Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter und er heißt Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friedefürst.” Dieser Ausspruch des Propheten Jesaja sowie auch der des Evangelisten Lukas: „Das Kind wuchs, und ward stark im Geist, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm”, gaben der Welt ein eindrucksvolles Bild von dem, der später der Erlöser der Menschheit werden sollte.
Die Bibel berichtet wenig über die Jugendzeit Jesu, d.h. von seiner Geburt an bis zu seinem dreißigsten Jahre, als er an die Öffentlichkeit trat. Angesichts dieser Tatsache entsteht die Frage: Welcher Art waren die Jugenderfahrungen unsres Meisters? Wie sollen wir feststellen, was er in den dreißig Jahren getan hat? Ist es anzunehmen, daß er sich ohne höhere Zwecke und Ziele in der Schreinerwerkstätte seines Vaters oder unter den Bewohnern von Nazareth betätigte? Wenn wir von ihm lesen, „Gottes Gnade” sei bei ihm gewesen und sein Name werde „Wunderbar” und „Rat” sein, dürfen wir daraus schließen, daß er nur deshalb zum Führer und Erlöser der Menschheit wurde, weil es so für ihn vorherbestimmt war, und daß er bloß müßig zu warten hatte, bis seine Zeit gekommen war? Nein, sicherlich nicht, denn eine solche Auffassung würde das Lebenswerk des Meisters unterschätzen und könnte der Vernunft nicht standhalten.
Wenn wir den irdischen Lebenslauf Jesu, wie er uns in der Heiligen Schrift beschrieben wird, genau prüfen, werden wir finden, daß seine Eltern täglich ihrem höchsten Begriff von Recht gemäß lebten. Sie dienten Gott furchtlos und mit Verständnis und gingen den schmalen und geraden Weg. Bescheiden und anspruchslos, und doch energisch in ihrer Art, suchten sie, wie alle wohlmeinenden Eltern, die Erziehung ihres Sohnes ihren höchsten Idealen gemäß zu leiten und diese Ideale in ihrem täglichen Leben immer mehr zum Ausdruck zu bringen. Nach der strengen Jüdischen Sitte der damaligen Zeit war diese Erziehung in erster Linie religiös, d.h. in genauer Übereinstimmung mit dem Glauben, dein Joseph und Maria angehörten. Dieser Vorbildung im Elternhause folgte wohl der Unterricht in der Synagoge, wo das Alte Testament mit den dann beschriebenen Ereignissen und Personen den Schülern nahe gebracht wurde und wo diese das mosaische Gesetz kennen lernten. So wurde Jesus in der Schrift bewandert, wie es sich für ein Kind einer guten Jüdischen Familie geziemte. Er war jedoch dem Durchschnittsschüler darin überlegen, daß er früh begann selbständig zu denken. Er weigerte sich, die theologischen Anschauungen und dogmatischen Lehrsätze seiner Lehrer anzunehmen, Männer, an deren Aufrichtigkeit wohl nicht zu zweifeln ist, die es aber offenbar versäumten, auf den Geist der alttestamentlichen Lehren und auf deren praktische Anwendbarkeit hinzuweisen.
Dieses selbständige Streben des Jesusknaben und die geistige Erleuchtung, von der es begleitet war, zeigte sich deutlich, als er in seinem zwölften Jahre zum erstenmal mit seinen Eltern nach Jerusalem zum Osterfeste ging. Dem Bericht des Lukas über dieses Ereignis zufolge scheint es sein höchster Wunsch gewesen zu sein, im Tempel mit den Rabbinern und Schriftgelehrten, den damaligen ersten Autoritäten in religiösen Dingen, bekannt zu werden und sie über die Lehren und wunderbaren Ereignisse des Alten Testaments zu befragen. „Und alle, die ihm zuhöreten”, erzählt Lukas weiter, „verwunderten sich seines Verstands und seiner Antworten”. Die Umgangssprache der Juden in jener Zeit war die aramäische, deren sich ohne Zweifel auch Jesus bediente. Es ist jedoch anzunehmen, daß er das Alte Testament in der hebräischen Sprache studierte, und daß er auch einige Kenntnis des Griechischen besaß, was ihm den Verkehr mit den Griechen in Palästina ermöglichte.
Die Berichte des Neuen Testaments über das öffentliche Wirken unsres Meisters zeigen ihn uns als einen äußerst praktischen Menschen, oder wie Mrs. Eddy auf Seite 313 von Wissenschaft und Gesundheit sagt, als den wissenschaftlichsten Menschen, der je auf Erden gewandelt ist. Von früher Jugend an widmete er sich dem Dienste seines Vaters, wie er auch Joseph und Maria bedeutete, als sie ihn nach drei Tagen im Tempel unter den Gelehrten fanden. Und worin bestand dieser Dienst, den er für so wichtig hielt? Er erkannte es als seine Aufgabe, seinem Volk das wahre Verständnis von Gott zu bringen und dieses Verständnis auf praktische Weise zu veranschaulichen.
Obschon die Bibel uns nichts darüber sagt, daß Jesus schon vor seinem dreißigsten Jahre besondere Werke vollbrachte, so ist uns das doch kein Beweis, daß dies nicht der Fall war, ebensowenig wie wir annehmen würden, daß ein Professor der Mathematik, über dessen Bildungsgang wir keine Aufzeichnungen haben, erst nachdem er berühmt wurde, sich mit dieser Wissenschaft befaßt und ihre Richtigkeit durch Demonstration bewiesen habe. Der Umstand, daß er mathematische Probleme mit Erfalg demonstrieren kann, läßt erkennen, daß er durch das Studium der Regeln und Grundsätze der Mathematik und durch die praktische Anwendung derselben sich auf feine Laufbahn vorbereitet hatte. Und so war es gewiß auch bei Jesus. Er wußte sehr wohl, daß ein jeder sich mit voller Hingabe vorbereiten muß, um in irgendeiner Richtung Gutes und Bedeutsames zu leisten. Dieser Vorbereitung widmete er sich denn auch dreißig Jahre lang. Alsdann, nachdem er Treue im Kleinen bewiesen hatte, war er genügend ausgerüstet, um den Anforderungen seiner großen Mission zu genügen — ja, um zu der Höhe des vollkommenen Verständnisses emporzusteigen.
Die Worte Jesu an die Samariterin: „Gott ist Geist”, und seine Ermahnung in der Bergpredigt: „Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist”, sind das A und das O seiner Lehre und zeigen deutlich, daß es bei der Vorbereitung auf unsre Lebensarbeit unsre erste Pflicht ist Gott, Geist, zu erkennen und den Menschen als das geistige Ebenbild Gottes zu sehen. Dies ist wahrlich der einzige Weg, der uns zu dauerndem Glück und Frieden führt.
Durch viele Jahrhunderte hindurch befand sich die Welt in großer Unwissenheit über die praktische Anwendung der Lehre Jesu, die uns Friede, Harmonie und Glück verheißt. Endlich wurde das Dunkel vom helleuchtenden Licht der Christlichen Wissenschaft durchbrochen, von der einfachen, demonstrierbaren Wahrheit über Gott, den Menschen und das Weltall. Sie klopft an die Tür unsres Zeitalters mit ihrer erlösenden Botschaft. Sie ruft allen verzagten Herzen zu: „‚Folget mir! Entrinnt der Knechtschaft von Sünde, Krankheit und Tod‘. Jesus zeichnete den Weg vor. Bürger der Welt, nehmt die herrliche ‚Freiheit der Kinder Gottes‘ an und seid frei! Das ist euer göttliches Recht. Nicht das göttliche Gesetz, sondern die Illusion des materiellen Sinnes hat euch gebunden, eure freien Glieder umgarnt, eure Fähigkeiten gelähmt, euren Körper geschwächt und die Tafel eures Seins entstellt” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 227).
Die Christliche Wissenschaft gibt uns die geistige Auslegung des Alten und des Neuen Testaments, hauptsächlich aber der Worte und Werke Jesu. Ein jeder der den Willen hat, diese Wissenschaft zu studieren, ihren Vorschriften zu folgen und denselben gemäß zu leben, wird nach und nach das Verständnis der Allheit des Geistes, des Guten, erlangen, wodurch er die Nichtsheit und Machtlosigkeit aller Materialität und allen Übels wird beweisen können. Alles wird neu für ihn werden und er wird eine geistige Erhebung erfahren, die sich mit Worten nicht beschreiben läßt.
Des Gerechten Zunge ist köstliches Silber,
Heimliche Zunge macht sauer Angesicht.
Hütet eure Zungen,
Das ziemt wohl den Jungen,
Stoß den Riegel vor die Tür,
Laß kein böses Wort herfür!
Spruch.
