Die mannigfaltigen Erfahrungen der Kinder Israel während ihrer Befreiung vom Joch der Ägypter und ihr vierzigjähriges Wandern in der Wüste versinnbildlichen gewissermaßen die Erfahrung, welche alle Menschen auf ihrer Reise von dem materiellen Begriff des Seins zu der durch die Christian Science geoffenbarten geistigen Wirklichkeit durchzumachen haben. Es besteht eine große Ähnlichkeit zwischen den Kämpfen, Versuchungen, Errungenschaften und Freuden des heutigen Nachfolgers des Christus, der Wahrheit, und denen der Kinder Israel. Die äußeren Umstände sind allerdings verschieden, aber der innere Vorgang ist in beiden Fällen so ziemlich der gleiche. Es liegt darin nichts Auffallendes, denn der sterbliche Sinn, der Inbegriff alles Übels, ist heute noch der selbe wie zur Zeit, als die Nachkommen Jakobs in der Knechtschaft Ägyptens schmachteten, und Gott ist unveränderlich, „gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit.” In unsern Tagen wie damals findet ein Kampf statt zwischen den Ansprüchen des göttlichen Geistes (Mind) und den Ansprüchen des sterblichen Sinnes (mortal mind), zwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen Gutem und Bösem. Wir haben die gleichen Versuchungen zu überwinden, die gleichen Kämpfe durchzumachen, die gleichen Prüfungen zu bestehen, die gleichen Siege zu erringen, und unser Gehorsam gegen das Gesetz Gottes bringt uns die gleiche Belohnung.
Der Verfasser hat die Absicht, in diesem Aufsatz einige Erfahrungen der Kinder Israel zu beleuchten, in der Hoffnung, durch die Lehren, die in denselben enthalten sind, zur Lösung der Probleme des täglichen Lebens beitragen zu können. Wenn wir lesen, wie die Israeliten wegen ihrer Begehungs- und Unterlassungssünden leiden mußten, so ersehen wir daraus, wie solche Strafen vermieden werden können. Das Gesetz Gottes ist heute noch das gleiche wie damals. Eine jede Übertretung desselben wird bestraft. Das Übel hat in unsern Tagen ebensowenig Macht, wie vor tausend Jahren, und wir haben ebensowenig Ursache, uns vor den heutigen Kundgebungen des Übels zu fürchten, wie man in früheren Tagen Ursache hatte, sich vor den damaligen Kundgebungen desselben zu fürchten.
Die Kinder Israel hatten vierhundert Jahre in Ägypten gelebt. In der ersten Zeit ging es ihnen da recht gut; nach und nach aber wurden sie die Sklaven der Ägypter, die ihnen durch ihre zunehmende Grausamkeit das Leben sauer machten. Man verlangte immer mehr von ihnen. Sie mußten schwere Lasten tragen, nahezu Unmögliches leisten, und Ungehorsam wurde streng bestraft. Die schwache Hoffnung, die sie noch gehabt hatten, gab nach und nach der Verzweiflung Raum. Als dann die Zeit erfüllet ward, erstand einer aus ihrer Mitte, der sie zu befreien vermochte. Zuerst nahmen sie die gute Botschaft mit Freuden auf; später aber murrten und klagten sie über die weitere Unterdrückung, die sie zu erdulden hatten, als Moses den Pharao nötigte, das Volk Israel ziehen zu lassen. Ihr auserwählter Führer verlor jedoch nicht den Mut, und schließlich durften sie ziehen.
Ägypten versinnbildlicht den sterblichen Sinn, den Materialismus mit all seinen sogenannten Gesetzen und Methoden, vermittels deren er sich Gehorsam zu erzwingen sucht. Anfangs erkennen die Sterblichen nicht, daß das materielle Dasein in Wirklichkeit Knechtschaft bedeutet. Es scheint ihnen viel Gutes und Schönes, viele Freuden zu bieten; später nötigt ihnen aber die Disharmonie des sterblichen Daseins eine andre, richtigere Anschauung vom materiellen Dasein auf, und sie rufen dann voll Verzweiflung: „Ist denn keine Salbe in Gilead? oder ist kein Arzt nicht da?” Gibt es kein Mittel gegen Disharmonie und Krankheit? Wenn der Mensch einsieht, daß das Materielle ihm nur wenige Freuden und gar viele Leiden bereitet, so erwacht in ihm das ernste Verlangen, der Sklaverei zu entrinnen. Von wie vielen Kindern dieser Erde ist doch verlangt worden, sie sollten Ziegelsteine ohne Stroh brennen und viele andre scheinbar unmögliche Dinge verrichten, um die Anforderungen des sterblichen Sinnes zu befriedigen. Glücklich sind die Unzähligen, welche dann die Christian Science gefunden haben und dadurch befreit worden sind, so daß sie Ägypten gesund und froh verlassen konnten. Die körperliche und moralische Wiederherstellung, welche sie erlebt haben, war nicht das Ergebnis ihrer eignen Entdeckung der heilenden Wahrheit. Viele sind durch das Lesen des Textbuches der Christian Science, „Science and Health with Key to the Scriptures“, geheilt worden. In diesem Buche hat die Entdeckerin und Begründerin der Christian Science die Wahrheit des Seins, zu welcher sie „durch göttliche Offenbarung, durch Vernunft und Demonstration” („Science and Health“, S. 109) gelangte, klar und faßlich dargelegt. Eine große Anzahl haben also die Lehren der Christian Science durch eignes Studium so weit erfaßt, daß sie über den falschen Begriff der Dinge emporsteigen und so ihre Freiheit erlangen konnten. Andre hatten den weisen und liebevollen Beistand einer Person nötig, die ein beweisbares Verständnis von dem göttlichen Prinzip hatte, welches alle Leiden heilt. In beiden Fällen war die Wahrheit der Erlöser, und die Freiheit, welche diese Leute erlangt haben, beweist die Macht und Liebe Gottes. Sie freuen sich über diese Freiheit und opfern Gott Dank.
Nun gibt es aber solche unter ihnen, die, nachdem sie geheilt worden sind, denken, ihre Erlösung sei jetzt vollständig bewirkt. Mit der Zeit sehen sie jedoch ein, daß das Werk zur Erlangung der vollkommenen Freiheit der Kinder Gottes eben erst begonnen hat. Auch in dieser Hinsicht stimmt die menschliche Erfahrung mit der Erfahrung der Kinder Israel überein. Diese hatten nämlich Ägypten kaum verlassen, als es den Pharao gereute, daß er sie hatte gehen lassen, und er zog daher aus, um ihre Rückkehr in die Gefangenschaft zu erzwingen. Als die Israeliten merkten, daß das Heer des Pharao sie verfolgte, wurden sie von Angst erfüllt und murrten wider Mose, der sie auf ihrem Wege nach dem verheißenen Lande bis dahin geführt hatte. Hier lernten sie nun zum ersten Mal erkennen, was Gott von ihnen verlangte. Moses sagte zu ihnen: „Fürchtet euch nicht, stehet fest, und sehet zu, was für ein Heil der Herr heute an euch tun wird. ... Der Herr wird für euch streiten, und ihr werdet still sein.”
Es wäre töricht gewesen, wenn sich die Israeliten in einen Kampf mit den Ägyptern eingelassen hätten, denn sie besaßen keine materiellen Waffen. Sie sollten jedoch erfahren, daß die Wege Gottes nicht die Wege der Menschen sind. Vor ihnen lag das Rote Meer, und sie hatten keine Fahrzeuge, um überzusetzen; hinter ihnen waren die Ägypter, deren Trachten einzig dahin ging, das Volk, welches ihnen jahrhundertelang wertvolle Dienste geleistet hatte, in die Knechtschaft zurückzuführen; zur Rechten und zur Linken befanden sich hohe Berge. Nach menschlicher Berechnung war also ein Entrinnen unmöglich. In dieser Stunde der Not nun sollten sie ihr Auge weder auf das unpassierbare Meer, noch auf den Feind, noch auf die Berge richten. Der Befehl lautete vielmehr: „Stehet fest, und sehet zu, was für ein Heil der Herr heute an euch tun wird.” Das Wort „Heil” wird in „Science and Health“ (S. 593) definiert als „Leben, Wahrheit und Liebe verstanden und als über alles erhaben demonstriert”. Sie sollten das Heil sehen, welches der Herr an ihnen tun wollte. Dies vermochten sie jedoch nicht, solange sie die Gefahren ansahen, aus denen sie errettet sein wollten. Ihr Denken sollte ganz und gar Gott zugewandt sein.
Moses wußte vielleicht nicht, in welcher Weise die Hilfe kommen würde, aber er war überzeugt, daß Gott, der ihm und seinem Volke bisher beigestanden hatte, das Werk der Befreiung vollenden würde. Auf den Befehl des Herrn hin reckte er seine Hand aus über das Meer; und siehe da, das Wasser teilte sich, so daß das Volk Israel trockenen Fußes hindurchgehen konnte. Als sie alle sicher am jenseitigen Ufer waren, erhielt Moses wiederum den Befehl, seine Hand über das Meer auszurecken, worauf das Wasser zurückkehrte und die Ägypter, welche den Israeliten gefolgt waren, bedeckte, „daß nicht einer aus ihnen überblieb.” Als die Israeliten dies sahen, erkannten sie, daß ihre Befreiung von dem Joch der Ägypter vollbracht war und daß sie nichts mehr von ihnen zu befürchten hatten.
Auf diesen Befehl des Moses an die Israeliten: „Stehet fest, und sehet zu, was für ein Heil der Herr heute an euch tun wird”, sollten alle Christian Scientisten achten, die Anfänger sowohl wie die Vorgeschrittenen. Wenn einem neue Arten des Übels entgegentreten, oder wenn man von alten Irrtümern verfolgt wird, so gilt es, die geistigen Tatsachen des Seins im Auge zu behalten und nichts andres zu sehen. Die Befreiung wird durch die Erkenntnis bewirkt, daß Gott die einzige Gegenwart und Macht ist. Diese Erkenntnis ist unerreichbar, solange man die Gedanken unnötigerweise auf die Übel richtet, von denen man befreit zu werden hofft. Nur der sterbliche Glaube an die Wirklichkeit des Übels gibt dem Übel seine scheinbare Macht über die Menschheit.
Durch das Verständnis, daß Gott Allmacht, Allgegenwart und Allwissenheit ist, demonstriert man die Machtlosigkeit und somit die Nichtigkeit alles Übels. Wenn wir erkannt haben, daß das Übel keine Macht und Wirklichkeit hat, so verschwindet unsre Furcht vor demselben. Es kann uns dann nicht mehr unterjochen oder unsern Fortschritt hindern. Das Verständnis von der Allheit Gottes vernichtet das drohende Übel ebenso gewiß, wie es die Wasser des Roten Meeres zurücktrieb, so daß das Volk Gottes durchgehen konnte. Wenn sich das menschliche Denken verständnisvoll auf Gott richtet, so bleibt die Hilfe nicht aus. Die Verheißungen der Schrift gehen dann in Erfüllung, indem der Mensch von Leiden, Kummer und Not befreit wird.
Mehr als vierhundert Jahre vor der Befreiung der Kinder Israel aus dem Diensthause hatte der Herr dem Abraham verheißen, seine Nachkommen würden ein mächtiges Volk werden und Er wolle ihnen das Land Kanaan zum Erbe geben. Diese Verheißungen sollten nun in Erfüllung gehen. Nach dem Durchzug durch das Rote Meer begann die Reife nach dem gelobten Lande allen Ernstes. Nun war allerdings eine unbekannte Wüste vor ihnen; aber man sollte doch denken, daß sie nach den wunderbaren Beweisen der Macht der Wahrheit, die sie durch ihre Befreiung erhalten hatten, furchtlos vorgedrungen wären und das feste Vertrauen gehabt hätten, daß der Gott ihres Heils, der des Tags in einer Wolkensäule und des Nachts in einer Feuersäule vor ihnen herzog, alle ihre Bedürfnisse befriedigen und alle ihre Feinde vernichten könne. Der menschliche Glaube an das Übel wurzelt jedoch so tief, daß eine Erfahrung, möge sie auch noch so wunderbar sein, nicht genügt, die Furcht vor dem Übel zu vernichten. Erst nach vielen traurigen Erlebnissen, die vielfach durch Ungehorsam herbeigeführt wurden, lernten die Kinder Israel dem Gott ihres Vaters Abraham vertrauen.
Diejenigen, die sich der Christian Science zugewandt haben und dadurch aus der Sklaverei einer langwierigen Krankheit oder einer Lieblingssünde erlöst worden sind, denken gar leicht, sie seien nun völlig frei und es werde nichts weiter von ihnen verlangt. Früher oder später kommt jedoch das Erwachen. Sie sehen ein, daß die Lösung ihrer Aufgabe eben erst begonnen hat. Gott kann ihnen unendlich mehr geben, als sie bisher entgegengenommen haben. Es wird weit mehr von ihnen verlangt, ehe die Disharmonien der Erde für sie vernichtet sind und sie das verheißene Land des geistigen Seins erreicht haben. Neue Arten des Irrtums treten ihnen entgegen, und neue Erfahrungen geben ihnen Lehren, die sie nötig haben.
Als der Speisevorrat, den die Kinder Israel mitgenommen hatten, zu Ende war, sehnten sie sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens und murrten wider Mose, weil er sie in die Wüste geführt hatte und sie da, wie sie meinten, verhungern müßten. Wie leicht vergessen doch die Sterblichen die empfangenen Wohltaten! Hier haben wir ein Volk, das aus der grausamsten Sklaverei befreit worden war, und das doch nach den alten Zuständen verlangte. Für den Augenblick vergaßen sie die schweren Lasten, die bitteren Leiden, die grausamen Frohnvögte, und dachten nur an die Freuden jener Zeit, da sie „die Fülle Brot” hatten. Seitdem haben schon viele andre Menschen in Zeiten, da sie eine ihnen bisher unbekannte Anfechtung befiel, sehnsuchtsvoll nach den vermeintlich guten Dingen früherer Zeiten zurückgeschaut. Die gegenwärtigen Prüfungen scheinen oft die allerschwersten zu sein. Sie veranlassen den Menschen gar leicht, sich in die Vergangenheit zurückzuwünschen. Dies hat jedoch keinen Zweck. Das einzig richtige ist, daß man sich die üble Erfahrung zur Lehre dienen läßt und mutig voranschreitet.
Eine der ersten Lehren, welche die Kinder Israel in der Wüste lernten, war, die, daß alle Versorgung von Gott kommt. In Zeiten der Not sättigte sie Gott mit „Himmelbrot”. Sie erhielten den Beweis, daß göttlicher Geist der stets gegenwärtige, der allgenugsame Quell der Versorgung ist. Alle Tage bekamen sie ihre Speise, aber immer nur genug für den einen Tag. Bloß am sechsten Tage durften sie doppelt soviel sammeln, damit sie am Sabbattage von ihrer Arbeit ausruhen konnten. Diese Erfahrung lehrte sie Gott vertrauen. Es wird uns nicht erzählt, daß sie je fürchteten, der Vorrat werde nicht ausreichen. Sie wußten, daß ihre Bedürfnisse von Tag zu Tag befriedigt werden würden, und aßen Manna, bis sie das verheißene Land erreicht hatten.
Wir müssen auf unsrer Reise durch die Wüste menschlicher Erfahrungen zu der Einsicht kommen, daß göttlicher Geist (Mind) uns alles gibt, was wir zu unserm Fortschritt nötig haben. Die Menschen bedürfen vieles, was sie nicht selbst beschaffen können, und wenn sie sich dann auf materielle Hilfe oder auf menschliche Kraft verlassen, so geraten sie oft in große Not. Der Schüler der Christian Science erkennt gar bald, daß er sich wegen seiner Versorgung auf Gott verlassen muß, und er lernt dann immer mehr die Zusicherung des Apostels verstehen: „Alles ist euer”. Er belastet sich nicht mit Dingen, die er erst in der Zukunft nötig hat; er fürchtet nicht, daß der Quell alles Guten mit der Zeit versiegen werde.
Wenn man bedenkt, daß die Israeliten vierhundert Jahre unter einem abgöttischen Volk gelebt hatten, so erscheint es begreiflich, daß ihr Verständnis von dem wahren Gott verdunkelt worden war. Nun war aber für sie die Zeit gekommen, da sie ihre Abgötterei und die derselben entwachsenen Bräuche aufgeben mußten. Um dies tun zu können, hatten sie Unterweisung nötig. Moses erhielt daher auf dem Berge Sinai die zehn Gebote, welche er dann seinem Volke verkündete, so daß dasselbe anfing zu verstehen, was Gott von ihm verlangte. Vor allem mußten sie den Gehorsam gegen das Wort Gottes lernen. Verschiedene Gesetze und Verordnungen wurden hinzugefügt, um ihnen klar zu machen, was sie tun und was sie lassen mußten. Ihre Denkart war zu materiell, als daß sie die Gebote genügend verstanden hätten, um in allen Fällen den richtigen Weg klar zu erkennen. Nachdem die Gebote gegeben worden waren, wurde in der Wüste die Stiftshütte errichtet, und das Volk erhielt Unterweisung in der Verehrung des wahren Gottes. Die Art und Weise der Verehrung war den Bedürfnissen der Israeliten angemessen und hatte den Zweck, ihr Denken zu vergeistigen und sie auf die Arbeit, welche vor ihnen lag, vorzubereiten. Man kann nicht behaupten, daß sie Gott „im Geist und in der Wahrheit” anbeteten, wie Er angebetet werden will; jedoch waren sie imstande, nach und nach die abgöttischen Anschauungen der Ägypter abzulegen.
Nachdem der Schüler der Christian Science die heilende Macht der Wahrheit und Liebe erfahren hat, gewinnt er einen klareren Begriff von dem Wesen Gottes. Die zehn Gebote haben dann für ihn eine mehr geistige Bedeutung, und er lernt alle Lehren der Heiligen Schrift in praktischer Weise auf die Angelegenheiten des täglichen Lebens anwenden. Er sieht ein, daß er viele abgöttische Anschauungen hat, die überwunden werden müssen, und daß sein wachsendes Verständnis von der Christian Science es ihm immer mehr ermöglicht, Gott in der rechten Weise zu verehren.
Das Land, welches das Erbe der Kinder Israel sein sollte, war nicht weit von Ägypten entfernt und sie hatten dessen Grenzen bald erreicht. Moses ermutigte sie, es einzunehmen. Hier zeigte es sich jedoch, daß der Zweifel, ob man das gewünschte Gute auch erlangen könne, der Feind des Fortschritts ist. Das Volk verlangte, Moses solle Kundschafter aussenden, um über das Land und die einer Einnahme desselben entgegenstehenden Schwierigkeiten zu berichten. Moses sandte deshalb zwölf Männer aus, einen aus jedem Stamm, und gebot ihnen, das Land auszukundschaften. Als sie nach vierzig Tagen zurückkehrten, erklärten sie einstimmig, es sei ein sehr begehrenswertes Land, ein Land, in welchem Milch und Honig fließe. Furcht erfüllte jedoch alle diese Boten bis auf zwei. Sie erzählten von den großen Schwierigkeiten, von den ummauerten Städten, von den aus Riesen bestehenden Besatzungen derselben und erklärten, an eine Einnahme des Landes sei nicht zu denken. Nur Josua und Kaleb hielten das Überwinden des Feindes für möglich und ermutigten das Volk zum Angriff. Dieses aber hatte kein Ohr für den günstigen Bericht, sondern glaubte dem ungünstigen, murrte wider Mose und Aaron und wünschte sich zurück nach Ägypten. Diese Furcht und diesen Ungehorsam mußten sie jedoch schwer büßen, denn sie wurden in die Wüste zurückgetrieben und wanderten vierzig Jahre in derselben umher.
Spätere Generationen haben sich gewundert über den Mangel an Gottvertrauen, den die Israeliten an den Tag legten. Und doch hat sich ihr Verhalten bis auf den heutigen Tag gar oft wiederholt. Was andres als Furcht und Zweifel hält die Menschen davon ab, von den höheren Segnungen, die in ihrem Bereich liegen, Besitz zu nehmen? Wenn die Kinder Israel voll und ganz an die Macht Gottes geglaubt hätten, so hätten sie sich nicht gefürchtet. Welch herrliche Beweise von der errettenden und beschützenden Macht Gottes hatten sie doch erhalten! Sie waren jedoch schwer von Begriffen, und die durch den Materialismus hervorgerufene Furcht übermannte sie. So fürchten sich die Menschen auch heute noch; ja sie rechtfertigen sogar ihre Furcht und bestreiten die Möglichkeit, die höheren Segnungen, deren sie bedürfen und nach denen sie sich sehnen, erlangen zu können. Die Strafe ist die gleiche wie die der Kinder Israel. Sie kehren um und wandern in der Wüste materieller Annahmen umher, bis sie aus ihren Erfahrungen die nötige Lehre gezogen haben.
Es gab wohl manche unter dem Volk Israel, welche erwarteten oder wenigstens hofften, sie könnten das verheißene Land ohne Mühe und Anstrengung in Besitz nehmen. Als sie dann sahen, was die Bedingungen waren, murrten sie und erklärten, es werde Unmögliches von ihnen verlangt. Obgleich sie der Knechtschaft Ägyptens entronnen waren, so befanden sie sich doch in der Knechtschaft des Irrtums, und dieser Irrtum hielt sie von der Erlangung der erhofften Freiheit ab. Ihre Furcht war die Folge ihrer Unwissenheit in Bezug auf das Wesen Gottes. Wenn sie Gott gekannt hätten, wären sie vorwärts gegangen, in dem festen Vertrauen, daß Er für sie kämpfen würde. Auf diese Weise hätten sie ihr Erbe erlangt. Da es ihnen aber an dieser Kenntnis fehlte, blieb die Wüste ihr Aufenthaltsort, bis sie durch bittere Erfahrung gelernt hatten, sich auf Gott zu verlassen und Seinem Worte zu gehorchen. Alsdann konnten sie das Land in Empfang nehmen, wenn auch erst nach schweren Kämpfen.
Wie Ägypten die sterbliche Gesinnung versinnbildlicht, in deren Knechtschaft sich alle Menschen befinden, so versinnbildlicht das Gelobte Land die geistigen Tatsachen des Seins, in welchem keine Sünde, keine Krankheit, kein Tod, sondern vollkommene Harmonie herrscht. Die meisten Menschen haben wenig Hoffnung auf Befreiung aus der Knechtschaft der Materie; wenigstens erwarten sie dieselbe nicht vor der Erfahrung, die man Tod nennt. Nun ist aber die Christian Science gekommen und hat uns den Balsam gebracht, der Krankheit heilt und Sünde vernichtet. Diejenigen, welche sich um Hilfe ihr zuwenden, erlangen einen Grad der Freiheit, den sie in dieser Welt nicht für möglich gehalten hatten. Eine Zeitlang freuen sie sich und leben in der Hoffnung auf völlige Freiheit. Indem die geistigen Wirklichkeiten des Seins sich ihrem Bewußtsein entfalten, erreichen sie das verheißene Land. Sie haben den Befehl erhalten, von demselben Besitz zu nehmen; jedoch der Glaube an die Wirklichkeit und Macht des Übels läßt ihnen den Gehorsam gegen die göttlichen Erfordernisse als unmöglich erscheinen. Manche sind geneigt sich zu beklagen; ja sie sehnen sich sogar nach dem alten Begriff vom Sein und nach den alten Theorien in Bezug auf des Menschen Erlösung. Dies hat seinen Grund darin, daß sie die empfangenen Segnungen vergessen haben. Ferner stehen ihnen Unwissenheit und Furcht im Wege. So, kommt es, daß viele, die die erlösende Macht der Wahrheit in gewissem Maße erfahren haben, in der Wüste umherirren. Das Wort „Wüste” wird in „Science and Health“ (S. 597) definiert als „der Vorhof, wo eine materielle Auffassung von den Dingen verschwindet und der geistige Sinn die großen Tatsachen des Seins entfaltet.” In diesem Gedankenzustand lernt die Menschheit durch Erfahrung. Die Verehrung des wahren Gottes und das Befolgen seiner Gebote läutert und erhebt das Denken, überwindet die Furcht und verhilft zum Sieg über das Übel.
Je mehr Treue der Mensch beweist, desto kürzer ist sein Aufenthalt in der Wüste. Sein Ungehorsam wird bestraft, und durch das, was er zu erdulden hat, lernt er Gehorsam. Für seine Treue wird er belohnt und gewinnt einen höheren Begriff vom Sein. Der kluge Schüler der Christian Science läßt sich seine Erfahrungen zur Lehre dienen und ist stets darauf bedacht, die Wirklichkeit und Macht der Wahrheit und Liebe zu beweisen. Mag auch sein Fortschritt langsam sein, so nähert er sich doch dem Ziel.
In seinen Taten malet sich der Mann.—
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