken zu heilen, und als sein Amt auf Erden beinahe zu Ende war, gab er „denen, die da glauben”, die trostreiche und ermutigende Verheißung: „In meinem Namen werden sie Teufel austreiben, mit neuen Zungen reden, Schlangen vertreiben, und so sie etwas Tödliches trinken, wird’s ihnen nicht schaden; auf die Kranken werden sie die Hände legen, so wird’s besser mit ihnen werden.” Gewiß gibt es keinen ausdrücklicheren Hinweis auf die Tatsache, daß das Heilen ein Teil des Amtes eines wahren Christen ist, als diese Abschiedsworte des Gründers des Christentums.
Wie zu Jesu Zeiten, so ist auch heute noch das Volk mehr auf die Befreiung von Krankheit bedacht, an welcher es keinen Gefallen findet, als es die Sünde loszuwerden sucht, von welcher es sich Genuß verspricht. Aus diesem Grunde machte das Heilen der Kranken damals wie heute ein solch großes Aufsehen und einen solch tiefen Eindruck. Die Krankenheilung zur Zeit Jesu und seiner direkten Nachfolger war jedoch bloß eine Begleiterscheinung seiner Wirksamkeit zur Erlösung der Menschheit, und diejenigen, welche seine Lehren in scientifischer Weise befolgen wollen und in denselben die Möglichkeit einer vollen Erlösung gefunden haben, wenden sie gleichfalls auf alle Angelegenheiten des Lebens an, anstatt sie bloß als Basis für zukünftige Resultate und zukünftige Belohnung zu gebrauchen.
Der zweite Grund, warum die obengenannte Kritik keine Berechtigung hat, ist der, daß die Lehre und die Ausübung der Christian Science, nach dem Leben der Christian Scientisten zu urteilen, sehr viel zur sittlichen Hebung der Gesamtheit und des Einzelnen beiträgt. Das Vorhandensein so vieler Menschen, welche von Unmäßigkeit und den sie begleitenden Lastern befreit worden sind, sowie derer, welche beharrlich Haß, Neid, Groll und Rachsucht zu überwinden suchen, berechtigt zu der Behauptung, daß die Christian Science das Christentum Jesu ist, welches die Sterblichen durch die Vernichtung der Sünde von der Sünde befreit.
Wir begegnen in unsern Tagen Tausenden von Menschen, welche um diese Freiheit bitten, und es finden sich Tausende von Menschenfreunden, die ihnen zu derselben verhelfen möchten. Gibt es nun unter diesen einen einzigen, der behaupten könnte, daß ein Religionssystem, dessen Anhänger dieses Werk betreiben, indem sie die Menschen in moralischer und physischer Hinsicht heilen — daß ein solches Religionssystem nicht christlich sei und den Bedürfnissen des Sünders und des Leidenden nicht entgegenkomme? Die Lehre der Christian Science über diesen Punkt ist in Mrs. Eddys folgenden Worten aus „Science and Health“ (S. 369) klar und bestimmt ausgedrückt: „Um ganz gesund zu sein, muß sich der Mensch geistig sowohl als körperlich bessern”; und auf der nächsten Seite gibt sie die trostreiche Versicherung: „Wahrheit ist ein das ganze Körpersystem heilsam beeinflussendes Mittel und kann dasselbe vollständig gesund machen.