Wenn diejenigen, welche so hartnäckig den fleischlichen Menschen für den Menschen Gottes erklären, in Erwägung ziehen wollten, was Jesus und seine direkten Nachfolger über das Fleisch gesagt haben, so würde ihnen dies mindestens zu denken geben. Paulus erklärt: „Die aber im Fleische sind, können Gott nicht gefallen” (Züricher Bibel). Sollte nun irgend etwas, was Gott geschaffen hat, Ihm „nicht gefallen”? Würden diejenigen, die in inniger Gemeinschaft mit Gott leben, etwas herabfetzen, für das Gott, wenn auch nur indirekt, verantwortlich ist?
Die allgemeine theologische Ansicht ist die, daß der Körper die Seele enthalte, wie die Schale der Nuß den Kern enthält, und daß die Seele den Himmel erlange oder der ewigen Qual übergeben werde, je nachdem sie die ihr auf Erden gebotene Gelegenheit benutzt habe. Wäre dies der Fall und hätte der Mensch wirklich diese Schule der Erfahrung nötig, so müßte man das Fleisch gewiß als ein wichtiges Werkzeug in der Hand Gottes betrachten, möge es auch an und für sich nutzlos sein. Dies stellt uns jedoch vor ein Dilemma. Ist es nicht eine Unehrerbietigkeit gegen Gott (um es gelinde auszudrücken), wenn man von irgendeinem Bestandteil der Schöpfung Gottes in wegwerfender Weise redet? Sollte das, worin angeblich die Seele wohnt, während sie ihre ewige Seligkeit bewirkt, „nichts nütze” sein, wie Jesus erklärt?
Nun mag der eine oder der andre einwenden, der Körper habe allerdings an und für sich keinen Wert, sei aber als Mittel zum Zweck nötig. Dies heißt der Schwierigkeit ausweichen, denn auch in solchem Fall wäre Gott für das Vorhandensein des Körpers verantwortlich. Der Bibelforscher nehme einmal seine Konkordanz zur Hand und schlage alle Stellen nach, die unter dem Wort „Fleisch” angegeben sind. Er wird nicht umhin können, zu der Überzeugung zu kommen, daß die Materie nach Ansicht der biblischen Autoren nichts Gutes in sich schließt, keinem guten Zweck dient und ihren Ursprung einfach nicht in Gott haben kann.
Was ist denn nun das „Fleisch”? Der Auslegung der Christian Science gemäß beantwortet die Bibel diese Frage wie folgt: „Ein Irrtum der physischen Vorstellung; die Annahme, daß Leben, Substanz und Intelligenz in der Materie zu finden sind; eine Illusion; der Glaube, daß Materie Gefühl habe” („Science and Health“, S. 586). Für diejenigen, die noch nicht bereit sind, der rein geistigen Auffassung von Gottes Weltall beizustimmen, dürfte es wohl von Wert sein, wenn wir sie auf die modernen Anschauungen der sogenannten Naturwissenschaft über das Fleisch oder die Materie hinweisen. Es sei nur kurz gesagt, daß neuere Entdeckungen die Naturforscher sehr in Verlegenheit gebracht haben, so daß sie sich genötigt sahen, ihre Anschauungen über die Materie (den „Stoff”, aus dem das Fleisch besteht), ganz umzugestalten. Einer der hervorragendsten Naturforscher unsrer Zeit sagte unlängst in einem Vortrag, die Materie sei jetzt „nicht nur erklärt, sondern auch wegerklärt.” Ein andrer äußert die Ansicht, die Materie sei nichts weiter als „mentaler Stoff” („mind-stuff“).
Um dies nun zu vereinfachen, sei gesagt, daß die meisten Naturforscher jetzt der Ansicht sind, alle Gegenstände, die wir sehen, bestünden zwar, seien uns aber ihrem wahren Wesen nach nicht bekannt, weil wir bloß unsre eigne Vorstellung von denselben sehen, hören, fühlen, schmecken und riechen können. Mrs. Eddy sagt auf Seite 86 von „Science and Health“: „Der sterbliche Sinn sieht ebenso gewiß, was er glaubt, als er glaubt, was er sieht. Er fühlt, hört und sieht seine eignen Gedanken.” Die Naturwissenschaft widerspricht also nicht nur nicht diesem Satze, sondern sie stimmt ihm geradezu bei, denn da Fleisch und Materie ein und dasselbe sind, und da Materie „mentaler Stoff” ist, so folgt, daß das Fleisch und demnach der Mensch, als materielles Wesen betrachtet, sowie das ganze materielle Weltall, Vorstellungen der materiellen Sinne sind. Mit andern Worten: Der sterbliche Sinn hat seine eigne Auffassung vom Menschen und vom Weltall vergegenständlicht.
Auf welch herrliche Weise löst dies so manche schwierige Frage! Gott, unser liebender Vater, ist also doch nicht der Urheber all der schrecklichen Dinge, die in dieser Sinnenwelt um uns her geschehen. Kranke, verstümmelte und lasterhafte Menschen sind nicht Sein Bildnis und Gleichnis. Die sogenannten Naturkräfte der materiellen Welt — ihre verheerenden Erdbeben, Fluten und Stürme — kommen nicht von Ihm. Er ist nicht der Schöpfer des Fleisches, welches „nichts nütze” ist und welches „gelüstet wider den Geist”. Über all dem Wirrwarr des materiellen Lebens, welches Geburt, Wachstum, Verfall und Tod umschließt, besteht die wahre Schöpfung Gottes, die vollkommen, harmonisch und ewig, ja „sehr gut” ist. Dies ist die Wirklichkeit, von deren Vorhandensein die Naturforscher überzeugt sind, die sie aber nicht finden können, weil sie durch die Linse des materiellen Sinnes schauen.
Die Wirklichkeit kann nur geistig erkannt werden! Wer wie der Apostel Johannes in so inniger Gemeinschaft mit Gott lebt, daß sein geistiger Sinn sich wissenschaftlich entfaltet, sieht ebenfalls „einen neuen Himmel und eine neue Erde”. Dieser Himmel und diese Erde scheinen dem erwachenden geistigen Sinn neu zu sein, sind aber in Wirklichkeit so alt, wie die Ewigkeit, denn sie bilden Gottes eigne Schöpfung, die einzige wirklich bestehende Schöpfung.
Wer wahrhaft liebt, der wird sein eignes Selbst vergessen.
    