Der Evangelist Lukas berichtet uns, daß Jesus einst siebenzig Schüler in die umliegenden Städte und Dörfer sandte und ihnen befahl, das Evangelium vom Reich Gottes zu predigen und überall, wo sie Empfänglichkeit finden würden, die Kraft dieses Evangeliums durch das Heilen der Kranken praktisch zu beweisen. Die Schüler zogen aus, um ihr Werk der Heilung und Erneuerung auszuführen. Als sie später zurückkehrten, sagten sie voll Freude zum Meister: „Herr, es sind uns auch die Teufel Untertan in deinem Namen.” Wie aus dem Weiteren hervorgeht, erkannte Jesus, daß der übergroßen Freude seiner Schüler über die Vernichtung von sündigen und kranken Zuständen unter dem Volk ein Irrtum zugrunde lag, den er dann auch sofort rügte. Nachdem er ihnen gesagt hatte, daß sie durch die geistige Idee von Gott, welche er darstellte, Gewalt hätten „über alle Macht des Feindes”, und daß nichts sie beschädigen könne, fuhr er fort: „Doch darin freuet euch nicht, daß euch die Geister untertan sind: freuet euch aber, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind.” Er wollte wohl damit sagen, sie sollten sich nicht freuen, weil die Vorstellungen von Sünde und Krankheit ihnen auf Grund ihrer Unterweisung in der Wahrheit untertan seien, sondern vielmehr, weil sie sich der Macht der Wahrheit bewußt geworden waren und in diesem Bewußtsein beharrten.
Dieser Grund zur Freude sollte auch heute von allen Schülern der Christlichen Wissenschaft erkannt werden, die aus Erfahrung wissen, daß ein jeder, der bereit ist, sich von dem Prinzip dieser Wissenschaft leiten zu lassen, die Fähigkeit hat, die Kranken zu heilen und die durch das Überwinden der Sünde bewirkte Erlösung zu predigen. Wir dürfen gewiß dankbar sein für die Vernichtung jedes krankhaften und sündhaften Gedankens durch die göttliche Wissenschaft, die Jesus erklärte und in seinen Werken veranschaulichte; aber unsre Freude hat nur dann eine sichere Grundlage, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß unsre wahre Wesenheit, unser wahrer Charakter in Gott, im Geist ist.
Die Pflicht der Christen, sich in dem Bewußtsein des Himmels im eignen Denken zu freuen, wird somit durch eine bestimmte Anweisung des Meisters bestätigt. Wir müssen uns mehr über unsre Erkenntnis des Wirklichen als über unsre Überwindung des Unwirklichen freuen. Unwirklichkeit enthält nichts und bietet nichts dar, worüber man sich zu freuen hätte, und die Vernichtung ihrer Scheinbarkeiten an und für sich gibt uns keinen Grund zur Freude. Freude ist eine geistige Eigenschaft und geht von der göttlichen Liebe aus — der einzigen Ursache, dem einzigen Schöpfer. Keiner kann sich wahrhaft freuen, der nicht Gott durch Seinen ewigen Christus kennt — durch das Erfassen der Wahrheit. Nur Wahrheit kann uns glücklich machen; Irrtum gibt uns keinen Grund zur Freude.
Jesus machte dies klar in dem Gleichnis, welches er erzählte, um den Ausspruch zu veranschaulichen, daß im Himmel Freude sein wird „über einen Sünder, der Buße tut”. Der Himmel ist stets ein Zustand der Glückseligkeit. In dem Maße, wie wir uns als geistige Wesen erkennen lernen, finden wir den inneren Quell der Freude, den Himmel in uns. Jesus stellte die Frage: „Welch Weib ist, die zehn Groschen hat, so sie der einen verliert, die nicht ein Licht anzünde und kehre das Haus und suche mit Fleiß, bis daß sie ihn finde?” und gab selbst die Antwort darauf mit folgenden Worten: „Wenn sie ihn gefunden hat, rufet sie ihren Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freuet euch mit mir; denn ich habe meinen Groschen gefunden, den ich verloren hatte.” Das Weib freute sich nicht, weil sie den Kummer über den Verlust ihres Geldes überwunden, sondern weil sie das gefunden hatte, was verloren gewesen zu sein schien. Die Freude des Weibes beruhte auf der positiven Seite ihrer Erfahrung, auf ihrem vollkommeneren Begriff von Substanz, die von der zeitweiligen Vorstellung von Verlust nicht vermindert worden war.
Obiges versinnbildlicht die Erfahrungen der Christlichen Wissenschafter. Nachdem wir die Wahrheit erkannt und sie anzuwenden gelernt haben, und nachdem wir uns der Allgegenwart des Christus bewußt worden sind, können wir das Wort Gottes verstehen, das er durch den Mund des Propheten Jeremia redete: „Ich habe dich je und je geliebet; darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.” Mit dieser unwiderstehlichen Liebe hat Gott einen jeden von uns zu sich gezogen und ihn zur Vergegenwärtigung der Allmacht und Allgegenwart der göttlichen Liebe geführt. Das ist gewiß zu jeder Stunde genügender Grund zur Freude.
Diejenigen, die diesen sicheren aber schmalen Weg zur Erlösung betreten, können vermöge der geistigen Erleuchtung, die ihnen die Christliche Wissenschaft bringt, die folgenden herrlichen Worte des sanften, liebevollen Hirten hören, wie sie vor Jahrhunderten durch den Mund des Propheten geredet wurden, und können ihre Erfüllung an sich erfahren: „Alsdann werden die Jungfrauen fröhlich am Reigen sein, dazu die junge Mannschaft und die Alten miteinander. Denn ich will Trauer in Freude verkehren und sie trösten und sie erfreuen nach ihrer Betrübnis. ... Und mein Volk soll meiner Gabe die Fülle haben, spricht der Herr.” Wenn wir uns dann ernstlich und in christlich-kluger Weise bemühen, die gute Botschaft von der Wiedereinsetzung der heilenden Religion Christi Jesu durch die Christliche Wissenschaft zu verkündigen, und wenn wir danach trachten, das Heilungswerk der Christlichen Wissenschaft zu betreiben, dann wird für uns die noch herrlichere Verheißung des Meisters in Erfüllung gehen: „Und wer da schneidet, der empfähet Lohn und sammelt Brot zum ewigen Leben, auf daß sich miteinander freuen, der da säet und der da schneidet.”
Die Selbstbeherrschung ist die Wurzel aller Tugenden.—
