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Moralischer Mut

Aus der Oktober 1913-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Moralischer Mut kommt mit geistiger Erkenntnis. Nur eine absolute Überzeugung, die sich aus die Erkenntnis der Wahrheit gründet, kann die nötige Kraft verleihen, vermöge deren man den Anfechtungen der Furcht widerstehen und den Drohungen eines bevorstehenden Unheils begegnen kann, die der fleischliche Sinn dem Wanderer auf dem Wege vom Sinn zur Seele entgegenstellt. Mut ist nichts Materielles, nichts, was nach materiellem Augenschein beurteilt werden könnte. Man kann ihn nicht wie einen körperlichen Gegenstand berühren; er entzieht sich der sinnlichen Wahrnehmung. Er ist eine Eigenschaft des Denkens und kann durch einen richtigen mentalen Prozeß, d. h. auf metaphysischem Wege herangebildet und gekräftigt werden. Rechtschaffenheit oder rechtes Denken ist eine Tugend, die sich durch zielbewußtes Streben und praktische Anwendung des bereits Erkannten erwerben läßt. Auf diese Art kann der Grund gelegt werden für jenen hohen und edlen Ausdruck des Menschentums in Christus, der als moralischer Mut bezeichnet wird.

Der Offenbarer beschreibt die Eigenschaft, die einen Menschen würdig macht, das Buch der göttlichen Wissenschaft zu öffnen, als den „Löwen, der da ist vom Geschlecht Juda”, und Mrs. Eddy erklärt diese Redewendung mit den Worten: „Moralischer Mut ist ‚der Löwe, der da ist vom Geschlecht Juda‘, der König im mentalen Reich. Frei und furchtlos durchstreift er den Wald, ungestört liegt er im freien Felde oder ruht ‚auf einer grünen Aue‘, und am ‚frischen Wasser‘” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 514). In diesen Worten liegt Mut und Schönheit. Wenn wir einen Augenblick innehalten und an die Prüfungen denken, die Mrs. Eddy bei der Durchführung ihres Lebenswerkes erfolgreich überwand, an die Gefahren, denen sie unerschrocken entgegentrat, an die auf Irrtum beruhende Feindseligkeit, der sie in ihrer Heiltätigkeit und in ihren hilfreichen Bestrebungen begegnete, so können wir uns der Erkenntnis nicht verschließen, daß sie ihr Recht bewies, „als einer” zu sprechen, „der Gewalt hat”. Es ist nicht nötig, die verschiedenartigen Phasen des Übels eingehend zu erörtern, die ihren moralischen Mut auf die Probe stellten. Die Geschichte ihres Lebens, die in ihren eignen Schriften sowie in Sibyl Wilburs Buch „Life of Mary Baker Eddy“ so trefflich geschildert ist, wird jeden überzeugen, daß der Mut, den sie in Stunden der Not fand, übermenschlicher Art war, dem Himmel entstammte.

Es bedarf keines eingehenden Erforschens der Eigenheiten des menschlichen Gemüts, um zu erkennen, daß Furcht bei allem sterblichen Leid und Elend eine vorherrschende Rolle spielt. Sie treibt den Dieb zu seiner Tat an, lagert sich beim Krankenbett, prophezeit Unglück, verbirgt sich in den Schlupfwinkeln des verderbten Denkens, bereit, Unheil anzurichten und zur Sünde anzuregen. Furcht bildet die Veranlassung zu jeder Krankheit und jedem Verbrechen; sie spielt eine Rolle in jeder Tragödie, die sich auf den Brettern des menschlichen Daseins abspielt. Moralischer Mut allein kann die Furcht aufdecken und ihr ins Antlitz schauen. „Der König im mentalen Reich” schlägt diesen Unheilstifter aus dem Felde, deckt seine Schlupfwinkel im Walde des verfinsterten Denkens auf und bietet denen, die sich einstmals von diesem verderbenbringenden Eindringling bedroht sahen, den Bund des Friedens und der Sicherheit. Dann erreichen sie „die grüne Aue” und das „frische Wasser”. Dann ist für sie die Zeit der Sabbatruhe gekommen. Sie erleben die Stunden, die ihnen das Gefühl von Gottes Gegenwart bringen; sie haben, wie Harriet Beecher Stowe es so schön ausdrückt,

das selige Bewußtsein,
Ich bin mit dir.

Wahrhaft löwenherzig sein bedeutet frei und furchtlos sein und das Recht erwerben, sich der Ruhe zu erfreuen, wenn der scheinbare Kampf gekämpft und der Sieg erfochten ist. Es ist daher nicht zu verwundern, daß das Zeitalter der Ritterlichkeit das Sinnbild des Löwen so sehr liebte und Schild und Wappen vorzugsweise mit demselben schmückte. Daher beehrte jenes Zeitalter einen seiner beherzten Könige mit dem Beinamen „Löwenherz” (der Löwenherzige). In unserm Zeitalter macht sich eine edlere Auffassung geltend von der Bedeutung des Löwenhaften, eine Auffassung, die einen besonderen metaphysischen Sinn birgt. Rohe Kraft ist heute nicht mehr erforderlich, um den Beinamen eines Löwenherzigen zu verdienen. Es ist nicht nötig, sich mit einem Schwert von Stahl zu umgürten, oder eine materielle Rüstung anzulegen. Der Kampf des Christen erfordert „das Schwert des Geistes” und „die Rüstung des Lichts.” Jeder Erwachsene, jedes Kind kann unter dem Banner des „Löwen, der da ist vom Geschlecht Juda”, den Ehrennamen des Löwenherzigen erwerben, ohne dabei dem Körper, dem Geist oder dem Sinn Wunden zu schlagen. Unter dem Banner der Christlichen Wissenschaft zieht der moralische Mut in den Kampf aus gegen die gemeinsamen Feinde der ganzen Menschheit, gegen die Illusionen und Wahnvorstellungen, die den Sterblichen befallen. Er zieht aus, um die heimlichen Zwecke des Übels bloßzulegen und unschädlich zu machen, um den Furchtsamen Mut, den Bekümmerten Trost zu bringen, um der Menschheit den Tag des Heils zu verkünden, ja die Botschaft, daß das Himmelreich herbeigekommen ist.

Die Werke des Meisters bewiesen die höchste Art moralischen Muts. Glaubt jemand, es sei eine leichte Aufgabe gewesen, in einem materialistisch gesinnten Zeitalter die Wahrheit zu verkünden, die einer jeden damals vorherrschenden Annahme den Krieg erklärte? Nur der Mut, der von absoluter Wissenschaft getragen wird, befähigte Jesus, der Priesterherrschaft mit der Lehre vom Menschen als dem Sohn Gottes entgegenzutreten — einer Lehre, die die Juden so erboste, daß sie Steine gegen ihn aufhoben. Nur das klare Bewußtsein, daß der Mensch die unvergängliche Idee des göttlichen Gemüts ist, konnte ihm den moralischen Mut geben, vor die Ungläubigen am Grabe des Lazarus zu treten und den Toten hervorzurufen. Wie erhaben, wie tiefgegründet und allumfassend muß seine Erkenntnis von der rein geistigen Beschaffenheit des Weltalls gewesen sein, um dem Sturm gebieten zu können: „Schweig und verstumme”, und bei einer andern Gelegenheit auf dem Wasser zu wandeln! Wer an diesem christlichen Kampf teilnimmt, sei gutes Muts, denn niemand wird je über sein Vermögen geprüft. Wenn wir nicht fähig sind, den ungeheuerlichsten Wahnvorstellungen entgegenzutreten, so wird diese Forderung nicht an uns herantreten. Gott sucht Seine schutzlosen Kinder nicht heim, sondern bewacht ihre Schritte.

Wenn der Christ durch Wachstum in der Erkenntnis von Gottes Allmacht für den Kampf gerüstet und gewappnet ist, dann ergeht vielleicht an ihn die Forderung, seinen Mitmenschen einen wichtigen Dienst zu leisten. Jeder große Reformator hat seine Zeit der Vorbereitung gehabt, in der das Übel seine Bataillone vor ihm aufmarschieren ließ, in der Absicht, ihm Angst einzuflößen. Eine Erfahrung führt jedoch zur andern. Jede Bloßstellung der Machtlosigkeit und wesentlichen Unwirklichkeit des Übels bereitet den christlichen Kämpfer darauf vor, den nächsten Anspruch des Übels auf Macht aus dem Wege zu räumen. Alle Menschen haben den Wunsch, mutig zu sein. Mut ist eine Eigenschaft, die von einem jeden bewundert wird. Wenn es an Mut fehlt, wird so manches getan, um diesen Mangel zu entschuldigen oder zu ersetzen. Der Wilde zieht in den Kampf, angefeuert durch den Schall der Pauken und Hörner. Vom zivilisierten Menschen sagt man, er pfeife bisweilen, um das aufsteigende Gefühl der Furcht zu beschwichtigen. Es gibt jedoch eine bessere Art, Furcht zu besiegen. Sie besteht darin, die Wahrheit tatsächlich zu erkennen, und zwar in allen Dingen, ohne zu wanken. Hierdurch wird der Irrtum aufgehoben, daß Furcht eine Wesenheit sei und Macht habe.

So erwies sich der von Theorien unbelastete, aber in der Erkenntnis Gottes geübte Knabe David bereit, dem Riesen Goliath entgegenzutreten, während die berufsmäßigen Kämpfer starr vor Erstaunen zusahen und einen Fehlschlag vorhersagten. So geschah es, daß eine Frau, von der Substanz geistigen Denkens genährt, bereit war, als die Zeit für sie kam, vor die zitternden Scharen zu treten, die in Furcht vor dem Bösen aufgewachsen waren, und den Verheerungen des prahlerischen Enakssohns — der Annahme von Leben in der Materie — Einhalt zu tun. Mit einfachem Gottvertrauen, das gleichbedeutend ist mit einem tiefwurzelnden Gefühl von der Allmacht Gottes, hat schon manches Kind die Theorien und Lehren, die gelehrten Hypothesen oder Spekulationen der falschen Annahme beschämt.

Welcher Schlüssel erschließt denn nun die Tür zum moralischen Mut? Derselbe Schlüssel, der die Schrift erschließt und ihre metaphysische Bedeutung offenbart. Die wörtliche Auslegung hat nicht selten Furcht und Zweifel zur Folge gehabt, indem sie das falsche Bild eines Stammgottes heraufbeschwor, der sich an seinen Gegnern rächt, während die geistige Auslegung den all-liebenden Vater darstellt, der diejenigen frei macht, die Ihm vertrauen, und der das Böse samt den schadenbringenden Eigenschaften des Denkens aus ihrem Wege entfernt. Wer Gottes ewiges Wesen kennt, bei welchem ist weder Veränderung noch Wechsel, und wer eine klare Erkenntnis der befreienden Wahrheit und ein unerschütterliches Vertrauen auf dieselbe hat, beweist angesichts jeder Prüfung, die ihm begegnen mag, einen löwenherzigen Mut.

Sokrates war einer der Löwenherzigen unter den Alten. In seinen Gesprächen mit seinen Schülern gab er diesen oft die Ermahnung: „Erkenne dich selbst.” Es war bei ihm die Anschauung vorherrschend, daß ihn eine höhere Macht rechten Zielen entgegenführe. Er richtete sich im Denken und Handeln nach seinem höchsten Begriff vom Guten, suchte in Übereinstimmung mit einem erhabenen Ideal zu leben. Welch eine Freude wäre es gewesen, einem solchen Menschen von der Wissenschaft zu sagen, die dem menschlichen Verständnis die Tür öffnet, welche zur völligen Kenntnis der unser Sein gestaltenden und unser Schicksal bestimmenden Kraft führt! Welches Gefühl der Befriedigung müßte es gewähren, einem Menschen wie er das wahre Wesen dieser Kraft zu erklären, deren er sich nur schwach bewußt war; ihm Gott als Leben, Wahrheit und Liebe zu erklären, als wirkendes Prinzip, das Sünde, Krankheit und Tod vernichtet; durch die unwiderstehliche Logik der Christlichen Wissenschaft seinem empfänglichen Geist das Wesen des von Gott zu Seinem Bilde geschaffenen Menschen klarzumachen und ihn zu überzeugen, daß die Ermahnung, „erkenne dich selbst”, in Wirklichkeit bedeutet, daß man vor allem Gott erkennen muß, um dann als Ergebnis hiervon die wahre, unvergängliche Wesenheit des Menschen kennen zu lernen.

Der moralische Mut, der die Reformatoren zu allen Zeiten befähigt hat, ihren Verleumdern mutig entgegenzutreten und furchtlos das Schafott zu besteigen, war stets auf Erkenntnis der Wahrheit gegründet. Es war vielleicht nur ein Lichtblick; doch schon eine geringe Erkenntnis der unendlichen Wahrheit vollbringt Wunder. Vielleicht war es in manchen Fällen nicht mehr als ein unbestimmtes, aber doch tröstendes Gefühl, daß schließlich das Recht über das Unrecht siegen werde. Mag auch ein derartiges Gefühl recht weit entfernt sein von der geistigen Erkenntnis, daß das Recht allein wirklich und das Unrecht allezeit eine Illusion ist, so ist doch Hoffnung an und für sich schon eine Sprosse auf der Leiter, die himmelwärts führt. Sie übt eine ermutigende Wirkung aus. Mrs. Eddy schreibt: „Der geistige Sinn, der den materiellen Sinnen widerspricht, schließt Intuition, Hoffnung, Glauben, Verständnis, reife Fülle und Wirklichkeit in sich” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 298). Hoffnungsvoll sein ist schon ein guter Anfang bei jedem Unternehmen, ein wesentlicher Teil christlich-Wissenschaftlichen Lebens. Der Verfasser entsinnt sich der Schilderung, die einer unsrer hervorragendsten amerikanischen Gelehrten von seinem Eindruck beim ersten Besuch einer Kirche der Christlichen Wissenschaft gab. Der Herr sagte, es sei ihm ganz besonders aufgefallen, daß auf den Gesichtern aller Anwesenden der Ausdruck der Hoffnung zu lesen stand. Dem Verfasser kam hierbei wieder einmal recht klar zum Bewußtsein, daß dieser Ausdruck der Hoffnung in Wirklichkeit das äußerlich sichtbare Merkmal eines tiefgegründeten Glaubens sei, der, als Gebet wirkend, den Kranken wie den Sünder zu erlösen vermag.

So mehren sich die Reihen der Löwenherzigen rasch in unsern Tagen durch die von so vielen Menschen gemachte Entdeckung, daß sie in der Allmacht ihren Ursprung haben; daß Gott, das göttliche Prinzip, ihr Leben ist. Unter den alten Propheten und den ersten Christen hatten manche eine hohe Stufe der Erkenntnis von der Wahrheit des Seins erreicht, wie sie durch die Christliche Wissenschaft heutigestags allen als ein exaktes Wissen zugänglich gemacht worden ist. Allerwärts ermutigen Mrs. Eddys Lehren Jung und Alt zur Pflichterfüllung und zur Überwindung falscher Wünsche und Neigungen. Der Geschäftsmann kann jetzt den Schwierigkeiten im Handel, in der Industrie und in der Finanzwelt mit dem Gefühl größerer Zuversicht entgegensehen, auf Grund der Erkenntnis von dem einen Gemüt. Dank dem hohen moralischen Mut unsrer Führerin kann jetzt jedes Haus, jedes Fabrikgebäude, jedes Schiff auf See, jede Hütte im Gebirge der Aufenthaltsort derjenigen sein, die dem Banner des „Löwen” folgen, „der da ist aus dem Geschlechte Juda.” Vor diesem heranrückenden Heer muß alle Krankheit, alle Unehrlichkeit, alles Unglück und alle Disharmonie weichen. Jeder falsche Anspruch auf Macht, der Schrecken mit sich bringt, jedes Böse, das sich unter dem Namen des Guten verbergen möchte, muß entlarvt und auf sein ursprüngliches Nichts zurückgeführt werden, auf daß Gott erkannt und als über alles erhaben anerkannt werden möge.

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